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Vorratsdatenspeicherung vor EuGHTodesstoß für den Zombie

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Wer ist wann online, telefoniert oder simst? Das wüsste Deutschlands Politik gern – und zieht damit vor den EuGH, obwohl sie scheitern wird.

Der gläserne Mensch Foto: Ute Grabowsky/photothek/imago

D ie Vorratsdatenspeicherung ist der Zombie der deutschen Innenpolitik. Immer wieder wird sie gesetzlich eingeführt, aber noch nie wurde sie praktiziert. Das aktuelle deutsche Gesetz wurde 2015 von der großen Koalition beschlossen und dann 2017 kurz vor dem Start von der Bundesnetzagentur ausgesetzt – mit Blick auf die strenge Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Am Montag verhandelte der EuGH in Luxemburg nun endlich über das deutsche Gesetz; in einigen Monaten wird das Urteil verkündet. Und es ist damit zu rechnen, dass der EU-Gerichtshof dem Zombie Vorratsdatenspeicherung einen neuen Todesstoß versetzt.

Was soll das eigentlich?

Als Vorratsdatenspeicherung (VDS) bezeichnet man die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten Bevölkerung. Die Provider müssen dabei zum Beispiel festhalten, wer wann wen angerufen, angemailt oder angesimst hat, und wer wann wo sich mit welcher IP-Adresse ins Internet eingeloggt hat. So sollte ein riesiger Datenfundus entstehen, auf den die Polizei bei Bedarf zugreifen kann.

Der EuGH hat die verdachtslose Speicherung von sensiblen Daten der gesamten Bevölkerung mehrfach als generell unverhältnismäßig beanstandet. Die EU-Staaten bis hin zum Bundesverfassungsgericht haben das aber nie akzeptiert. Im Oktober 2020 hat der EuGH daher in Fällen aus England und Frankreich punktuell nachgegeben. Zumindest eine anlasslose Speicherung von IP-Adressen hält er nun für zulässig, um die Verbreitung von Kinderpornografie bekämpfen zu können.

Doch was macht die deutsche Politik? Statt das deutsche Gesetz sofort den neuen Anforderungen und Zugeständnissen des EuGH anzupassen, wartet sie ein weiteres Jahr untätig, bis der EuGH auch das deutsche Gesetz geprüft und beanstandet hat. Nichts zeigt deutlicher, dass es den In­nen­po­li­ti­ke­r:in­nen eben nicht um die Sache, sondern um bloße Symbolpolitik geht. Lieber wird das Siechtum des Untoten beklagt, als ihn zu einem halbwegs verträglichen Leben zu erwecken.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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3 Kommentare

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  • "um die Verbreitung von Kinderpornografie bekämpfen zu können"

    Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung ist kriminell. In der Kriminalstatistik ist einer der kleinsten Punkte: Kinderpornografie. Und nicht alles in der Statistik ist das was wir unter Kinderpornografie denken... da ist auch der 20 Jährige der noch ein Nacktfoto seiner damals 15 jährigen Ex bei einer Untersuchung wegen anderer Delikte auf dem Handy hat.

    Kinderpornografie rechtfertigt hier alles. Was in den USA "national security" ist, ist hier Kinderpornografie. Das Zauberwort jede Verschärfung des Rechts zu rechtfertigen.

    Nur weil Kipo widerlich ist, ist es noch lange kein Problem, dessen Größe solche Maßnahmen je rechtfertigen würde.

  • Vielleicht lässt man den Zombie Vorratsdatenspeicherung nun tatsächlich endlich in Frieden ruhen. Nur sind die nächsten Monstrositäten längst in Form von Quellen-TKÜ/Onlinedurchsuchung/Bundestrojaner nachgewachsen und erlauben nicht nur ex-post Verbindungsdaten nachzuvervolgen sondern die kompletten Nutzdaten der Kommunikation in Echtzeit abzugreifen. Noch ist der Katalog der Straftaten bei denen diese zur Anwendung kommen einigermaßen begrenzt (etwa Terror, MOrd, Kinderpornographie aber auch Verstöße gegen das Asyl- und Aufenthaltsgesetz), aber dass nach der nächsten spektakulären Straftat der Ruf nach Ausweitung kommen wird ist so gut wie sicher.

    • @Ingo Bernable:

      Seit letzte Woche wissen wir doch aber das "Terror" so wunderbar flexibel einsetzbar ist.



      Damit hast Du eh ca. 90% der Fälle im Sack.