Vorentscheid zur Europawahl: Grüne klicken sich ins Chaos
Nur 22.000 machen bei der „Green Primary“ mit. Ska Keller gewinnt – dennoch will sich Rebecca Harms gegen sie als deutsche Spitzenkandidatin bewerben.
BERLIN taz | Noch gut eine Woche, dann wollen die Grünen ihr Spitzenduo für die Europawahl aufstellen. Doch je näher der Parteitag in Dresden rückt, desto komplizierter wird die personelle Gemengelage. Zu verdanken haben das die Grünen nicht zuletzt einem Onlineexperiment, mit dem sie sich als Mitmach-Avantgarde präsentieren wollten. Stattdessen blicken sie nun auf ein stattliches Kuddelmuddel.
Seit Mittwoch steht fest: Die Bewerberin für die deutsche Spitzenkandidatur, Rebecca Harms, 57 Jahre, Veteranin des Anti-Atom-Protests und Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, ist bei einer europaweiten Onlinevorwahl ihrer Partei durchgefallen. Im Rennen um die europäische Spitzenkandidatur landete Harms auf Platz drei von vier grünen Bewerbern, deutlich hinter einer jungen, deutschen Konkurrentin, die vor kurzem noch fast niemand kannte: Ska Keller, 32 Jahre, geboren in Brandenburg, seit 2009 für die Grünen im Europaparlament, Kandidatin der Europäischen Grünen Jugend.
Während Ska Keller bei der so genannten „Green Primary“ 11.791 Onlinestimmen bekam und nun mit dem zweitplatzierten Franzosen José Bové gemeinsam das europäische Spitzenduo für den Europawahlkampf bildet, holte Rebecca Harms nur 8.170 Klicks.
Was aber heißt das Ergebnis für die Europaliste der deutschen Grünen? Steht der EU-Spitzenkandidatin nun auch Platz eins auf der deutschen Liste zu? Darüber wird jetzt parteiintern heftig diskutiert. Die Onlineverliererin Rebecca Harms, derzeit mit einer Delegation des Europaparlaments in der Ukraine unterwegs, denkt nicht daran, den Spitzenplatz kampflos zu räumen: „Meine Kandidatur für Platz eins der Europaliste der deutschen Grünen gilt weiter“, sagte sie der taz.
Relevanz der Abstimmung ist umstritten
Ska Keller wiederum ließ zunächst offen, ob sie in Dresden eine Kampfkandidatur wagen wird. Unterstützung bekommt die 32-Jährige – wenig verwunderlich – vom Parteinachwuchs, der aus dem „deutlichen Ergebnis“ der Onlineabstimmung einen Anspruch auf ihre Kandidatur in Deutschland ableitet. „Wenn man das europaweite Ergebnis einfach ignoriert, hieße die Botschaft: Die Primary ist eine lustige Bespaßungsveranstaltung, aber sie hat keine große Relevanz“, warnt der Sprecher der Grünen Jugend, Felix Banaszak.
Doch gerade die Relevanz und Aussagekraft des Pilotversuchs sind auch unter Grünen umstritten. Schließlich fiel die Beteiligung peinlich niedrig aus: 22.000 Teilnehmer bei einer Abstimmung, die nicht nur Parteimitgliedern offen stand, sondern allen interessierten Bürgern über 16 Jahren aus 28 europäischen Ländern. Allein in Deutschland haben die Grünen 60.000 Mitglieder.
„Eine Abstimmung europaweit mit 22.000 Votes ist doch wohl ein Witz“, twitterte der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Selbst der Chef der Europa-Grünen, Initiator des Projekts, klang zerknirscht: „Wir sind nicht zufrieden“, sagte Reinhard Bütikofer. Die deutsche Grünen-Spitze äußerte sich ebenfalls bemerkenswert verhalten. Zu ihrer Sicht auf die Kandidatenfrage schwiegen Simone Peter und Cem Özdemir. „Wer für welchen Platz kandidiert, entscheiden die Kandidatinnen und Kandidaten“, teilten sie knapp mit.
Auch für Bütikofer selbst könnte der Online-Flop kurz vor dem Nominierungsparteitag gefährlich werden. Der Europaabgeordnete Sven Giegold hat bereits Ambitionen auf den von Bütikofer beanspruchten Listenplatz zwei angemeldet. Allerdings nur, falls Rebecca Harms den ersten Platz belegt. Es bleibt also vorerst unübersichtlich.
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