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Volksinitiative in der SchweizEin Vorbild für deutsche Linke

Kommentar von Jonas Frey

Plötzlich stimmen die konservativen Eidgenossen für mehr Rente und Umverteilung. Das lässt hoffen – etwa auf die nächste Initiative im Juni.

Baden, Schweiz, 22. Februar: Ein Wahlplakat für die 13. Monatsrente in der Badener Innenstadt Foto: Manuel Geisser/imago

Z um ersten Mal seit 1891 haben die Menschen in der Schweiz eine wirtschaftspolitische Volksinitiative angenommen, die von links kam: Mehr als 58 Prozent haben für eine 13. Monatsrente und mehr als 74 Prozent gegen die Anhebung des Rentenalters gestimmt. Die „AHV-Rente“, eine Art Grundrente für alle, wird um 8,3 Prozent erhöht. Die großen Schweizer Medien nennen das eine historische Polit-Sensation – zu Recht.

In der konservativen Schweiz überrascht der Wunsch nach mehr Umverteilung und Sozialstaat. In einem Land, in dem selbst das moderateste linke Anliegen als wirtschaftsfeindlicher Sozialismus verschrien und jegliche politische Debatte darüber mit dem Argument beendet wurde, der Wohlstand würde gefährdet, weckt dieses klare Votum Hoffnung. Vor allem unter Linken.

Seit Corona, den gestiegenen Krankenkassenbeiträgen und Mieten sowie milliardenschweren Staatskrediten für die Übernahme der Großbank Credit Suisse durch die UBS scheint sich etwas zu verändern. Viele Menschen spüren den ökonomischen Druck in ihrem Alltag und sehen zugleich, dass der Bundesrat an alten Konzepten festhält. Die Gewerkschaften verstehen es, diesen Unmut zu organisieren. Mit ihrer Initiative brachten sie beinahe 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne, viele wählten aus Protest. Auch An­hän­ge­r:in­nen der rechtskonservativen SVP sprachen sich laut Umfragen für das Vorhaben aus – und damit gegen die Parole, also die Wahlempfehlung, ihrer Partei.

Bei Volksinitiativen schafft es die Linke also, Ar­bei­te­r:in­nen zu gewinnen, die sie bei Wahlen in der Vergangenheit an die Rechtsaußenpartei verloren hat. Das ist nicht nur ein gutes Zeichen für die Verteilungsfragen der Zukunft, sondern auch eine klare Ansage gegen den Populismus der Rechten, die versuchen, die Schwächsten gegeneinander aufzubringen. Auch Grünen, SPD und Linken in Deutschland würde ein Blick auf die Schweizer Linke nicht schaden. Im Juni bringt sie eine weitere Initiative zur Abstimmung, dieses Mal für die Deckelung der Krankenkassenbeiträge. Sollte es auch dafür ein Ja geben, wäre das gleich die nächste Sensation.

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8 Kommentare

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  • Die Schweiz als Model wär´ schon mal was.



    13. Monatsrente für alle Renten > 1300,-/Monat.

  • Anders als hier in D enthält das Geschäftsmodell der Konservativen in der Schweiz kein Treten nach unten. Es reicht, sich die branchenspezifischen Mindestlöhne (ganz nach dem Rezept Ludwig Erhards) anzusehen, um das zu erkennen.

  • Es wird Zeit, daß auch wir aufwachen und realisieren, daß ewiges Wachstum nicht möglich ist und eine friedliche Gesellschaft ohne Umverteilung von oben nach unten nicht mehr funktioniert. Es ist genug für alle da, wenn es gerecht verteilt wird. Ein auskömmliches bedingungsloses Grundeinkommen ist machbar. Dann braucht man auch keine Renten und Pensionen mehr. Aber die Frage, wie sich die "unproduktiven" Menschen beschäftigen können, möglichst ohne sich selbst und Ihere Umgebung zu schaden, bleibt enorm wichtig. Als gelernter Versicherungskaufmann ohne Studium fällt mir da leider nichts ein. Ich arbeite seit Eintritt in den Ruhestand aktiv bei einem großen Umweltverband mit.



    Es ist nicht so, daß die Menschen von Haus aus faul sind, sondern eher hyperaktiv. Eine kleine Minderheit Faulpelze gibt es natürlich, die aber keine Gefahr darstellen.

  • Schweiz = amerikanisches Arbeitsrecht (keinerlei Kündigungsschutz, keine Betriebsräte), sehr niedrige Steuern und kaum Sozialstaat (ganz niedriges Bürgergeld mit Mitwirkungspflicht, keine Familienversicherung, Kinderbetreuung astronomisch teuer,…)im Tausch für hohe Löhne.

    Schweizer sind erzkonservativ und Geld verteilen ohne Leistung ist für sie Teufelswerk. Bei der Rente wird aber eine Leistung gesehen, auch wenn die Schweizer Grundrente nur Minimal ist. Unterscheidet diese Initiative von vielen anderen linken Initiativen.

  • Die Mehrheit, die diese Umverteilung zwischen den Generationen zugestimmt hat, betrug 58.X %

    Von den über 65-jährigen haben 80 %, von den 18-34 jährigen nur 40 % dafür gestimmt.

    Die Finanzierung wurde bei der Abstimmung offengelassen. Die meisten Alten sind wohl dafür, dass die jüngeren und noch arbeitenden BürgerInnen höhere AHV Beiträge entrichten müssen.

  • "In der konservativen Schweiz überrascht der Wunsch nach mehr Umverteilung und Sozialstaat."

    Ich assoziiere mit "Sozialstaat" eher Geschenke (auch um des sozialen Frieden willens), also Leistungen, für die keine Gegenleistung erbracht wird/wurde. Für Renten haben die meisten Menschen üblicherweise ein ganzes Leben lang gearbeitet und bezahlt; Renten sehe ich eher als Verdienst oder erarbeitetes Vermögen.

    Schön, meiner Meinung nach, dass eine Mehrheit der Bürger in der Schweiz die Lebensleistung der Rentenempfänger anerkennt. In Deutschland ist das meiner Einschätzung nach nicht so. Die Rentenkassen werden für versicherungsfremde Leistungen (aus)genutzt und am Ende wundert man sich, dass das Geld nicht reicht.

    Wenn ich es richtig weiß, gleichen die Steuerzuschüsse die Entnahmen für versicherungsfremde Leistungen nicht aus.

    • @*Sabine*:

      Die "Arbeit" wird heutzutage größtenteils von Maschinen gemacht! Es geht um Beschäftigung und Verteilung,