WM, Wettbewerb und Beste Generation: Flick dich, Deutschland!
Die deutsche Nationalmannschaft boykottiert die WM mit einer raffinierten Methode: dem Ausscheiden in der Vorrunde. Denn Wettbewerb isch out und over.
F lick dich, Deutschland, las ich irgendwann im trüben blauen Licht meines Handys, als es ruhig geworden war. Mir dämmerte: Die WM ist vorbei, zumindest für Bundestrainer Hansi Flick und die deutsche Nationalmannschaft. Ich selbst hatte sie ja von Anfang an – äh – boykottiert.
Meiner Tochter sei Dank, die hat ja jeden Abend Einschlaftraining. Leider spielen wir seit anderthalb Jahren in der dritten Liga, immer dieselbe Abfolge. Foul durch mich, Sit-up, Rolle zum Bettrand, Winken für die Fans da draußen, die dann die nächste Hymne anstimmen. Natürlich hätte ich die WM in Katar auch ohne unser abendliches Spiel boykottiert, Ehrensache. Genau wie die deutsche Mannschaft durch frühzeitiges Ausscheiden.
Denn das nenne ich doch mal gut umgesetzte, wertegeleitete Außenpolitik. Klar, bei der Frage der One-Love-Binde haben sie noch schön devot die fleißigen Fifa-Zwerge gegeben – um dann, durch eine interessante Verkettung von Umständen, den echten Trumpf auszuspielen: Vorrundenaus. Denn seien wir ehrlich, Fußball gucken ohne sich auf die Seite einer (der jeweils eigenen) Mannschaft zu schlagen, ohne dieses „Wir gegen die“-Gefühl, macht nur ganz wenigen Menschen Spaß.
Mein Freund gehört unverständlicherweise dazu, was ich ebenso befremdlich wie bewundernswert finde. Vielleicht hat das damit zu tun, dass sein Heimatland Israel so selten an einer WM teilzunehmen bereit ist.
Was womöglich ebenfalls kluge Außenpolitik von israelischer Seite ist: In Katar werden schon israelische Fans und Reporter übelst beschimpft und bedroht. Damit, unter solchen ungemütlichen Umständen auch noch die eigenen Sportler ins Ausland zu schicken, hat das Land in der Vergangenheit die schrecklichsten Erfahrungen gemacht (München 72). Und wer wirklich was drauf hat – so ist es ja auch im wahren Leben –, muss niemandem was beweisen.
Ans bayerische Abitur kommt qualitativ nichts heran
Wie schön wäre es, wenn das endlich Maxime unseres Denkens werden könnte. Bisher leben wir ja noch immer nach den sehr patriarchalen Maximen vergangener Jahrhunderte. Jeder muss sich ständig gegenüber allen beweisen. Vater, Chef, Nachbar, Buddy – und wer noch nicht im eigenen Team mitspielt, muss es doppelt und dreifach –, um es dann trotzdem nur auf die Auswechselbank zu schaffen.
Peinlicher jüngster Ausdruck dieses verramschten Denkens war diese Woche die Debatte über eine erleichterte Einbürgerung in Deutschland. Klar, dass man die in den Augen etwa eines Alexander Dobrindts nicht jedem in den Rachen werfen kann wie Smarties, andere haben – äh – schließlich hart dafür gearbeitet. Haha, Scherz.
Obwohl: Klar, ans bayerische Abitur kommt qualitativ nichts heran, ich muss es wissen, ich habe es selbst kaum geschafft. Aber anscheinend ist es für viele immer noch leichter, sich selbst in Zeiten dramatischen Fachkräftemangels noch in den eigenen Fuß zu schießen, als das alte binäre Schlechter-besser-Denken fahren zu lassen. Oder zumindest durch eine kurze Recherche Abschlüsse aus anderen Ländern mit den eigenen fair zu vergleichen. Aber ich verstehe schon: Um alte Muster zu durchbrechen, braucht es viele Jahre Analyse – die ich der CSU und manchen anderen hiermit wärmstens ans Herz legen möchte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Oder, Vorschlag zur Güte: Wir bleiben beim „besser, geiler, größer“. Dann möchte ich aber künftig auch Auszeichnungen für diejenigen, die am besten, geilsten, schnellsten den Klimawandel bekämpfen und damit das Überleben auf diesem Planeten sichern. Das heißt dann, liebe CSU: Bundesverdienstkreuz für die Letzte Generation, Straßenblockaden bekommen Polizeischutz. Deal?
Wir lernen allerdings alle nicht nur von der letzten, sondern auch von der nächsten Generation. Auch ich bin nicht frei vom Wettbewerbsdenken. Wenn ich andere, kleinere (!) Kinder als meine Tochter rennen oder wie Scheunendrescher essen sehe, kickt auch in mir der Eifer. Zum Glück rutscht das Kind davon ungerührt weiter auf dem Po herum und sagt bei jeder zweiten Nudel nein, nein. Wettbewerb, my ass.
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