Vor dem CDU-Parteitag: Der Machtpartei knurrt der Magen
Am Sonntag wird Angela Merkel die Minister der CDU für die geplante Große Koalition präsentieren. Sieben Fragen zur Lage der Union.
Was ist los in der CDU?
Die CDU ist eine Machtpartei. Wer keine Macht liefert, wird gefressen. Gegen Angela Merkel ist deshalb, wer sich durch einen Wechsel mehr Erfolg verspricht als mit ihr. Tatsächlich hat die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Lieferschwierigkeiten. Im September holte sie mit 32,9 Prozent das zweitschlechteste Bundestagswahlergebnis der CDU-Geschichte. Die Umfragewerte sind seither selten besser – und öfter schlechter. In den Groko-Verhandlungen verlor sie das Finanzministerium an die SPD, das Innenministerium an die CSU.
Prompt knurrte der Machtpartei der Magen. Hinterbänkler beschwerten sich öffentlich. Die Bild-Zeitung präsentierte eine Muppet Show, in der Friedrich Merz, Roland Koch und Norbert Röttgen schimpften, allesamt einst von Merkel abgesägt. Gefährlichere Gegner sind drei ehrgeizige Junge aus Nordrhein-Westfalen: Carsten Linnemann, Chef der Mittelstandsvereinigung, Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union, und Jens Spahn, Mitglied des Parteipräsidiums.
Wie weit Angela Merkel auf ihre Gegner zukommen wird, zeigt sich am Sonntag, wenn sie dem CDU-Bundesvorstand ihre Liste mit Ministern präsentiert.
Worauf muss man bei der Ministerriege der CDU gucken?
Ob es ein gutes Tableau ist, entscheidet sich an folgender Frage: Schafft Merkel es, zugleich die Partei zu befrieden und die CDU in der Regierung zu dynamisieren? Befriedung: Die großen Landesverbände Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen sollen berücksichtigt werden, der Osten auch. Dynamik bedeutet neue Kabinettsmitglieder, die Ehrgeiz und Ideen haben. Und: Wer in diesem Bundeskabinett erfolgreich regiert, wird in der Zeit nach Merkel eine wichtige Rolle spielen.
Neu-Ministerin oder -Minister werden könnten die Baden-Württembergerin Annette Widmann-Mauz, der Hesse Helge Braun, von dem Merkel viel hält, sowie Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz. Ursula von der Leyen und Peter Altmaier haben beste Aussichten, wieder am Kabinettstisch zu sitzen.
Unter den CDU-Ressorts ist Wirtschaft das vielversprechendste. Es strahlt Autorität aus, man kann ein bisschen Außenpolitik machen, in vielen Fragen – auch Energie – im Mittelpunkt stehen und das Amt mit Ludwig-Erhard-Geschichten aufladen. Verteidigung ist hart. Gesundheit wird ein Konfliktfeld mit der SPD. Bildung war bisher kein Knaller, hat aber Potenzial. Über dem Tableau schwebt noch die Option, in zwei Jahren als EU-Kommissar oder -Kommissarin nach Brüssel zu wechseln. Im Gespräch sind Altmaier und von der Leyen.
Was wird aus Jens Spahn?
2013 hat Merkel Spahn enttäuscht. Sie machte ihn weder zum Generalsekretär noch zum Minister. Der Trostpreis: ein Staatssekretärsposten. Spahn wählte klug. Er ging zu Schäuble ins Finanzministerium, der ihn machen ließ. Spahn machte. Zweimal ließ er es auf Parteitagen auf Kampfabstimmungen ankommen: 2014 fegte er den Merkel-Vertrauten Hermann Gröhe aus dem Präsidium, 2016 setzte er einen Beschluss gegen den Doppelpass durch. So viel Biss imponiert Schäuble. Andere nervt Spahns Ehrgeiz. Der 37-Jährige ist ein Netzwerker. Sympathien hat er auch in Teilen der beiden großen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Überginge Merkel Spahn jetzt, würde sie ihn geradezu aufpumpen. Er bekäme die Zuneigung aller, die sich die Kanzlerin wegwünschen, und noch mehr Aufmerksamkeit der Medien. Vielleicht griffe Spahn in einem Jahr nach dem Fraktionsvorsitz, den seit Beginn von Merkels Kanzlerschaft Volker Kauder führt. Das Amt ist wichtig, weil die Kanzlerin abhängig ist von der Loyalität der Bundestagsfraktion.
Es spricht mehr dafür, dass Merkel Spahn endlich auf das ersehnte Ministerstühlchen setzt. Bildung: Er könnte Geld verteilen und über Pünktlichkeit und Fleiß reden. Gesundheit: Eher nervig, aber als ehemaliger Gesundheitspolitiker kennt er sich aus. Schön fies wäre es, wenn Merkel ihm das Horrorressort Verteidigung gäbe (Motto: „Junge, du willst doch die Welt aus den Angeln heben“). Egal welches Ressort: Spahn hätte erst mal zu tun und ein Minister kann auch Fehler machen.
