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Vor dem Super BowlInszenierung der Gegensätze

Vergangenheit gegen Zukunft: Während die New England Patriots auf Erfahrung setzen, wollen die Los Angeles Rams per Handstreich gewinnen.

Auf dem Platz weitaus eleganter: Jared Goff von den Los Angeles Rams Foto: ap

Am Abend zuvor, am Samstag, ist erst noch mal Party. Lil Wayne wird rappen, DJ Snoopadelic alias Snoop Dogg wird auflegen und vermutlich zur Feier des Tages einen Extrajoint durchziehen. Promis werden über den roten Teppich in die College Football Hall of Fame in Atlanta schlendern, das Magazin Sports Illustrated schickt ein paar Teilnehmerinnen seiner berüchtigten „Swim Suit“-Ausgabe als „Special Guests“, Getränke sind all inclusive. Billigstes Ticket: 500 Dollar, aber ein VIP-Tisch für dich und deine neun besten Freunde ist schon für schlappe 20.000 Dollar zu haben. Hey, es ist Super Bowl!

Es hat schon seinen Grund, warum sich die National Football League zwei lange Wochen Zeit lässt, bevor sie ihr Endspiel in dem nach einem deutschen Autobauer benannten Dome von Atlanta anpfeifen lässt. Zwei Wochen zwischen Halbfinale und Super Bowl bedeuten: zwei Wochen Hype, zwei Wochen Schlagzeilen, zwei Wochen Zeit, noch mehr Geld zu verdienen. Das Spiel, das am Ende dieses zweiwöchigen Wahnsinns steht, ein ganz normales Football-Spiel, ist dann manchmal zwangsläufig eine Enttäuschung.

In diesem Jahr, da die New England Patriots auf die Los Angeles Rams treffen, läuft die Aufmerksamkeitsmaschinerie besonders heiß, bietet die Konstellation doch so viele Erzählstränge wie selten zuvor: Alt gegen Jung, Ost- gegen Westküste, System gegen Stars, Silicon Valley gegen Harvard, Vergangenheit gegen Zukunft, Tradition gegen Moderne. Oder, wie es Sports Illustrated neulich beschrieben hat: „Die NFL als Mikrokosmos.“

Tatsächlich ist dieses Spiel eines der gewaltigen Gegensätze. Der deutlichste ist wohl der Altersunterschied zwischen den prägenden Figuren der beiden aufeinandertreffenden Mannschaften, allen voran den Quarterbacks. Auf der einen Seite Tom Brady, der mit 41 Jahren zum neunten Mal im Finale steht und nicht nur das Aushängeschild der NFL, sondern eine internationale Berühmtheit ist.

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Auf der anderen der 24-jährige Jared Goff, der in seinem dritten Profi-Jahr zum ersten Mal ein Team in den Super Bowl geführt hat. Goff ist jemand, den abseits des Spielfelds aber kaum jemand erkennen würde.

Folgerichtig musste Quarterback Goff beim traditionellen „Media Day“, einem als riesige Pressekonferenz getarnten Ringelpiez mit Anfassen im Super-Bowl-Vorfeld, vor allem eine einzige Frage beantworten, die aber in vielen verschiedenen Varianten: Was er denn gemacht habe, während Brady gerade seinen ersten, zweiten, dritten, vierten oder fünften Super Bowl gewann, wahlweise auch: Gisele Bündchen das Ja-Wort gegeben hat.

„Do your job!“

Noch größer ist der Altersunterschied bei den anderen großen Stars der Teams, den Cheftrainern. Patriots-Headcoach Bill Belichick gilt mit seinen 66 Jahren als strenger Schleifer und großer Stratege, aber eben auch als bester Football-Trainer aller Zeiten. Er ist berühmt dafür, im Zusammenspiel mit Brady eine 18-jährige Erfolgsserie hingelegt zu haben, die nicht nur in der NFL, sondern im gesamten US-Sport als einmalig gilt. Belichick ist aber auch berüchtigt für kurz angebundene Pressekonferenzen, seinen grimmigen Blick und eine radikale No-Nonsense-Attitüde.

Wenn Belichick der Magath der NFL ist, dann ist McVay Pep Guardiola

Sein Gegenüber Sean McVay dagegen ist ein gut aussehender junger Mann, der ganz und gar nicht dem traditionellen Bild eines Football-Coaches entsprechen will, sondern eher wie der CEO eines schicken Start-ups wirkt. Seit der mittlerweile 33-Jährige 2017 als jüngster NFL-Headcoach aller Zeiten engagiert wurde, hat er seinen Ruf als Wunderkind eindrucksvoll bestätigt, indem er die Rams von der Lachnummer zum Titelaspiranten beförderte.

Von McVay kursieren Filmchen, in denen er bei Mannschaftssitzungen in T-Shirt und Shorts seine Spieler mit Sätzen motiviert, wie sie vermutlich eher in einem Software-Sales-Pitch fallen: „Kommunikation ist der Schlüssel. Wir brauchen großartige verbale und visuelle Kommunikation.“ Oder: „Unser Fortschritt ist unser Fokus, unser Wochen-, unser Tages-, unser Stundenrhythmus.“

Das Credo dagegen, mit dem Belichick seit Jahrzehnten die Patriots durch die Liga leitet, ist so simpel wie altbacken: „Do your job!“ gilt in Boston schon als höchste Form der Motivation. Wenn Belichick der Felix Magath der NFL ist, dann ist McVay Pep Guardiola, nur ohne Maßanzüge.

