Vor den Wahlen in Großbritannien: Britischer Pott
Die Kohleregion Bolsover war jahrzehntelang in Labour-Hand. Bis 2019. Nun will Labour den Wahlkreis zurückerobern.
U nweit einer ausrangierten Lore, in der Blumen gepflanzt sind, stehen auf einer Tafel die Namen von 80 Bergarbeitern. Vor knapp 74 Jahren, am 28. September 1950, kamen sie bei einem Feuer in der Kohlegrube der mittelenglischen Kleinstadt Creswell in der Grafschaft Derbyshire ums Leben. Direkt daneben preist ein großes, buntes Schild ein neu eröffnetes Kulturzentrum am Dorfrand an. Umgerechnet rund 3 Millionen Euro hat es gekostet, 174.000 mehr als geplant, wegen gestiegener Baukosten. Das ist viel für die 5.000-Seelen-Gemeinde Creswell.
Vor der Grundschule warten mehrere Eltern. Auf Nachfrage klagen sie über die Gemeindesteuer, die alle britischen Haushalte je nach Wohnort und Wert ihrer Unterkunft zahlen müssen. In Creswell hat der Labour-geführte Gemeinderat die Steuer dieses Jahr um 93 Prozent erhöht – um damit einen Teil der Kosten ebenjenes im April eröffneten „Zentrums für Kulturerbe und Wellness“ zu decken. Und auch dessen Nutzung lässt sich die Gemeinde teuer bezahlen. „Die wollen für eine Fitnessclubmitgliedschaft 30 Pfund (umgerechnet 35 Euro, die Red.) pro Monat, und ich kann mir das von meinem Gehalt als Pflegerin nicht leisten!“, schimpft die 32-jährige Kirsty. Bei einer Party im Kulturzentrum sei das Essen miserabel gewesen. Die anderen Eltern um sie herum stimmen zu.
Wählen gehen will bei den britischen Parlamentswahlen am 4. Juli von diesen jungen Eltern niemand. Dabei will die britische Labour-Opposition den Wahlkreis Bolsover, zu dem auch Creswell gehört, bei der Parlamentswahl wieder zurückerobern und braucht jede Stimme.
Bolsover ist ein sogenannter „Red-Wall“-Sitz, eine ehemalige rote Labour-Hochburg, die wie viele andere bei den letzten Wahlen 2019 an die Konservativen fiel. Seit 1935 hatte Labour diesen Wahlkreis im Parlament vertreten, zuletzt über 30 Jahre lang mit dem Labour-Urgestein, Dennis Skinner, ein Abgeordneter mit recht unberechenbarem Temperament, der kein Blatt vor den Mund nahm. Mit 87 Jahren wurde Skinner, dem man den Spitznamen „Biest von Bolsover“ gegeben hat, 2019 von dem damals erst 33 Jahre alten Mark Fletcher abgelöst. Reihenweise fielen Labour-Wahlkreise an die Tories unter Boris Johnson mit seinem Versprechen, den Brexit zu vollenden und dann abgehängte ehemalige Industrieregionen wiederaufzubauen.
Am 4. Juli wählt das Vereinigte Königreich ein neues Parlament. Gewählt werden ausschließlich Wahlkreisabgeordnete für 650 Direktmandate. Der konservative Premierminister Rishi Sunak kämpft gegen Labour-Oppositionschef Keir Starmer. Rechts regt sich Opposition in Form der Partei „Reform UK“ von Nigel Farage.
Die letzten Wahlen 2019 hatten die Konservativen unter Boris Johnson klar gewonnen, mit 43,6 Prozent der Stimmen (365 Sitze). Labour unter Jeremy Corbyn kam auf 32,1 Prozent (202 Sitze). Die Liberaldemokraten folgten mit 11,6 Prozent (11 Sitze), dann die Schottische Nationalpartei (SNP) mit 3,9 Prozent (48 Sitze), die Grünen mit 2,6 Prozent (1 Sitz) und die Brexit Party von Nigel Farage mit 2 Prozent (kein Sitz). Nach Nachwahlen, Aus- und Übertritten hielten die Konservativen zuletzt 344 Sitze, Labour 205, die SNP 43 und die Liberaldemokraten 15.
