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Vormarsch der afghanischen TalibanWeitere Städte erobert

Inzwischen kontrollieren die militanten Islamisten schon sechs Provinzhauptstädte. Regierungstruppen versuchen Kundus zurückzuerobern.

Eine afghanische Familie ergreift am Sonntag die Flucht vor Kämpfen im westafganischen Herat Foto: Hamed Sarfarazi/ap

Berlin taz | Die afghanischen Taliban haben am Montag zwei weitere Provinzhauptstädte eingenommen. Sar-i Pul in der gleichnamigen Nordprovinz ist nach mehr als einwöchigem Widerstand von Armee und Polizei gefallen, teilte der Provinzratschef Mohammed Noor Rahamani laut AFP am Montag mit. Regierungskräfte hätten sich aus der Provinz zurückgezogen, lokale Milizen sich kampflos ergeben.

Zuvor hatte die afghanische Nachrichtenseite Tolo News berichtet, die Taliban hätten dort den Gouverneurssitz, das Polizeihauptquartier und das Büro des Geheimdienstes eingenommen.

Am Montag meldeten Agenturen, dass auch Aibak, die Hauptstadt der nördlichen Provinz Samangan, von den Taliban kampflos eingenommen worden sei. Die Regierungstruppen seien geflohen. Dort wie in Sar-i Pul leben vor allem ethnische Usbeken und Tadschiken.

Damit haben die Taliban in vier Tagen sechs von 34 Provinzhauptstädten eingenommen. Am Freitag hatten sie Sarandsch (Provinz Nimrus), am Samstag Schebgerghan (Dschuzdschan) und am Sonntag Kundus (Kundus) und Talokan (Takhar) erobert.

Kundus ist mit 370.000 Einwohnern davon die größte und strategisch wie symbolisch wichtigste Stadt. Den früheren Bundeswehrstandort hatten die Taliban schon 2015 und 2016 jeweils für wenige Stunden eingenommen. Damals halfen vor allem US-Spezialtruppen samt ihrer Bomber bei der Rückeroberung.

Jetzt halten Regierungstruppen noch den außerhalb gelegenen Flughafen und eine ebenfalls außerhalb gelegene Kaserne. Seit Montag versuchen sie offenbar eine Rückeroberung, wie andauernde heftige Schusswechsel nahelegen. Es ist mit vielen Opfern und weiteren Zerstörungen der Stadt zu rechnen.

Der BBC berichtete ein Bewohner aus Kundus, die Taliban hätten sich auf einen Angriff vorbereitet, in dem sie Löcher in die Wände von Nachbarhäusern schlugen, um zwischen ihnen hin- und herwechseln zu können, ohne die Straße nutzen zu müssen. Viele Bewohner versuchen aus der Stadt zu fliehen.

Mehrfach machten Lokalpolitiker ausbleibende Unterstützung aus Kabul für Niederlagen verantwortlich. So berichtete die Provinzrätin Machboba Rahmat der dpa aus Aibak, dortige Sicherheitskräfte hätten das Verteidigungsministerium um Luftangriffe gebeten, aber dieses habe nicht auf sie gehört. „Sie dachten, wenn die Regierung ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt, werden sie ihr Leben nicht für die Regierung riskieren“, so Rahmat. Stammesälteste handelten Aibaks Übergabe aus.

Ein panischer Zusammenbruch?

Auch durch Propaganda und Versprechen gelingt es den Taliban immer wieder, Regierungskräfte zur Kapitulation zu bewegen. Statt eines geordneten strategischen Rückzugs erwecken diese dann eher den Eindruck eines panischen Zusammenbruchs.

Umkämpft ist weiterhin Lashkar Gah, Hauptstadt der Südprovinz Helmand. Hier hält die Armee laut Tolo News noch zwei Distrikte. US-amerikanische und afghanische Flugzeuge bombardierten dort am Wochenende Taliban-Stellungen, trafen aber laut Tolo News auch eine Schule und ein Krankenhaus. 20 Zivilisten starben. Schon seit einem Monat belagern die Taliban Afghanistans zweitgrößte Stadt Kandahar.

Laut UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sind allein im Juli mehr als tausend Menschen durch Kämpfe in den Provinzen Helmand, Kandahar und Herat getötet oder verletzt worden. Nach Angaben des Kinderhilfswerk Unicef starben in den letzten 72 Stunden in nur drei Provinzen 27 Kinder bei Kämpfen, 136 seien verletzt worden.

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