Gedenken an die Holocaust-Opfer mit AfD: Gestörte Erinnerung

Beim „Stillen Gedenken“ des Bezirks Berlin-Marzahn für die Opfer des Holocaust darf die AfD weiter dabei sein. Antifa und VVN wollen das nicht zulassen.

Das NS-Konzentrationslager Auschwitz wurde am 27. Januar vor 75 Jahren von der Roten Armee befreit Foto: dpa

BERLIN taz | Wie sieht würdiges Gedenken an die Opfer von Faschismus und Holocaust im Jahr 2020 aus? Wie geht man mit Personen um, die dieses Gedenken offenkundig missbrauchen, um ihre Partei als normale demokratische Kraft zu etablieren, in deren Grundsatzprogramm das Erinnern an den Nationalsozialismus als „Verengung der deutschen Erinnerungskultur“ beschrieben wird und deren Führungskräfte selbigen zum „Vogelschiss“ erklären?

Um diese Fragen kreist die Auseinandersetzung um das „Stille Gedenken“ auf dem Parkfriedhof in Berlin-Marzahn am kommenden Samstag anlässlich des Holocaust-Gedenktags. Seit die AfD Ende 2016 ins Bezirksparlament von Marzahn-Hellersdorf gewählt wurde, wird sie – wie alle Fraktionen – zu dieser Veranstaltung von Bezirksverordnetenverammlung (BVV) und Heimatverein Marzahn eingeladen.

Der Protest dagegen wird von Jahr zu Jahr lauter: Im vorigen Jahr veröffentlichte die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) einen offenen Brief. Darin fordern zahlreiche NS-Überlebende, Nachkommen und Initiativen gegen rechts: „Am 27. Januar – kein Gedenken an die Opfer des Naziregimes zusammen mit der AfD!“ Landes- und Bezirkspolitiker sollten „rechtspopulistische und rechtsextreme Feinde der Demokratie“ von bezirklichen und städtischen Gedenkveranstaltungen ausladen.

Als seitens der offiziellen Politik niemand reagierte, mobilisierte die Antifa zum Protest: Etwa 30 vorwiegend junge Menschen versammelten sich beim Gedenken 2019 um die Stele, entrollten ein Transparent mit der Aufschrift „Der Opfer des Faschismus gedenken heißt auch den Rechtsruck bekämpfen“ – und hinderten AfD-Politiker daran, einen Kranz niederzulegen. Diese versuchten sich im Anschluss als Opfer einer „roten SA“ darzustellen. Auch die BVV-Vorsteherin Kathrin Henkel (CDU) übte scharfe Kritik an den „Störungen“. „Was letztes Jahr auf dem Friedhof passiert ist, war nicht würdig“, sagte sie der taz.

Bezirk macht weiter wie gehabt

Für dieses Jahr habe sie daher, so Henkel, Absprachen mit der Polizei getroffen, „damit die Veranstaltung wie geplant stattfinden kann“. Die AfD könne teilnehmen, da zum Gedenken traditionell alle Fraktionen eingeladen würden. „Ich bin Demokratin und akzeptiere, dass auch sie gewählte Vertreter sind“, sagte sie.

Wann und Wo: Samstag, 25. Januar, Parkfriedhof Marzahn, Wiesenburger Weg 10

Was: 10 Uhr vor dem Eingang: „Kundgebung für Frieden, Solidarität und Weltoffenheit gegen jeglichen Rassismus und faschistische Ideologien – Kein Gedenken mit der AfD“. 11 Uhr auf dem Friedhof an der Stele zur Erinnerung an die Opfer der Zwangsarbeit 1939–1945: Teilnahme an Kranzniederlegung und Stillem Gedenken. Veranstalter: VVN/BdA und Kiezgruppe gegen Rassismus Marzahn

Was noch: 11 Uhr ebenfalls an der Stele auf dem Friedhof: Antifaschistisches Gedenken in Marzahn – Geht nur ohne die AfD!. Vortreff: 10 Uhr am S-Bhf Ostkreuz (S7). Veranstalter: Bündnis „Antifaschistisches Gedenken“, ein Zusammenschluss verschiedener Antifa-Gruppen

Mehr: Veranstaltungen in ganz Berlin finden Sie zum Beispiel unter: berlin.vvn-bda.de. (taz)

Die Polizei erklärte auf taz-Anfrage, man werde sich im Lichte der vorjährigen Ereignisse sowie der aktuellen Protestaufrufe entsprechend vorbereiten, wie genau und mit wie vielen Beamten, werde kurzfristig entschieden.

