Vulkanausbruch verändert die Welt: Apokalypse damals
Vor gut 200 Jahren explodierte der indonesische Vulkan Tambora. Die Asche verfinsterte den Globus. Es gab keinen Sommer, nur Hunger.
Am 10. April gegen 19 Uhr brach am Tambora die Hölle los. Unter Brüllen und Donnern begann der Berg Feuersäulen auszustoßen, es regnete eine Mischung aus heißem Schlamm, Asche und Bimsstein. Immer wieder rasten Glutwolken die Hänge hinab, Lawinen aus heißem Gas und Gesteinsstaub, die alles in ihrer Bahn vernichteten. Innerhalb von Stunden war sämtliches Leben in der Umgebung ausgelöscht und von Asche bedeckt.
Noch 16 Jahre nach dem Ausbruch notierte ein Beamter der holländischen Handelsmarine: „In ihrer Raserei hat die Eruption von den Bewohnern nicht eine einzige Person, von der Fauna nicht einen Wurm, von der Flora nicht einen Grashalm verschont.“
Der Vulkanausbruch auf der indonesischen Insel Sumbawa, vor genau 200 Jahren, war der stärkste der Geschichte. Zehntausende Menschen fielen ihm direkt oder durch Hunger und Krankheiten zum Opfer. Dass aber die Eruption auch entfernte Teile der Welt ins Chaos stürzen könnte, ahnte niemand.
Martin Rasper, 53, ist Journalist in München. Seine Vorfahren wanderten infolge des Vulkanausbruchs 1817 aus Württemberg in den Kaukasus aus.
Doch die gewaltige Menge an Aerosolen, die der Vulkan ausgestoßen hatte, breitete sich aus, stieg in die Stratosphäre in zwanzig bis dreißig Kilometer Höhe, schirmte dort einen Großteil der Sonnenstrahlung ab und verursachte einen drei Jahre dauernden globalen vulkanischen Winter. Die mittleren Breiten waren besonders betroffen, vor allem Mitteleuropa, der Osten Amerikas und große Teile Südostasiens.
Petra Reski hat am eigenen Leib erfahren, wie schwer es ist, das Treiben der Mafia in Deutschland publik zu machen. Das liegt nicht nur am Presserecht, sondern auch an der Weigerung, das Problem sehen zu wollen. Mehr in der taz.am wochenende vom 11./12. April 2015. Außerdem: Auf dem Amerikagipfel treffen sich Obama und Raúl Castro. Was bedeutet die angekündigte Öffnung für das Land, das seit fast sechs Jahrzehnten seinen eigenen sozialistischen Weg geht?. Und: Die Codes der Kunstszene und die Gerüche der Rebellion: eine Begegnung mit der Autorin Rachel Kushner. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Es war das „Jahr ohne Sommer“, wie es in Amerika hieß, auch „Achtzehnhundertunderfroren“ genannt. Und es waren die größten gesellschaftlichen Turbulenzen, die jemals ein Naturereignis hervorgerufen hat.
In Europa traf die Wolke auf einen Kontinent, der nach zwanzig Jahren napoleonischer Kriege ohnehin am Rand der Erschöpfung war. Die Völker waren ausgeblutet; Hunderttausende waren auf den Schlachtfeldern gestorben, Zehntausende entlassener Veteranen irrten umher und suchten Arbeit. Dazu kam, dass sich schon in den Vorjahren das Klima drastisch verschlechtert hatte.
Das Wetter spielt verrückt
Bereits die Jahre ab 1810 waren ungewöhnlich kalt gewesen und hatten in aufeinanderfolgenden Jahren schlechte Ernten verursacht – sodass etwa in Württemberg die Getreidevorräte der Gemeinden längst aufgezehrt waren. Inzwischen weiß man, dass es bereits Ende 1808 oder Anfang 1809 einen großen Vulkanausbruch gab, der bis heute nicht lokalisiert ist, dessen Niederschlag sich aber in den Eisbohrkernen nachweisen lässt.
Ab 1816 geriet das Wetter dann völlig aus den Fugen. Schnee und Eis blieben monatelang liegen; es wurde nicht Frühling, es wurde nicht Sommer, das kümmerliche Getreide verfaulte an den Halmen. In manchen Gegenden gab es wochenlange Regenfälle und heftige Überschwemmungen; fast überall wurde der kälteste Sommer seit Menschengedenken registriert. In London fiel die Durchschnittstemperatur, die in den Jahren 1807 bis 1815 bei 10 Grad Celsius gelegen hatte, auf unter 4 Grad.
Überall hungerten Menschen. Ein Heer von Bettlern, Flüchtlingen und Entwurzelten irrlichterte durch Europas Städte und Landstriche. 1817 war in der Schweiz das Getreide dreimal so teuer wie im Vorjahr; Brot wurde zum Luxus. Grauenhafte Szenen spielten sich ab. Bauern strömten in die Marktflecken, um irgendwie an etwas Essbares zu gelangen; Menschen versuchten ihre Kinder zu verkaufen, weil sie sie nicht ernähren konnten.
