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Vorwürfe gegen Berliner PolizeiSo werden Vorurteile bestätigt

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Todesschuss, Zivilpolizisten auf der Demo, ein peinlicher Einsatz beim Holocaust-Gedenken: Der Innensenator muss diese Vorfälle schnell aufklären.

Was dahinter passiert, sollte dringend aufgeklärt werden Foto: dpa

D ie Polizei, heißt es gern entschuldigend, sei auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Stimmt das, sollte sich Innensenator Andreas Geisel (SPD) angesichts der jüngsten gegen Linke gerichteten Vorfälle überlegen, ob wir tatsächlich schon in einer so reaktionären Stadt leben.

Oder ob es sich eben doch um Vorkommnisse handelt, die dringend aufgeklärt und vor allem auch aufgearbeitet werden müssen. Gern schon in der anstehenden Sitzung des Innenausschusses an diesem Montag.

Was ist passiert? Am Freitag erschießt in Friedrichshain ein Beamter eine 33-jährige wohl psychisch erkrankte Frau, offenbar Sympathisantin der linken Szene, in deren WG-Zimmer. Angeblich hatte sie den Beamten mit einem Messer angegriffen. Am Samstag drängt die Polizei laut Aussagen von Teilnehmern bei einer Holocaust-Gedenkveranstaltung in Marzahn auch Nachfahren von Nazi-Opfern ab. Sie hatten gegen die Teilnahme der Bezirks-AfD an dem Gedenken protestiert. Und vor wenigen Tagen hat die Berliner Polizei zugeben müssen, dass sie auf der von der Zivilgesellschaft organisierten riesigen Unteilbar-Demo 2018 rechtswidrig Zivilpolizisten eingesetzt hat.

Wer will, kann aus diesen drei Vorkommnissen innerhalb von nur einer Woche sein eigenes Bild zusammensetzen, ganz nach alter Manier: Die Polizei schützt Rechte, Linke hingegen werden von ihr als Staatsfeinde betrachtet, und sozial Benachteiligten der Schutz versagt.

Innensenator Geisel steht eigentlich für einen anderen Kurs, nämlich rechten und rechtsextremen Tendenzen entgegenwirken zu wollen. Das hat er zum Beispiel bei den regelmäßigen Neonazi-Demonstrationen für den einstigen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gezeigt.

Die Arbeit hört nie auf!

Doch wie beim Engagement gegen rechts gilt auch beim Einsatz für eine möglichst tolerante, offene und den Situationen angemessen reagierende Staatsmacht: Die Arbeit dafür hört nie auf; jeder noch so schöne Erfolg kann schon morgen durch einen Misserfolg zunichte­gemacht werden.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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3 Kommentare

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  • Ich hoffe stark, die tödlichen Schüsse auf die psychisch Kranke klärt nicht der Innensenator auf, sondern ein Staatsanwalt. Gewaltenteilung gibt es noch, oder?

    Und der Ablauf und die Partnersuche der Gedenkveranstaltung ist eine Angelegenheit der BVV. Natürlich drängt die Polizei im Zweifelsfall auch Nachfahren von NS-Opfern ab, um die Durchführung der Gedenkveranstaltung sicherzustellen.

    Es wäre Sache der BVV gewesen, die Veranstaltung so zu gestalten, dass das nicht passiert.



    Für den Innensenator gibt es da ja nun gar nichts aufzuklären.

    • @rero:

      Die Gewaltenteilung steht wann immer es um die Aufklärung von polizeilichen Fehlverhaltens bis schwerer Straftaten geht leider in Deutschland ganz generell in Frage. Der Innensenator ist in Berlin oberster Dienstherr sowohl von Staatsanwaltschaft als auch von der Polizei (dasselbe gilt auf Landesebene und Bundesebene), der Justizsenator ist oberster Dienstherr der Gerichte. Beide können Aufklärung fördern oder blockieren - echte politische Unabhängigkeit von Staatsanwaltschaft und Gerichten gibts nur in Italien und half dort große Mafiafälle bis weit in politische Reihen hinein aufzuklären weil eben die Politik weder Staatsanwälte noch Richter willkürlich versetzen oder mit "Dienstanweisungen" beeinflussen kann. Im Fall der Tötung Oury Jallohs wurde besonders deutlich wie politische Einflussnahme funktioniert. Als Oberstaatsanwalt Folker Bittmann schließlich von der schon mit gesundem Menschenverstand absurden Selbstmordthese ab rückte und wegen Mordes gegen die verdächtigen Beamten ermittelte, dafür sprechen mehrere forensische Gutachten sowie praktisch alle Indizien, wurde er versetzt und ihm damit der Fall entzogen. Seitdem weigern sich auch die Gerichte den Fall erneut aufzurollen - die Landespolitik agiert hier sichtbar unisono gegen die Aufklärung eines naheliegenden Mordverdachtes und schützt lieber "eigene" Staatsbedienstete.

      • @Nina Janovich:

        Der Berliner Justizsenator heißt Dirk Behrendt.

        Er ist so ziemlich der Letzte, der sich für Polizist_innen einsetzen würde, die auf psychisch Kranke schießen.

        Deshalb passt der Hinweis auf Oury Jalloh nicht.