Die Ankündigung des Bezirks fasst man wiederum bei der Antifa als „Kriegserklärung“ auf. So heißt es in einem über Indymedia verbreiteten Aufruf vom Bündnis „Antifaschistisches Gedenken“: „Mit Polizeigewalt will die Bezirksregierung die Gedenk-Heuchelei der AfD unterstützen und gleichzeitig Antifaschist*innen ausschließen.“

Gut möglich also, dass es hoch hergehen wird am Samstag auf dem Friedhof. Eine Vorstellung, die Uta G. von der Kiezgruppe gegen Rassismus Marzahn nicht sehr angenehm ist. Auch sie, die ihren vollen Namen aus Angst vor der NPD, von der sie bereits bedroht worden sei, nicht in der Zeitung lesen möchte, fand die Protestaktion der „jungen Antifa“ im vorigen Jahr „nicht ganz angenehm, nicht so, wie wir das im Osten gewohnt sind“. Dennoch wolle sie nicht, „dass man die Demokraten gegeneinander ausspielt. Es gibt keine guten oder schlechten Antifaschisten.“

„Der Eklat ist, dass die AfD teilnimmt“

Für dieses Jahr hat die Kiezgruppe zusammen mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz und der VVN zu einer „Kundgebung für Frieden, Solidarität und Weltoffenheit gegen jeglichen Rassismus und faschistische Ideologien – Kein Gedenken mit der AfD“ aufgerufen. Reden wird wird unter anderem der VVN-Ehrenvorsitzende Hans Coppi, Sohn von Hilde und Hans Coppi, die als Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ von den Nazis in Plötzensee hingerichtet wurden. Im Anschluss werde man gemeinsam am Stillen Gedenken an der Stele für die Opfer der NS-Zwangsarbeit teilnehmen, so G.

Enttäuscht vom „Weiter so“ des Bezirks ist auch Marcus Tervooeren, Geschäftsführer der VVN. Das Problem im vorigen Jahr sei nicht die „Störung“ der Antifa gewesen, wie CDU und Heimatverein meinten: „Der Eklat ist, dass die AfD an der Veranstaltung teilnimmt. Das ist für uns nicht hinnehmbar.“ Zwar könne er „formal-demokratisch“ das Argument verstehen, dass man die AfD als „Teil des demokratischen Systems“ nicht von öffentlichen Veranstaltungen ausschließen könne. Aber er fände es gut, so Tervooeren, „wenn sich PolitikerInnen als Privatperson laut und öffentlich davon distanzieren, dass die AfD das Gedenken instrumentalisiert“.

Die BVV-Vorsteherin aus Marzahn scheint kein derartiges Bedürfnis zu haben. Auf eine diesbezügliche Frage erklärte sie lediglich, es gebe genug Möglichkeiten, sich entsprechend zu äußern, etwa in der BVV. „Da hat Protest seinen Platz“, so Henkel.

Ganz anders reagierte der Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, Michael Grunst (Linke), auf die Frage nach Distanzierung von der AfD. „Ich teile die Kritik von VVN/BdA“, sagte er der taz. Die Teilnahme von AfDlern an NS-Gedenkverstaltungen sei „unerträglich für die Angehörigen“. Dennoch sei es „schwierig“, solche Leute von öffentlichen Veranstaltungen auszuschließen.

Antifa fordert Ausschlussklausel

In Lichtenberg hatten 2018 ein paar Dutzend Antifaschisten den AfD-Stadtrat Frank Elischewski daran gehindert, einen Gedenkkranz niederzulegen. Darauf hatte Grunst im vorigen Jahr alle Veranstaltungen des Bezirks selbst besucht. „Keiner von der AfD legt mehr Kränze nieder, wir organisieren das.“ Daraüber hinaus, findet Grunst, sei zivilgesellschaftlicher Protest das Beste: „Der kann ruhig laut sein.“

Für das kommende Jahr fordert das Bündnis „Antifaschistisches Gedenken“, dass die Einladung des Bezirks eine „Ausschlussklausel“ für Personen enthalte, „die eine (neo-)faschistische oder menschenverachtende Politik vertreten oder befürworten“. Eine solche habe es zum Beispiel beim Bezirksaufruf zum Gedenken an die „Köpenicker Blutwoche“ 2018 gegeben, erklärte Tim Reiche vom Bündnis.

Dass dies in Marzahn geschehen wird, ist unwahrscheinlich. Denn beim Mitveranstalter der BVV, dem Heimatverein Marzahn, gibt es eine beachtliche personelle Überschneidung mit der AfD. Mindestens drei Mitglieder der AfD-Fraktion in der BVV sind auch Mitglieder des Vereins, wie dessen veröffentlichte Mitgliederliste zeigt, ebenso Gunnar Lindemann, der für die Rechten im Abgeordnetenhaus sitzt und bekennender Fan des rechten „Flügels“ ist.

Angesichts dessen fordert das Antifa-Bündnis auch, dass die Gedenkveranstaltung vom Heimatverein gelöst wird. „Aber da“, so Reiche, „traut sich niemand ran.“

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