Wachstum und Klimakrise: Kreislaufwirtschaft im Wald
Eine die Umwelt verschonende Technik gibt es nicht. Einzig die Fotosynthese der Pflanzen schafft ein komplexes Ökosystem ohne jede Zerstörung.
W ir sind dabei, den einzigen bewohnbaren Planeten zu zerstören. Ein Grund dafür ist, dass viele Menschen keine Ahnung von Thermodynamik haben und die Bedeutung von „Entropie“ nicht verstehen. Das Prinzip der Entropie ist, dass alles in kleinere und einfachere Teile zerfällt. Ein Fels wird durch Erosion zu Sand, ein toter Baum wird durch Verwesung zu Wasser und Kohlendioxid, ein altes Auto verwandelt sich zu einem Rosthaufen, und der Staub in der Wohnung verteilt sich gleichmäßig.
hat in Zürich Physik studiert und im Bereich der Hochtemperatursupraleitung promoviert. Er ist Professor an der Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil. Dort unterrichtet er Physik, numerische Simulationen und erneuerbare Energie. Mit seinem Blog möchte er „unseren Kindern einen Grund geben, uns nicht zu hassen“.
Es sollte niemanden verwundern, dass Mikroplastik und gefährliche Chemikalien heute in den abgelegensten Orten der Welt gefunden werden. Leider wird Entropie häufig mit Unordnung übersetzt, was nicht korrekt ist. Ein Urwald weist nämlich weniger Entropie auf als eine gut gepflegte Parkanlage. Korrekterweise müssen wir Entropie mit Simplizität übersetzen, und der zweite Hauptsatz in der Thermodynamik lautet dann, dass die Komplexität eines Systems mit der Zeit abnimmt.
Das Maximum der Entropie erreichen wir, wenn Materie und Energie im Universum möglichst gleichmäßig verteilt sind. Die Thermodynamik kennt keine Ausnahmen. Wenn wir Energie nutzen, muss diese von irgendwoher kommen. Es ist auch unmöglich, etwas Komplexes herzustellen, ohne mindestens gleich viel Komplexität irgendwo anders zu vernichten. Die Herstellung eines Autos oder eines Smartphones erfordert die irreversible Zerstörung der Umwelt.
Dies ist weder eine politische Aussage noch ein technisch lösbares Problem, sondern eine direkte Konsequenz der Thermodynamik. Menschen und Tiere müssen mobil sein, da sie ihre Umwelt zerstören. Wenn eine Kuhherde ein Gebiet abgegrast hat, wird sie weiterziehen, um frisches Gras zu finden. Das Gleiche gilt für Jäger, die ihrer Beute folgen müssen. Nur Pflanzen schaffen es, lange an einem Ort zu leben, ohne diesen zu zerstören. Stattdessen wird der Boden eines Waldes mit der Zeit immer fruchtbarer. Wie ist das möglich?
Problem Industrialisierung
Wenn Sie an einem heißen Sommertag in einen Wald gehen, befinden Sie sich in einer chemischen Fabrik, die allen menschlichen Erfindungen hoch überlegen ist. Dies gelingt durch die Fotosynthese der Pflanzen: Ohne Lärm und Abgase werden große Mengen Sonnenenergie eingefangen und genutzt, um Zucker aus Kohlendioxid und Wasser herzustellen.
Ein komplexes Ökosystem entsteht, ohne dass irgendwo sonst auf der Erde etwas zerstört werden müsste. Die Kreislaufwirtschaft ist vollständig umgesetzt, weil als einziges Abfallprodukt Wärmestrahlung entsteht, die problemlos ins Weltall abgegeben werden kann. Aus thermodynamischer Sicht erhöht ein Wald die Komplexität oder die Vielfalt der Erde.
Was für Ökosysteme gilt, hat in der Vergangenheit auch für unseren Planeten gegolten. Die fossilen Brennstoffe sind der Beweis dafür, dass die Erde während Hunderter von Millionen Jahren Sonnenenergie absorbierte und einlagerte, ohne sich dabei zu erwärmen. Stattdessen entstand ein grüner Planet mit unglaublicher biologischer Vielfalt. Die Energie des Planeten ist gestiegen, aber die Entropie gesunken.
Die Erde war einst ein vitaler Planet, was spätestens seit dem Anfang der Industrialisierung nicht mehr gilt. Wir leben heute auf einem sterbenden Planeten, der zwar immer noch viel Sonnenenergie absorbiert, aber die Entropie nicht mehr loswerden kann und sich deshalb erwärmt. Bisher gibt es keine von Menschen gemachte Technologie, die die Erde retten könnte. Eine Technologie wäre nur nachhaltig, wenn sie die Entropie der Erde reduziert oder zumindest nicht erhöht. Das kann nur die Fotosynthese.
Den Planeten verstehen
Leider ist es den Menschen bisher nicht gelungen, die Pflanzen zu imitieren. Aber nicht nur das Phänomen der Entropie wird nicht verstanden, wenn es um die Klimakrise geht. Auch Widersprüche werden nicht gesehen. Um unsere Gesellschaft zu dekarbonisieren, müssen wir die Fotovoltaik massiv ausbauen. Gleichzeitig wird ernsthaft darüber diskutiert, die Erde durch den Ausstoß von Schwefeldioxid in die Stratosphäre abzukühlen.
Dass dieser Schutz vor der Sonneneinstrahlung die Leistung sämtlicher Sonnenkollektoren verschlechtern würde, wird gerne übersehen. Wollen wir das Klimaproblem lösen, indem wir mehr oder weniger Sonnenenergie absorbieren? Die wenigsten Politiker und Unternehmer haben verstanden, dass es hier einen Interessenkonflikt gibt.
Es ist erstaunlich, dass wir immer noch keine wissenschaftliche Definition der Nachhaltigkeit haben. Das Wissen haben wir, aber dieses Wissen würde unser Wirtschaftssystem komplett auf den Kopf stellen. Wenn wir bei jedem Produkt oder Prozess nicht nur den Energieverbrauch, sondern auch die Entropieproduktion berücksichtigen würden, stellte sich schnell heraus, dass es keine nachhaltigen Technologien gibt. Dann wäre offensichtlich, dass die Klima- und Nachhaltigkeitskrisen nur durch ein Schrumpfen der Wirtschaft lösbar sind.
Vor 400 Jahren wurde Galileo Galilei zu Hausarrest verurteilt, weil er die Erde aus dem Zentrum des Universums vertrieben hat. Heute weigern wir uns zu akzeptieren, dass der Mensch nicht die Krönung der Schöpfung darstellt. Ohne intakte Ökosysteme kann die Menschheit nicht überleben, und wir haben nur die Fotosynthese, um uns zu retten. Dies ist keine Behauptung einiger Ökofundamentalisten, sondern eine direkte Konsequenz aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Wer sich für Raumfahrten begeistert, sollte zuerst den Planeten etwas besser verstehen. Er oder sie würde dann einsehen, dass die Pflanzen den Weltraum schon längst kolonisiert haben. Denn das Blattwerk eines Baumes ist eine ausgeklügelte Antenne, die im permanenten Austausch mit dem Weltall steht. Und ohne diesen Austausch gäbe es uns Menschen nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind