: Von Aufrüstung und technokratischer Migrationsabwehr
Feindbilder und Abschottung drängen mehr und mehr auf die Agenda der Politik. Moderne Technik gehört zur Aufrüstung der Armeen und zur Ausstattung der Grenzkontrollen
Von Georgiana Banita
An deutschen Grenzübergängen geschieht dieser Tage, was an dystopische Science-Fiction erinnert: Binnen Sekunden erkennt ein Detektor, von Polizeibeamten an der Außenwand eines Transporters befestigt, ob sich im Frachtraum weitere Personen verbergen. Der Sensor soll Schleusungsversuche aufdecken und illegale Grenzübertritte verhindern. So weit, so technoautoritär, ganz im Einklang mit einer Regierung, die gern hätte, dass alles, was sich verdächtig nähert, geräuschlos von Deutschlands digital gepanzerter Karosserie abperlt.
Im Vergleich zum sonstigen Waffenarsenal der Polizei klingt ein kleiner gelber Kasten erst einmal harmlos – zumal die Behörden nicht müde werden zu betonen, die Kontrollen dienten auch dem Schutz der Geflüchteten. Immer häufiger kämen diese ums Leben, wenn Schleuser mit hoher Geschwindigkeit vor der Polizei fliehen und ihre eng gedrängten Passagiere mit in den Tod reißen. Bei der Vorführung des Personendetektors im Februar 2024 meldete die bayerische Polizei sieben Tote bei einem verunglückten Fluchtauto.
Grenzschutz als Außen- und Sicherheitspolitik im Namen eines „gemeinsamen Horizonts von Werten“ Deutschlands und Europas – um die Regierungserklärung von Friedrich Merz zu zitieren. Diese Werte treten jedoch nur noch als Munition in Erscheinung: an der Grenze und in der Aufrüstungspolitik. Der Migrantendetektor erkennt einzig den Herzschlag von Menschen, nicht ihren Schutzbedarf, die Ursache ihrer Flucht oder ihren rechtlichen Status. Was der Kasten misst, ist der Puls als biometrisches Signal einer illegalisierten Existenz. Sobald auf dem Monitor die schematisierte Strichzeichnung eines Körpers erscheint, bleibt von dem, was kurz zuvor noch ein Mensch war, nur noch ein maschinell erfasstes Zielobjekt.
Dass der Migrantendetektor ursprünglich als Häftlingsmonitor zur Verhinderung von Gefängnisausbrüchen entwickelt wurde, passt ins Bild. Staatliche Macht materialisiert sich in einem präzisen Frühwarnsystem, rund um die Uhr im Empfangsmodus, wenn es um die Ortung kriminalisierter Körper geht. Der Polizeirausch an der Grenze ist auch ein Waffenrausch – und damit Ausdruck einer neuen Politik der Wehrhaftigkeit, die auf maximale Risikoabwehr zielt, innen- wie außenpolitisch. Dabei weicht das Ethos des Asyls einer militärischen Logik der Sichtbarmachung, die auf die biometrische Identifizierung von Feinden abzielt.
Der „wehrhafte Grenzstaat“, um den es in diesem Text geht, bezeichnet eine grotesk überinszenierte Waffenvernarrtheit, ein ideologisches Projekt der autoritären Machtsicherung, ein biopolitisches Dispositiv zur Abwehr potenzieller „Risiken“ – und nicht zuletzt ein nationales Selbstbild, das sich zunehmend über Kampfbereitschaft und männliche Härte definiert.
Die Sicherheitspraxis an den deutschen und EU-Außengrenzen entwickelt sich zusehends zum Labor wehrhafter Außenpolitik. Die Merz-Regierung hat eine Agenda geschmiedet, die Ausrüstung und Grenzschutzoffensive machtpolitisch miteinander verschränkt. Dass diese militarisierte Antiasylpolitik selbst innerhalb der EU auf Irritation stößt, bleibt weitgehend unkommentiert – obwohl sie die europäische Einigkeit gegenüber Russlands expansionistischem Machtstreben massiv untergräbt. Dass Kriegsrhetorik mit dem Stoppen einer latenten Grenzinvasion verschwimmt, wird dabei gern übersehen. Dabei wächst in Europa schon seit Jahren die Schnittmenge zwischen militärischer Verteidigung und Migrationskontrolle.
Seit 2021 testet Frontex Überwachungssysteme, die mit bewaffnungsfähigen israelischen Drohnen, Wärmebildkameras und biometrischen Scans operieren. In griechischen Lagern wird diese Technik mit der digitalisierten Verwaltung von Geflüchteten als Risikoobjekte kombiniert. Was sich hier abzeichnet, ist mehr als bloße Effizienzsteigerung. An den Rändern der EU – und zunehmend auch an deutschen Übergängen – vollzieht sich eine ideologische Annäherung an ein Grenzkrieg-Denken: genährt vom Vokabular des Nato-Flankenschutzes, im Kern jedoch zurückzuführen auf ein Konfliktverständnis, das autoritäre Staaten prägt, die sich in permanenter Konfrontation mit benachbarten Feinden sehen – allen voran die USA, Israel und Russland.
In diesem Kalkül verschmelzen Grenze und Krieg zu einer Strategie des stabilisierenden Ausnahmezustands. Donald Trump, Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin: Ihre Macht stützt sich auf Feindbilder und Abschottung, um das Eindringen auf eigenes Territorium zu verhindern, was maximale Undurchdringlichkeit rechtfertigt. Gehört Merz bald auch in diese Reihe?