Was ändert sich durch Annegret Kramp-Karrenbauer?
Dass Spahn sich in den vergangenen Monaten erfolgreich inszenieren konnte, lag auch an Merkels Tatenlosigkeit. Nun hat sie einen Coup gelandet. Sie machte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zur CDU-Generalsekretärin. Der Parteitag am Montag in Berlin soll die 55-Jährige wählen. Wenn man mit CDU-Politikern spricht, ist es erstaunlich, was für ein Topseller diese Personalie in der Partei war. Viele loben „AKK“.
Klar, sie hat im Saarland vor knapp einem Jahr exzellente 40 Prozent geholt, aber nun wird sie gefeiert – als die Frau, die damals den Schulzzug stoppte! Irre: Die Beendigung eines alten Hypes dient zur Begründung eines neuen Hypes. Tiefere parteipsychologische Erklärung: Wenn eine Ministerpräsidentin ihre schmucke Staatskanzlei gegen ein Funktionärsamt tauscht, dann streichelt das die CDU. Immer und immer hat Merkel gesagt: erst das Land (oder die Welt) und dann die Partei. Kramp-Karrenbauer sagt: Bei mir kommt jetzt die Partei zuerst.
Das Amt der Generalsekretärin ist ein heißer Stuhl. Aber im Zentrum der Partei kann Kramp-Karrenbauer ein Grundsatzprogramm schreiben und in zwei Jahren sagen, dass sie die Partei inhaltlich erneuert hat. Wer Merkel beerben will, muss sich nun an Kramp-Karrenbauer abarbeiten. Und nicht mehr an der Kanzlerin, die dadurch entlastet wird.
Was bedeutet das für die Richtung der CDU?
Kramp-Karrenbauer war gegen die Ehe für alle, Spahn aber dafür. In Einwanderungsfragen geriert er sich härter als sie. Sie steht sozialpolitisch eher links, er agiert eher wirtschaftsliberal. Spahn lud Grünen-Abgeordnete zu Spaghetti-Runden ein, aber dass Kramp-Karrenbauer im Saarland mit der SPD regiert, liegt mehr daran, dass es die Grünen dort praktisch nicht gibt. Alles ganz schön unübersichtlich. „Bunte Republik CDU“, frotzelt ein Mitglied des Bundesvorstandes. Der Autor Volker Resing schrieb 2013 in einem klugen Buch, die CDU sei schon von jeher pluralistisch und weniger ideologisch angelegt gewesen. Wichtig ist die Macht. Resings Buch über das Wesen der CDU heißt: „Die Kanzlermaschine“.
Die CDU will in der Mitte bleiben, aber rechts von sich die AfD bekämpfen. Weltoffen oder heimatbesoffen, integrativ oder ausgrenzend, liberaler Staat oder strenger Staat – so könnten deshalb in den nächsten Monaten die Gegensatzpaare der Union lauten. Kommt es zu einer Regierung, wäre die dominante Figur in diesen Fragen jemand anderes: Innenminister Horst Seehofer von der CSU.
Doch die CDU ist die größte Partei. Bewegt sie sich ein bisschen, bewegt sich viel. Tritt sie kühl und maßvoll auf, beeinflusst das die Debatte in Deutschland stark. Facht sie aber die Stimmung an, dann heizt sich der ganze politische Raum auf.
Was wird aus Merkel, wenn die Groko an der SPD scheitert?
Während der CDU ein Parteitagsbeschluss am Montag reicht, lässt die SPD all ihre Mitglieder abstimmen. Die Groko kann daran auch scheitern. Mitte Februar hat Merkel im ZDF gesagt, dass sie dann zur Verfügung stünde, wenn der Bundespräsident sie dem Bundestag nach Artikel 63 GG als Kanzlerin vorschlägt. Sie hat aber nicht gesagt, dass sie bei Neuwahlen antreten würde. In der CDU wird das trotzdem für wahrscheinlich gehalten, weil die SPD zerfleddert ist und Merkel im Wahlkampf umso mehr Stabilität und Handlungsfähigkeit inszenieren könnte. Aber das wäre vor allem ihre Entscheidung.
Wie lange bleibt Merkel Kanzlerin, wenn die Groko klappt?
Merkel hat versprochen, dass sie vier Jahre regieren möchte. Das „möchte“ ist das grammatikalische Hintertürchen. So ein Versprechen muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass sie bekloppt wäre, wenn sie ihre Macht mit einem Verfallsdatum versähe. Eine Kanzlerin, die sagt, dass sie gehen wird, ist keine Kanzlerin mehr. Ein überraschender Ausstieg nach einem Teil der Wahlperiode ist nicht ausgeschlossen. Oder doch ein Teilausstieg? Sie hat zwar gesagt, dass Parteivorsitz und Kanzleramt in eine Hand gehören. Aber das war vor der Berufung Kramp-Karrenbauers.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren