Militärmacht Türkei: Erdoğans Kriege

Libyen, Syrien, Irak: Die Türkei verfolgt eine neue, aggressive Regionalpolitik. Die traditionelle kemalistische Militärdoktrin ist passé.

Mann mit Maske im Helicopter

Verteidigungsminister Hulusi Akar inspiziert das türkisch-irakische Grenzgebiet Foto: Arif Akdogan/afp

ISTANBUL taz | Es sind Bilder, wie die regierungsnahen Medien in der Türkei sie lieben: Kampfflugzeuge, die im Tiefflug über die Berge im kurdischen Nordirak dröhnen, Soldaten, die vor ihrem Einsatz das Victory-Zeichen in die Kamera halten und Hulusi Akar, Verteidigungsminister und vormaliger Generalstabschef, der vor einer großen Karte die angeblich erfolgreiche Militäroperation nachzeichnet.

Die Bilder der vergangenen zwei Wochen stammen von den Operationen „Adlerklaue“ und „Tigerkralle“, bei denen die türkische Luftwaffe, Kampfdrohnen und Spezialkräfte am Boden in einer gemeinsamen Aktion angebliche Verstecke der kurdischen PKK-Guerilla im Nordirak aufspüren sollten.

Zeitungen wie Akşam und Sabah oder der TV-Propagandasender A-Haber sind begeistert, wie die türkische Armee hier erstmals eine integrierte Kampfform der verschiedenen Waffengattungen erfolgreich durchführt. Zivile Opfer, die die autonome kurdische Regierung im Nordirak beklagt, auf deren Territorium sich dieser Krieg abspielt, kommen in der türkischen Berichterstattung nicht vor.

Doch Erdoğan lässt seine Armee derzeit nicht nur im Nordirak angreifen. Gleichzeitig werden auch die Truppen im nordsyrischen Idlib aufgestockt und türkische Waffen und Soldaten sorgten in Libyen dafür, dass nach monatelanger Belagerung der Hauptstadt Tripolis durch die Milizen des General Chalifa Hafta nun die Milizen der Regierung von Fajis al- Sarradsch auf dem Vormarsch sind.

Jeder einzelne dieser Militäreinsätze ist für sich genommen bereits Ausdruck einer neuen, militärgestützten türkischen Politik, doch erst in der Zusammenschau wird deutlich: Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in den letzten Jahren die jahrzehntealte kemalistische Militärdoktrin, keine Territorien außerhalb der Grenzen anzugreifen oder gar zu erobern, durch eine neue Ideologie ersetzt. Er will die Türkei als Regionalmacht auch militärisch im Ausland etablieren.

Wendepunkt 2016

Im Nachhinein ist auch klar, wann diese Zäsur stattgefunden hat. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 hat in der türkischen Armee eine bis dahin beispiellose Säuberung eingesetzt. Als Folge sind nun alle höheren Offiziersränge mit treuen Gefolgsleuten Erdoğans besetzt. Gab es in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Militärführung und Regierung, bei denen sich die Generäle gegen Interventionen im Ausland aussprachen, ist seit den Säuberungen kein Widerspruch aus dem Militär heraus mehr bekannt.

Auch um zu zeigen, dass die Armee nun bereit war, die Politik Erdoğans umzusetzen, erfolgte der erste Einmarsch in Syrien zwischen Dscharablus und Azaz schon ab August 2016. Dem folgten 2018 der Einmarsch bei Afrin, westlich von Azaz, und 2019 der Einmarsch östlich des Euphrats entlang der türkisch-syrischen Grenze, um die kurdische YPG-Miliz von dort zu vertreiben.

Allgemein wurde angenommen, dass damit die Kapazität des türkischen Militärs erschöpft sei, doch ab 2019 schickte Erdoğan Militärberater, Kampfdrohnen und von ihm bezahlte syrische Islamisten auch nach Libyen. Diese Einsätze gehen einher mit einem Umbau der Armee, der seit Jahren läuft: von einer großen, durch Wehrpflichtige gebildeten Territorial-Armee hin zu einer kleineren, mehr aus Berufssoldaten bestehenden Interventionsarmee.

Dazu kommen enorme Anstrengungen im Rüstungsbereich. Obwohl die Türkei noch zu den Ländern gehört, in die ein großer Teil der deutschen Rüstungsexporte geht, hat Erdoğan aus den seit Jahren anhaltenden Debatten über ein Verbot von Waffenlieferungen an die Türkei in Deutschland, aber auch in den USA längst die Konsequenz gezogen, selbst mehr eigene Waffen zu entwickeln.

Türkische Kampfdrohnen

Das Paradebeispiel dafür sind Kampfdrohnen, die nun sehr erfolgreich von zwei türkischen Rüstungskonzernen selbst produziert werden, nachdem die USA und Israel der Türkei keine Drohnen liefern wollten. Der „Pate der Drohnen“, wie ihn die türkische Presse nennt, ist Selcuk Bayraktar, ein am Bostoner MIT ausgebildeter Ingenieur, der in seiner Fabrik „Baykar Makina“ jetzt die in Libyen und in Syrien eingesetzten Kampfdrohnen „Bayraktar TB2“ produziert.

Erdoğan stellte große Summen für deren Entwicklung zur Verfügung, nicht nur aus dem ständig wachsenden Verteidigungsetat, sondern auch aus seinem Präsidentenfond, schließlich bleibt das Geld praktisch in der Familie, denn Selcuk Bayraktar heiratete vor vier Jahren Erdoğans jüngste Tochter Sümeyye.

Der türkische Militärexperte Can Kasapoğlu sagte dazu der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), das Militär hätte zuvor sehr genau die Drohneneinsätze der USA in den pakistanischen Stammesgebieten analysiert. Dem Bericht zufolge hat es auch den Einsatz von Drohnen durch die aserbaidschanische Armee in Bergkarabach genauestens beobachtet.

Wie präzise die Drohnen mittlerweile eingesetzt werden können, zeigte die türkische Armee kürzlich im syrischen Idlib, als sie in wenigen Tagen über 150 syrische Panzer zerstörte. Nach dieser „show of force“ meldeten sich nicht nur Staaten wie Turkmenistan und Pakistan als interessierte Kunden für türkische Drohnen, sondern auch die Ukraine und Kuweit.

Doch die Aufrüstung ist nicht auf Drohnen beschränkt. Die Türkei hat mittlerweile eigene gepanzerte Fahrzeuge, wird demnächst einen großen Hubschraubträger im Mittelmeer in Dienst nehmen und entwickelt ein eigenes Kampfflugzeug. All das soll eine türkische Dominanz im östlichen Mittelmeer erzwingen, für die türkische Basen in Libyen ein wichtiger Faktor sein werden.

Kein Wunder, dass Griechenland und das griechische Zypern sich von der Türkei bedroht fühlen. Auch Syrien muss sich auf eine langfristige Besetzung seiner nördlichen Territorien durch die Türkei einstellen. Vor wenigen Tagen wurde in den besetzten Gebieten die türkische Lira als offizielle Währung eingeführt.

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