Waffenruhe in Libyen: Krieg ums Öl vorerst abgesagt
Deutsche Truppen könnten gebeten werden, Libyens neue Waffenruhe zu überwachen. Das haben zivile Institutionen in Libyen verkündet.
Feldmarschall Haftar überließ dem Sprecher des nach Ostlibyen geflohenen Parlaments, Aguila Saleh, die Verkündung der bisher nur mündlichen Einigung. Saleh und Haftar repräsentieren die ostlibysche Provinz Cyreneika, in der die Mehrheit der libyschen Ölquellen und Förderanlagen liegen.
Von Cyreneikas Hauptstadt Bengasi aus war Haftars Libysche Nationalrmee (LNA) im Frühjahr 2019 nach Tripolis vorgerückt und hatte die Zweimillionenmetropole monatelang beschossen und belagert, ohne sie jedoch erobern zu können. Massive Militärhilfe aus der Türkei drängte die LNA dieses Jahr aus Westlibyen zurück.
Seit zwei Monaten stehen sich nun ost- und westlibysche Einheiten bei Muammar Gaddafis ehemaliger Heimatstadt Sirte gegenüber. Eine Schlacht um Sirte und die Ölfelder würde Libyens einzige Einnahmequelle, die Öl- und Gasindustrie, schwer beschädigen.
Das wäre nicht im Interesse der ausländischen Partner: Katar und die Türkei auf Regierungsseite, Russland, die Emirate, Ägypten und Frankreich auf der Seite Haftars hoffen auf lukrative Verträge in Nachkriegslibyen.
Türkisch-russische Vernunftsentscheidung
Politische Beobachter sehen in dem Waffenstillstand eine türkisch-russische Vernunftsentscheidung. Haftars Allianz aus libyschen Soldaten, sudanesischen Söldnern und Spezialisten der russischen Sicherheitsfirma Wagner hält mit Sirte und dem Militärflughafen Jufra zwei strategisch wichtige Orte für die Kontrolle des sogenannten Ölhalbmondes. Ein Dutzend russische Mig-29-Kampfjets sind in Jufra stationiert.
Die türkische Luftwaffe hat ihrerseits im Juli den westlich von Tripolis gelegenen Flughafen Watia übernommen. Der türkische Präsident Recep Tayyib Erdoğan drohte zuletzt mit einem massiven Angriff der türkischen Luftwaffe auf Haftars Befehlszentrale.
Parlamentspräsident Aguila Saleh verkaufte die in Bengasi und Tripolis separat verkündigten Waffenstillstandserklärungen als das Ende der ausländischen Einmischung in Libyen. „Die Gefahr einer größeren Intervention ist nun gebannt“, sagte der 78-Jährige vor libyschen Journalisten und meinte damit eine türkische Intervention in der Cyreneika. Die Verbündeten der Regierung in Tripolis – Katar und die Türkei – hielten sich mit offiziellen Verlautbarungen am Wochenende auffällig zurück.
Der Hauptgrund für die Konflikte seit der libyschen Revolution 2011 bleibt ungelöst. In der Cyreneika und der südlichen Provinz Fezzan sind viele gesellschaftliche Gruppen mit der Verteilung des Öleinkommens nicht einverstanden, das die in Tripolis sitzenden Institutionen unter sich aufteilen. Milizen aus der Cyreneika blockieren seit Monaten Ölpipelines und Förderanlagen.
Demilitarisierte Zone bei Sirte?
Das Ausbleiben des Kriegs um Sirte führt nun zu ersten Rissen in den beiden ost- und westlibyschen Bündnissen. Bürger der Stadt Zauwia nahe Tripolis protestierten mit brennenden Straßenblockaden gegen die manchmal tagelangen Wasser- und Stromausfälle in Westlibyen; der Kommandeur der Serraj-Einheiten für Zentrallibyen forderte den Abzug der Armee Haftars aus Sirte.
In Bengasi schwelt ein Machtkampf zwischen dem 2012 gewählten Parlament und Haftars Militärführung – Haftar hatte im Juni versucht, die Abgeordneten zu entmachten, nachdem Parlamentspräsident Saleh einen Dialog mit der Regierung in Tripolis vorgeschlagen hatte.
Der Waffenstillstand wird deshalb wohl nur mit internationaler Unterstützung halten. „Ohne internationale Überwachung wird dies nicht funktionieren“, sagt Wael Alushaibi, ein Analyst des Parlaments in Tobruk. „Ein Wettlauf mit den Kriegstreibern um den Frieden in Libyen hat begonnen, der Ausgang ist offen.“
Auf Deutschland könnten nun entsprechende Anfragen zukommen. Es waren Bundesaußenminister Heiko Maas und der deutsche Botschafter Oliver Owcza, die vergangene Woche bei ihrem Besuch in Tripolis Serraj davon überzeugten, auf einen Angriff auf Sirte zu verzichten, sagen Regierungsmitarbeiter in Tripolis der taz.
In Genf soll es nun bei den „5 plus 5“-Gesprächen zwischen Militärs beider Seiten unter UN-Ägide um die Schaffung einer demilitarisierten Zone östlich von Sirte gehen.
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