Die Ausweitung militärischer Abwehrmechanismen wird unter dem Schlagwort „hybride Bedrohungen“ verhandelt, gemeint sind informationsbasierte Formen der Demokratiesabotage, die nicht auf militärische Hardware wie Panzer oder Kampfjets zielen, sondern auf soziale Software – auf das Vertrauen in Parlamente, auf die Integrität politischer Prozesse und auf die Stabilität europäischer Strukturen insgesamt.
Der Anschlag von Magdeburg im Dezember 2024 etwa wurde in sozialen Netzwerken von rechtsextremen deutschen wie ausländischen Akteuren aufgegriffen, um dem Täter islamistische Motive zu unterstellen und gleichzeitig das Narrativ von einer drohenden Islamisierung Deutschlands zu befeuern – obwohl der saudische Einwanderer militante islamkritische Inhalte verbreitet und AfD-Sympathien geäußert hatte.
Diese Vorstellung vom muslimischen Mann als einer tickenden Zeitbombe prägt inzwischen den Ton der Grenzpolitik. Wer Fluchtbewegungen nicht mehr als humanitäre Herausforderung gelten lässt, sondern als unkonventionelle Kriegsstrategie, und Asylsuchende als verschleierte Kombattanten sieht, hält es womöglich auch für legitim, an den Grenzen Polizeieinheiten, Sensoren und Drohnen scharf zu machen.
Es ist aber nicht nur so, dass Grenzen wie Frontlinien aufgerüstet werden, der Krieg selbst sammelt sich an den Peripherien. Grenzregionen wie das Mittelmeer, Litauen – wo inzwischen auch eine deutsche Brigade stationiert ist – und selbst die Ukraine als möglicher Nato-Ostrand wandeln sich zu militärischen Pufferzonen, die dazu dienen, geopolitische Spannungen abzuschirmen. Was wir derzeit erleben, ist eine Art technologische Immunisierung entlang der nationalen, europäischen und Nato-Außengrenzen, wo strategisch platzierte „Antikörper“ in Gestalt von Sicherheitskräften, Sensorik und Drohnenmauern verhindern sollen, dass die Konfliktzone weiter westwärts vordringt.
Deutschland investiert derweil in stationäre Verteidigungsarchitekturen wie Brücken und Bahntrassen, aber auch in mobile Infrastrukturen. Die Bundeswehr hat sogenannte loitering munitions beschafft: mit Sprengstoff beladene Drohnen, die kreisend in der Luft verharren, bis ein Ziel am Boden ausgemacht ist, auf das sie sich im entscheidenden Moment herabstürzen. Es handelt sich um eine neue Form des Luftkriegs: geduldig, maschinell, entpersonalisiert. Dazu passt auch der geplante „Drohnenwall“ entlang der Nato-Ostflanke – ein „intelligentes“ Schutzsystem, das bei jeder Bewegung zuschnappt.
Währenddessen wächst in den Kultur- und Geisteswissenschaften seit Jahren der Widerstand gegen die technologische Verflachung und Biometrisierung des Lebens. Philosophen wie Roberto Esposito und Giorgio Agamben haben darauf hingewiesen, dass da, wo der Körper sichtbar, vermessbar und kontrollierbar wird, eine neue Spielart biopolitischer Macht am Werk ist. Gemeint ist eine Macht, die über das Leben selbst entscheidet: darüber, wer dazugehört und wer nicht, wer leben darf und wer sterben muss.
Wie der Kulturwissenschaftler Joseph Pugliese argumentiert, beruhen biometrische Grenztechnologien – von Gesichtserkennung bis Lügendetektor – letztlich auf strukturellen Machtverhältnissen. Die Frage „Wer bist du?“ sei dabei stets von einer anderen überlagert: „Was bist du?“ – also von einer Kategorisierung, der eine soziale Hierarchie vorausgeht. Nichtweiße Asylsuchende verfangen sich besonders tief in dieser weißen Infrastruktur des Verdachts, die ihre Identität als potenziellen Betrug konstruiert. Und zu allem Überfluss endet die biometrische Grenze nicht am Zaun. Deutschland ist das einzige Land weltweit, das in Asylverfahren automatisierte Dialekterkennung einsetzt, um Herkunftsangaben zu überprüfen; das Bamf spricht dabei von „Sprachbiometrie“.
Die realen und digitalen Projektile, mit denen Deutschland verteidigungs- wie migrationspolitisch hantiert, treffen erstaunlich zielsicher auch nach innen. Eine militärromantische Testosteronpolitik trifft auf ohnehin schon gewaltgeladene Geschlechterbilder und rechten Revanchismus in Teilen der männlichen Bevölkerung. Denn neben der militärischen steht auch eine sittliche Ertüchtigung auf dem Plan. Der Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius, junge Männer per Fragebogen nach körperlicher und geistiger Diensttauglichkeit zu screenen, illustriert, dass deutsche Bürger ebenfalls als Daten emittierende Körper verfügbar gemacht werden für einen Krieg, der in der Ferne liegt – und dennoch schon jetzt männliche Lebensläufe und Selbstbilder auf Verwertbarkeit im Verteidigungsapparat hin zu normieren beginnt.
Mag Aufrüstung auch alternativlos erscheinen: Die eigentliche Gewissensfrage unserer Zeit lautet, wie sich die schleichende Erosion der einstigen Alternativlosigkeit europäischer Werte aufhalten lässt. Was fehlt, ist nicht die Bereitschaft zur Abwehr, sondern die Idee, wofür überhaupt noch gekämpft werden soll. Die automatisierten Messinstrumente der Grenzpolizei wie auch KI-gesteuerte Einsätze an den EU-Außengrenzen und im Ukrainekrieg sind auf ganzer Linie würdevergessen. Was bleibt zu verteidigen, wenn der Staat wehrhaft wird – und der Mensch dabei wehrlos?
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