Vorwürfe von Ex-Turnerin: Kein Brot und Wasser
Kim Janas galt als Goldhoffnung des deutschen Turnens. Jetzt spricht sie, wie einige ihrer Ex-Kolleginnen auch, vom Missbrauch im System.
Welch herben Verluste Kim Janas in all den Jahren als Turnerin erleiden musste, war damals kein Thema. Die Kultur des Missbrauchs war so eine Selbstverständlichkeit, dass er als solcher selbst von den Betroffenen nicht erkannt wurde. Erst in den letzten Jahren beginnt sich das ein wenig zu ändern. Seit Jahresbeginn herrscht großes Entsetzen über die jahrelangen Missstände am Olympiastützpunkt in Stuttgart, seitdem die ehemaligen Turnerinnen Tabea Alt und Michelle Timm von schlimmsten physischem und psychischem Missbrauch berichteten.
Auch Janas hat nun erstmals via Instagram von einem brutalen System der Erniedrigungen und Entbehrungen berichtet. Sie schreibt, sie sei heute noch nicht ganz geheilt von dem, was sie erlebt habe. Der Weg an die Öffentlichkeit ist ihr nicht leichtgefallen. „Darf ich das überhaupt, 8 Jahre nachdem ich aufgehört habe?“, fragt sie zu Beginn. Eine Überlegung, die erahnen lässt, wie viele Erzählungen noch im Verborgenen liegen.
Die gebürtige Hallenserin kam im Alter von 14 Jahren nach Stuttgart „aufgrund der guten Trainingsbedingungen“, wie die sie unterstützende Talentstiftung Henning Tögel damals schrieb. Nun, die Bedingungen sahen, wie Janas berichtet, so aus: tägliches Wiegen und Taschenkontrollen auf Süßigkeiten. Sie sei „als Dicke dargestellt“ worden, weil sie 9 Prozent Körperfett aufgewiesen habe. Ihr seien Lebensmittel wie Brot, Aufstriche, Wurst und sogar Wasser verboten worden. Es sei normal gewesen, trotz leichter und schwerer Erkältungen, trotz Einnahme von Antibiotika zu trainieren. Auch Muskelfaserrisse, Kapselrisse oder Ödeme galten nicht als Hinderungsgründe.
„Ach, hab dich nicht so“
Bereits vor ihrem Wechsel nach Stuttgart, als sie 2013 ihren ersten Kreuzbandriss erlitt, erzählt Janas, habe ihre Heimtrainerin unmittelbar danach gesagt: „Ach, jetzt hab dich nicht so.“
Nach außen wussten Verantwortliche sich derweil rücksichts- und verständnisvoll zu präsentieren. Bundestrainerin Koch hob gegenüber der Süddeutschen Zeitung im April 2015 hervor, Janas habe „das Talent, sich selber zu schonen“. Sie verfüge über die Gabe, auf ihren Körper zu hören, Belastungssymptome zu orten, „und dann hält sie sich zurück“.
Nach ihrer Turnkarriere und ihrem Schulabschluss studierte Kim Janas Soziale Arbeit und nahm Gesangsunterricht. Im Jahr 2022 machte sie bei der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ mit.
Über die nun späten Einblicke in ihre Turnkarriere schreibt Janas von einem Zwiespalt, „mutig zu sein“, und dem Gefühl, „jetzt auch auf den Zug mit aufzuspringen“, weil genau das die Gesellschaft den Betroffenen signalisiere. Es schwingt also die Sorge mit, sich mit ihrer Offenheit angreifbar zu machen. Auch das lässt erahnen, wie weit aus Sicht von Kim Janas noch der Weg zu Veränderungen im Leistungsturnen ist.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale