Waffen- und Messerverbotszonen in Berlin: Symbolpolitik in Form von Wackelpudding
Ab Samstag treten in Berlin in drei sogenannten Brennpunktvierteln Messerverbotszonen in Kraft. Die Verordnung ist ebenso vage wie wirkungslos.
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W ie schneidet man eine Bratwurst mit einem Löffel? Vor genau dieser Frage stehen Berliner*innen ab diesem Samstag – zumindest, wenn sie im Görlitzer Park grillen möchten. Denn dort treten ab dem Wochenende ebenso wie am Kottbusser Tor in Kreuzberg und Leopoldplatz in Wedding dauerhaft geltende Messer- und Waffenverbotszonen in Kraft.
Das Verbot umfasst sämtliche Waffen und Messer, unabhängig von der Klingenlänge, also auch Taschen- und Küchenmesser. Die Polizei darf in den Zonen verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen und Waffen einziehen. Verstöße werden mit Geldbußen bis zu 10.000 Euro geahndet – ohne Ausnahme.
Bis auf die 19 Ausnahmen, die in Paragraf 3 der von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erlassenen Verordnung definiert sind. Zum Beispiel für Personen, die ein Messer „nicht zugriffsbereit“ von A nach B befördern. Oder für diejenigen, die Messer „im Zusammenhang mit einem allgemein anerkannten Zweck“ führen – was auch immer das bedeuten mag.
Ausgenommen sind natürlich auch alle Messerfreund*innen, die das Klingending „im Zusammenhang mit der Brauchtumspflege, der Jagd oder der Ausübung des Sports“ mit sich führen. Und wer kennt sie nicht, die Indigenen, die am Kotti auf Jagd gehen?
„Bestimmte gewaltaffine Gruppen“
Die vielen Ausnahmen warfen schon vorab ebenso viele Fragen auf: Werden nun auch Pfeffersprays konfisziert, die Frauen zum Schutz mit sich führen? Und Grillmesser auf der Grillwiese im Görlitzer Park?
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel rief zur Gelassenheit auf und betonte, man werde mit Augenmaß vorgehen. Man werde „die Mutter, die den Apfel schält, natürlich darauf hinweisen, dass sie sich jetzt hier in der Messerverbotszone befindet und diese bitte verlassen soll, und künftig bitte kein Messer mehr mit sich führen soll“.
Doch was, wenn sich das Grillmesser nicht in den Händen einer apfelschälenden Mutter, sondern im Rucksack eines migrantisch gelesenen jungen Mannes befindet?
Laut Slowik Meisel sollen die Verbotszonen schließlich vor allem dazu dienen, Waffen von „bestimmten gewaltaffinen Personengruppen“ einzuziehen, um schwere oder tödliche Verletzungen zu verhindern. Häufig seien es Straftaten „in kriminellen Milieus, bei Trinkern oder auch Drogenabhängigen“.
Fragwürdige Annahmen
Ihre Annahme, die Polizei werde ihren Ermessensspielraum sinnvoll einsetzen, ist mehr als fragwürdig. Gerade im Görlitzer Park und am Kottbusser Tor erleben Menschen mit Migrationshintergrund – insbesondere Männer – regelmäßig Schikane und Racial Profiling durch die Polizei.
Nun eine Verordnung zu erlassen, die genau diese Praxis erleichtert und der Polizei durch ihre vage Formulierung einen weiten Interpretationsspielraum gewährt, ist gefährlich. Auf die „gewisse Vernunft“ der Beamt*innen zu vertrauen, wie es auch Innenstaatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) forderte, ist naiv und ignorant.
Denn seit wann ist „Wackelpudding-Verordnungen“ (wie es in dem Fall sogar die rechte Deutsche Polizeigewerkschaft ausnahmsweise einmal treffend formulierte) zu trauen? Seit wann ist auf die Vernunft der Polizist*innen zu bauen? Es braucht klare gesetzliche Grundlagen für polizeiliches Handeln.
Wirksamkeit von Verbotszonen nicht belegt
Die steigende (Messer-)Kriminalität ist unbestritten ein Problem. 2023 registrierte die Berliner Polizei 3.482 Messerangriffe – ein Plus von 5 Prozent, nachdem die Zahl 2022 bereits um fast 20 Prozent gestiegen war. Doch Messerverbotszonen sind keine Lösung. Ihre Einrichtung ist lediglich ein symbolpolitischer Akt, ein Simulieren von Sicherheit – ohne wissenschaftlichen Beleg für ihre Wirksamkeit.
Mehr punktuelle und selektive Kontrollen mögen kurzfristig das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen, nachhaltig gesenkt wird die Kriminalität dadurch nicht. Denn (Messer-)Kriminalität hängt stark zusammen mit sozialen und individuellen Faktoren: Männliches Geschlecht, Machokultur, niedriges Bildungsniveau, Gewalterfahrungen, delinquente Freundeskreise, Alkohol- und Drogenkonsum spielen eine entscheidende Rolle.
Junge Männer müssen früh lernen, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Dazu braucht es Selbstkontrollkompetenz-, Empathie- und Konfliktlösungstraining in Schulen, kurzum: Prävention. Aber das bringt eben weniger Schlagzeilen als die Errichtung von Waffen- und Messerverbotszonen.
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