In den aktuellen Umfragen liegt Labour klar vorne. Die Umfragezahlen Anfang dieser Woche geben Labour 42 Prozent, den Konservativen 20,5, Reform UK 15,5, den Liberaldemokraten 10,5, den Grünen 6 und der SNP 3 Prozent. In manchen Umfragen liegt Reform UK sogar vor den Konservativen. Wegen des großen Labour-Vorsprungs ergeben solche Zahlen eine gigantische absolute Mehrheit im Unterhaus: 435 der 650 Sitze für Labour, 96 für die Konservativen, 6 für Reform UK, 63 für die Liberaldemokraten und 4 für die Grünen. Die SNP in Schottland würde auf 24 Sitze schrumpfen. Seit Beginn des Wahlkampfes befinden sich Labour und die Konservativen beide im leichten Sinkflug, vor allem zugunsten von Reform UK. (taz)
Fletcher gilt als etwas unkonventioneller Konservativer. Er hat zwar in Cambridge studiert, stammt aber aus einer Arbeiterfamilie in Doncaster, hat offen darüber gesprochen, dass er einen gewalttätigen Stiefvater hatte, und macht auch aus seiner Homosexualität kein Geheimnis. Dass er in Bolsover siegte, grenzt an ein Wunder. Denn nahezu alle vor Ort bestätigen auch heute, dass Labour die Identität der Menschen hier nach wie vor stark präge. Die Region war traditionelles Kohlerevier, die Arbeit unter Tage schwer, die Menschen fühlten sich nur durch Labour und die Gewerkschaften politisch vertreten.
Als die taz im Wahlkampf 2019 die Region besuchte, erzählten viele, dass Labour unter ihrem damaligen Vorsitzenden Jeremy Corbyn nicht mehr die Werte der Menschen hier vertrete: Labour stehe nicht klar genug hinter dem Brexit, Corbyn treffe sich mit „Terroristen“. Gemeint war, dass er Vertreter von IRA, Hamas und Hisbollah traf und sie im britischen Parlament als „Freunde“ bezeichnete.
Corbyn ist längst Geschichte, aber die Entfremdung zwischen den alten Bergarbeitergemeinschaften und der Labour-Partei wirkt nach. Vor dem ehemaligen Klubhaus der Bergleute, in dem jetzt Mietwohnungen untergebracht sind, stößt man auf den Armeeveteran Dean Haley. „Ich habe einen Antrag auf eine Sozialwohnung in den Neubauten um die Ecke gestellt“, erzählt der 52-Jährige. Doch er habe keine bekommen. Sein Großvater, erzählt er weiter, habe einst in Hausnummer 12 der Bergwerkssiedlung gewohnt. Anders als seine Vorfahren werde er bei diesen Wahlen nicht Labour wählen.
Es gehe ihm nicht nur um die Gemeindesteuer, die kürzlich erhöht wurde, sagt er: Nein, die Partei werde schließlich auch noch von einem Sir geleitet – Keir Starmer erhielt den Titel im Jahr 2014. Haleys Meinung nach gehört er deswegen nicht mehr zur Arbeiterklasse. Im Fernsehen hat Haley Nigel Farage gesehen und ist angetan. Farage, sagt er, werde mit seiner rechtspopulistischen Partei „Reform UK“ für Ordnung sorgen: zum Beispiel dafür, dass keine Leute mehr auf Booten nach Großbritannien kämen, um dann hier Asyl zu bekommen.
Der Name Nigel Farage fällt in Gesprächen oft. Viele sprechen von der „unmissverständlichen Art“ des Parteiführers von Reform UK, der als ehemaliger Chef der EU-feindlichen UK Independence Party (Ukip) mitverantwortlich für den Brexit war.
Die größte Hoffnung der Bewohner:innen liegt in prekärer Kurzarbeit
Die 13.000-Einwohner:innen-Stadt Shirebrook in der Nachbarschaft von Creswell ist ein ziemlich heruntergekommener Ort. Nach der Schließung der Kohlegruben Anfang der 1990er Jahre lag die größte Hoffnung der Bewohner:innen in prekärer Kurzarbeit unter teils skandalös schlechten Bedingungen im Lagerhaus eines bekannten Sportartikelunternehmens.
Auf dem Marktplatz begegnet man vor einem Imbiss Kerry und Steven Kirk, Tochter und Vater. Sie ist 49, er 74 Jahre alt. Die hohen Einwanderungszahlen machen ihnen Sorgen, sagen sie. Außerdem brauche das Land eine bessere Infrastruktur und eine bessere Verteidigung. Wem werden sie ihre Stimmen geben?
„Nigel Farage sagt, was er denkt“, findet Steven. Seine Meinung hat er sich über politische Diskussionsrunden im Fernsehen gebildet. „Ich habe 2019 konservativ gewählt, aber die Dinge haben sich verschlechtert“, sagt seine Tochter Kerry. Seit Neuestem, und symbolisch für den Zerfall des Zentrums, wie Kerry findet, gebe es in der ganzen Stadt keine einzige Bankfiliale mehr. Und Labour wolle alte Rentner:innen besteuern, behauptet sie.
Kerry Kirk, Bewohnerin von Shirebrook
Dass Menschen wie Kerry Angst vor Steuererhöhungen haben, wenn sie an Labour denken, hat sich die Partei selbst zuzuschreiben. In Polit-Talks haben Labour-Vertreter:innen es bisher nicht geschafft, eine klare Antwort auf die Frage zu geben, welche Steuern genau sie erhöhen würden, wenn – wie versprochen – die Lohnsteuer, Unternehmenssteuer und auch die Sozialversicherungsbeiträge tabu seien. Die regierenden Konservativen versuchen, diese Ängste zu schüren: Man könne Labour nicht trauen, sagen sie und empfehlen den Leuten, für den Fall eines Labour-Wahlsieges schon mal Geld beiseitezulegen. Aber es waren Entscheidungen der Konservativen, welche die Steuerlast des Landes auf ein 70-jähriges Rekordhoch geschraubt haben. Deswegen will niemand höhere Steuern sehen.
Steven Kirk macht sich vor allem Sorgen um seine Enkelkinder, für die alles schwerer geworden sei. Solange die Gruben in Betrieb waren, kümmerte sich das Kohlebergwerk um die Gemeinschaften. Als dieses schloss, zerfiel Shirebrook, heißt es in einer Studie der Manchester University. Statt mit dem Finger auf den Zerfall der Industrie und die Austeritätspolitik zu zeigen, wurde die Einwanderung aus Osteuropa verantwortlich für alle Probleme gemacht.
Nigel Farage predigt bis heute das vermeintliche Problem der Masseneinwanderung und kritisiert, die Konservativen hätten ihre Versprechen nicht gehalten, die Einwanderung zu senken. Er verweist auf die Zehntausende Menschen, die jedes Jahr illegal auf kleinen Booten nach England reisen, und auf die Rekordzahlen legal eingewanderter Personen aus aller Welt – von denen übrigens kaum jemand in Bolsover wohnt.
„Labour und Konservative bewegen sich im Kreis“
Tim State, 62, auf dem Kopf eine Baseballmütze mit Union Jack, verkauft in Shirebrook Elektromobile für Menschen mit Gehbehinderungen. Labour habe bei ihm keine Chance mehr, sagt er. Der Schaden, den der ehemalige Labour-Chef Corbyn der Partei angetan habe, bestehe weiter, und man sehe ja, was Labour vor Ort anstelle. „Labour und Konservative bewegen sich im Kreis. Sie können ihre Versprechen nicht einhalten und täuschen die Leute. Diese Parteien brauchen jemanden, der sich ihnen entgegenstellen kann: Nigel Farage!“ Auch er hat Farage im Fernsehen gesehen. Und ihm gefiel, was er sah.
Tim State zeigt auf einen Namen auf einer Gedenktafel, die alle toten Grubenarbeiter der Stadt zwischen 1896 und der Schließung des Kohlezeche 1993 auflistet: Es ist der seines Onkels.
Anders als im Nachbarort Ashfield, wo Nigel Farages Partei Reform UK im März durch den Übertritt des ehemaligen Vize-Geschäftsführers der Tories ihren ersten Unterhaussitz ergatterte, ist der Reform-Kandidat für Bolsover, Robert Reaney, kaum in den sozialen Medien aktiv. Reform UK macht in diesem Wahlbezirk eher wenig Wahlwerbung. Labour ist in dieser Region viel aktiver. Deren Wahlplakate zeigen in dieser Region, anders als in London, einen Union Jack. Labour-Chef Starmer will konservativ angehauchten Wähler:innen zeigen, dass nach dem Nato- und Atomwaffenkritiker Corbyn seine Partei heute eine patriotische ist.
Tim State, Bewohner von Bolsover
Ein 71-Jähriger, der sein Haus in Shirebrook mit Labour-Plakaten geschmückt hat, nennt Farage einen „Deutschen,“ bevor er sich sofort entschuldigt. „Ich meinte damit, dass er wie die Nazis ist“, korrigiert sich der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er selbst sei immer für Labour gewesen, und Labour sei weiterhin die einzige Partei, die ein gutes Gesundheitssystem garantieren könne.
Ein 35-jähriger Buchhalter und junger Vater aus Creswell geht noch weiter: „Die Tories haben das Land in den vergangenen 14 Jahren bis auf die Knochen heruntergewirtschaftet“, sagt er. Sie seien immer mehr nach rechts gerutscht, aber auch Labour sei heute mehr nach rechts gerückt und habe sich von den Werten der Bergleute seiner Kindheit entfernt. Auch er will nicht mit Namen genannt werden.
Die Labour-Fraktionsführerin öffnet die Tür im Pyjama
Auch im winzigen Dorf Whaley steht vor einem Haus ein Labour-Schild. Das ist unüblich mitten auf dem Land. Auf Klopfen an der Tür öffnet die Fraktionsführerin der Labour-Fraktion im Regionalparlament von Derbyshire, Joan Dixon. Es ist Mittag, sie ist noch im Pyjama und entschuldigt sich. „Ich habe in den vergangenen Tagen ununterbrochen an Haustüren angeklopft und mich in den Geschäften gezeigt“, sagt sie. Neben der Präsenz in den sozialen Medien ist der Haustürwahlkampf das Wichtigste bei diesen Wahlen. Heute sei ihr erster Vormittag, an dem sie sich etwas Ruhe gönnen könne.
Dass sie überhaupt mit der taz spricht, ist nicht selbstverständlich. Einen Tag vorher hatte die Labour-Abgeordnete und Wahlkreiskandidatin Natalie Fleet gegenüber der taz noch bedauert, dass die Partei ihr verboten habe, Interviews zu geben – anders als 2019. Andere Kandidat:innen, sowohl von Labour als auch von anderen Parteien, reagieren meist nicht einmal auf Anfragen. Solche Parteidirektiven, im Wahlkampf nicht mit den Medien zu sprechen, sind in Großbritannien nicht ungewöhnlich.
Dixon spricht dennoch mit der Presse. Ein Hauptproblem in der Region sei das politische Desinteresse jüngerer Menschen, sagt sie. Viele gingen nicht mehr wählen. Immerhin, Labour liegt in den Umfragen uneinholbar vorn.
Dann schimpft Dixon über den konservativen Kandidaten Mark Fletcher und darüber, dass er behaupte, er habe einen zahnärztlichen Dienst gerettet und dazu beigetragen, dass eine neue Oberschule in Bolsover eröffnet wurde. „Er hat lediglich einen Brief geschrieben, das ist alles“, sagt die Labour-Regionalpolitikerin.
Und die Sache mit dem Kulturzentrum in Creswell? „Die Stadt hat ihr Sportzentrum und das Schwimmbad vor Jahren verloren, und die Bevölkerung wollte etwas Neues, da es keinen Ort mehr gab, der Aktivitäten für Kinder anbot“, verteidigt sie die Entscheidung. Denn genau das brauche Bolsover: mehr Angebote für Familien und Schüler:innen. Außerdem inklusive Angebote für behinderte Menschen, also all jene lokalen Einrichtungen, die unter den Konservativen aufgegeben worden seien.
Die Situation vor Ort ist kompliziert: Während die Gemeinde Carswell von Labour dominiert wird, ist die Regionalregierung in Derbyshire konservativ. Die Kommunalregierung in Nordost-Derbyshire wiederum hat seit vergangenem Jahr eine Labour-Mehrheit. Die Schuldigen von Missständen vor Ort sind also nicht immer ganz leicht auszumachen. Allerdings waren und sind es vor allem die Sparpolitik der Konservativen und der darauf folgende Brexit, dann die Pandemie und schließlich die Energiekrise, die die Kommunen leiden lassen.
Viele Läden haben permanent geschlossen
In der alten Schlossstadt Bolsover ist das Zentrum fast menschenleer. Einige Läden des sonst ansehnlichen Städtchens haben permanent geschlossen, seitdem nicht weit entfernt Großhandelsketten Einkaufsmöglichkeiten mit Parkplätzen geschaffen haben. Eine Blumenverkäuferin erzählt, dass sie ihr Geschäft dennoch gerade neu im Zentrum eröffnet habe: Hochzeiten und Begräbnisse, eine sichere Kundschaft. Sie wisse nicht, sagt sie, für wen sie sich bei den Wahlen entscheiden solle.
Die 22-jährige Pflegerin Chelsie Fisher und der 24-jährige Hilfsarbeiter Jordan Newbury schieben einen Kinderwagen durch die Straßen. Chelsie kann zum ersten Mal wählen. „Ich glaube, Labour wird für Jobs sorgen“, sagt Jordan. Er wähle Labour dennoch nicht aus Überzeugung, aber sein Großvater kenne die Labour-Kandidatin Natalie Fleet, und das sei Grund genug.
Mark Fletcher, der konservative Überraschungssieger von 2019, tritt zur Wiederwahl an und scheint keineswegs aus dem Rennen. Auch wenn viele der Menschen, die die taz getroffen hat, die glücklose Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss und ihren verheerenden Minihaushalt sowie die Jahre der Austeritätspolitik explizit als Gründe nennen, weswegen sie nicht Tories wählen würden: Es gibt offenbar durchaus viele Menschen, die trotzdem konservativ wählen wollen.
Etwa der 52 Jahre alte Howard Donston in der alten Siedlung für Familien von Grubenarbeitern. „Weil es immer so ist, dass Labour das Geld ausgibt, während die Tories das Geld sparen“, argumentiert er: „Keir Starmer scheint es allen recht machen zu wollen, und wer das versucht, macht niemanden glücklich.“ Starmer, der gerne betont, dass er in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, in der das Geld knapp war, vergleicht er mit reich gewordenen Rappern, die trotz ihrer Millionen weiter über Armut singen. Dass die Tories sich viel in die eigenen Taschen steckten, etwa bei der Auftragsvergabe für Schutzkleidung während der Pandemie, sei ihm aber auch klar. Und Nigel Farrages Reform UK? Die bauten ihre Politik zu sehr auf Ausländerfeindlichkeit auf, findet er.
Am Ende sei es so, „dass alle in der Politik in denselben Pott pinkeln“, sagt Donston – ein Spruch, den man hier bei Gesprächen über Politik des Öfteren zu hören bekommt. Seine Frau wähle übrigens Labour, sagt Donston. „Sie stammt aus diesem Dorf und aus dieser Siedlung, und für sie ist es einfach unvorstellbar, etwas anderes zu wählen.“
Auch wenn Labour Bolsover am 4. Juli von den Tories zurückerobern sollte – laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov könnte die Partei im Wahlkeis 47 Prozent der Stimmen ergattern, die Tories auf 23 Prozent kommen und Reform UK auf 18 Prozent: Die alte politische Gewissheit ist wohl Vergangenheit. Wahlen müssen durch harte Arbeit und gute Politik gewonnen werden.
Mark Fletchers Erfolg für die Tories im Jahr 2019 und die Wahrscheinlichkeit, dass im Wahlkreis nebenan Lee Anderson von Reform UK bestätigt werden könnte, zeigen, weshalb die Labour-Führung gut fährt mit ihrem Mantra: „We are not taking anything for granted“ – wir nehmen nichts als gegeben an.
In der Ruine des Schlosses von Bolsover, das die alten Kohlesiedlungen überragt, steht im Hof der trockengelegte Venusbrunnen, ein rares Denkmal aus dem 17. Jahrhundert. Unter einer alles überragenden Venus stehen vier nackte kleine Jungen aus Stein. Einst floss aus ihren Genitalien Wasser in den Brunnen. Damit grüßt Bolsover alle, die hier regieren wollen. Wie Howard Donston sagt: They all piss in the same pot.
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