Zwei Systemtrainer

Auch wie die beiden Mannschaften aufgebaut wurden, könnte kaum unterschiedlicher sein. Die unglaubliche Konstanz der Patriots über Jahrzehnte war vor allem deshalb möglich, weil nahezu alle Spieler sich an das in New England errichtete System unter Wert verkauften und für den Erfolg Gehaltskürzungen akzeptieren. Das funktioniert nur, weil Brady mit gutem Beispiel vorangeht: Das Gesicht der NFL, den viele für den besten Football-Spieler aller Zeiten halten, ist sicherlich kein armer Mann, aber in dieser Saison schlechter bezahlt als sieben seiner Quarterback-Kollegen.

Hinter McVay dagegen stand ein spendabler Teambesitzer, der vor dieser Saison eine schöne Shopping-Tour ermöglichte. Die Defensiv-Spezialisten Ndamukong Suh, Marcus Peters und Aqib Talib, dazu Passempfänger Brandin Cooks, der übrigens von den Patriots kam, waren nur die prominentesten Neuverpflichtungen des Teams aus der Entertainmentkapitale Los Angeles im vergangenen Sommer. Der mit Stars gespickte Kader der Rams droht deshalb auch nach dieser Saison auseinanderzufallen, weil für die halbe Mannschaft Vertragsverhandlungen anstehen – und alle Ausnahmekönner werden die Rams nicht unter die Gehaltsobergrenze, die für jedes Team gilt, quetschen können.

Man darf angesichts dieser Stilunterschiede zwischen Belichick und McVay allerdings keinen Fehler machen: Systemtrainer sind sie beide. Anders geht das auch gar nicht, wenn man Erfolg haben will in der extrem technisierten, von denkbar avancierter Statistik und hochkomplexen Spielsystemen bestimmten NFL.

Allerdings sind die Grundpfeiler der beiden Systeme unterschiedlich: Belichick kommt eher von der Defensive, er hat, bevor er Chef wurde, die Verteidigungsreihen trainiert. Auch wenn sein Zögling Brady als vermutlich bester Quarterback aller Zeiten für die Punkte zuständig ist, gilt Belichick immer noch vor allem als Defensiv-Genie. McVay dagegen hat während seines rasanten Aufstiegs ausschließlich Aspekte des Angriffsspiels trainiert.

Spektakuläre Spielzüge

Weil beide gute Trainer sind, sieht man das ihren Mannschaften nicht unbedingt an. Die haben Qualitäten auf beiden Seiten des Balls, in Angriff und Verteidigung, sie sind ausgeglichen und stehen deshalb auch im Endspiel. Aber die Philosophien, mit denen die beiden Trainer an den Sport herangehen, an die Konstruktion der Mannschaft und an die Taktik, sind dann doch unterschiedlich: Die Patriots stehen für eine konservative Herangehensweise, sie laufen mit dem Ball und lassen Brady vornehmlich kurze Pässe werfen, um das Risiko zu minimieren – manche Kritiker meinen, die Wurfkraft von Quarterback-Opa Brady hat dermaßen nachgelassen, dass anderes auch gar nicht mehr möglich ist.

Die Los Angeles Rams dagegen wagen mehr, setzen immer wieder auf spektakuläre Spielzüge und lassen Goff auch mal einen langen und entsprechend riskanten Pass werfen.

Tom Brady, Quarterback der New England Patriots Foto: ap

Ob das dann im Spiel tatsächlich so stattfinden wird, das allerdings ist fraglich. Schließlich gründet der Erfolg der beiden Cheftrainer in erster Linie darauf, dass sie gewiefte Strategen sind. Vor allem Belichick hat seine Kontrahenten immer wieder mit unerwarteter Taktik überrascht – am liebsten in den wichtigsten Spielen.

Und wichtiger wird es erst einmal nicht. Allerdings auch nicht so wichtig, wie mancher meint, der ein schnödes Football-Spiel, das auch das meistgesehene Einzelsportereignis des Planeten ist, zur Zeitenwende hochjazzt. Man könnte fast meinen, die Moderne habe nun erst in der NFL begonnen – dank der Rams und ihres Trainer-Sunnyboys.

Das „Dark Empire“

Als in den vergangenen Wochen diverse neue Cheftrainerstellen zu besetzen waren, schienen alle Klubbesitzer auf der verzweifelten Suche nach dem nächsten Sean McVay. Verdiente Coaches wie der von den Green Bay Packers gefeuerte Mike McCarthy (55) fanden keinen neuen Job. Angeheuert wurden stattdessen Jungspunde wie der 39-jährige Kliff Kingsbury, den die Arizona Cardinals verpflichteten, oder der ebenso alte neue Headcoach der Packers, Matt LaFleur. Headcoach-Erfahrung war nicht erwünscht, Hauptsache dagegen eine Verbindung zu ­McVay. LaFleur war mal dessen Assistent. Prompt spekulierten die Kommentatoren spottend, wer alles noch mit McVay schon mal einen Kaffee getrunken hat und demnächst ein NFL-Team anvertraut bekommt.

Aber Vorsicht: Quarterback-Superstar Tom Brady hat bereits verkündet, dass „keine Chance“ besteht, dass er nach dem Super Bowl zurücktritt. Noch öfter hat er gesagt, dass er noch mit 45 Jahren spielen will. Man sollte die New England Patriots nicht abschreiben. Das „Dark Empire“, wie die Patriots und ihr unheimlicher Erfolg gern genannt werden, ist noch lange nicht besiegt.

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