Halb verfaulte Kartoffeln
Der preußische Stabschef Carl von Clausewitz, der im Frühling 1817 durch das Rheinland ritt, sah „stark geschwächtes Volk, kaum mehr menschlich, das auf der Suche nach halb verfaulten Kartoffeln über die Äcker lief“.
Doch so furchtbar diese Jahre für Millionen von Menschen waren – einige von denen, die nicht direkt am Verhungern waren, verarbeiteten das Geschehen kreativ. Das berühmteste Beispiel ist die Dichterclique um Lord Byron und Mary Shelley, die den ausgefallenen Sommer 1816 in Coligny am Genfer See verbrachte.
Byron schrieb, inspiriert durch das apokalyptische Wetter, sein Gedicht „Darkness“ – eine sprachgewaltige, von absoluter Hoffnungslosigkeit durchdrungene Weltuntergangsfantasie: „Das Licht verzweifelte, die Menschen sahn / unirdisch aus, als schlügen Blitze ein; / die einen fielen nieder und verhüllten / die Augen um zu weinen; andre stützten / das Kinn in ihre Hände, heiter fast; / noch andre eilten eifrig hin und her, / nährten die Scheiterhaufen, schauten wie / vom Wahn gehetzt empor zum trüben Himmel, / dem Leichentuch einer vergangenen Welt.“
Vor allem aber brachten diese sturmumtosten Monate am Genfer See zwei der berühmtesten Monster der Literaturgeschichte hervor: Mary Shelleys Roman „Frankenstein“ und die Kurzgeschichte „Der Vampyr“ von Byrons Freund John Polidori.
Monster der Literatur
Durch den endlosen Regen ans Haus gebunden, hatten die Freunde eines Abends vereinbart, dass jeder von ihnen eine Schauergeschichte erfinden solle. Da hatte Mary Shelley die Eingebung zu der Geschichte des Dr. Frankenstein und seines Monsters – die mit Sicherheit auch durch die Begegnungen mit den hungerleidenden, „halbdeformierten oder verblödeten“ Bauernkindern inspiriert war, auf die die Schriftsteller allerorten trafen.
Erstaunliche Folgen hatte der Ausbruch für die Malerei. Der Vulkanstaub bewirkte ungewöhnliche Himmelserscheinungen, vor allem spektakuläre Sonnenuntergänge. Landschaftsmaler begannen Himmel und Wolken in leuchtenden Gelb- und Orangetönen zu malen, wie man sie zuvor kaum gesehen hatte. Der griechische Atmosphärenchemiker Christos Zeferos wies 2007 in einer Studie nach, dass zahlreiche Bilder von William Turner, Caspar David Friedrich und Claude Lorrain, die zwischen 1812 und 1835 gemalt wurden, durch den Vulkanstaub beeinflusst waren: Das Farbenverhältnis dieser Gemälde korrelierte statistisch signifikant mit der „optischen Tiefe“ der Aerosole sowie dem „Dust Veil Index“, einer Messgröße für den Vulkanstaub in der Luft.
Auch die Erfindung des Fahrrads verdankt sich letztlich diesen trüben Jahren. Weil kaum ein Bauer sich noch ein Pferd leisten konnte, experimentierte der badische Erfinder Karl Drais mit muskelbetriebenen Fahrzeugen. Bereits seit 1813 hatte er an dem Prototyp eines zweispurigen Fahrzeugs gebaut; anschließend entwickelte er sein bekanntes Laufrad. Im Juni 1817 unternahm er in Mannheim seine erste öffentliche Fahrt mit dem bald „Veloziped“ genannten Gefährt: Schnellfuß.
Späte Erkenntnisse
Der Ausbruch des Tambora war ein globales Trauma. Es betraf die ganze Welt; aber weil die Welt noch nicht vernetzt war, merkte sie es nicht. Erst 1921 erkannte der amerikanische Physiker William Humphreys, dass es der Vulkan in Indonesien gewesen war, der so viel Unheil angerichtet hatte.
Wie würde eine ähnliche Krise heute wirken? Die Welt wäre in Echtzeit über jedes Detail informiert. Aber würde es auch eine globale Reaktion geben? Byron hatte noch die bittere Vorahnung, angesichts der Katastrophe würde der dünne Schleier der Zivilisation jederzeit zerreißen: „Der Krieg, für einen Nu nur nicht mehr da / er fraß sich wieder satt: mit Blut erkauft / ein Mahl, ein jeder saß verstockt für sich …“
Die Klimakatastrophe von 1816 war zwar fürchterlich, aber doch zeitlich begrenzt. Sie könnte dennoch ein Vorgeschmack darauf sein, was uns droht, falls das Weltklima in den kommenden Jahrzehnten endgültig kippen sollte. Denn dann ist die Sache nicht nach drei Jahren ausgestanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour