Volksinitiative in Hamburg: Unterschriften gegen Gefahrengebiete
Eine Volksinitiative will Gefahrengebiete in Hamburg abschaffen. Ihr Argument: Diese widersprächen der Verfassung.

HAMBURG taz | Die Opposition gegen die Gefahrengebiete in Hamburg wächst. Am Montag hat sich die Initiative „Für ein freies Hamburg – Gefahrengebiete abschaffen“ vorgestellt, die einen Volksentscheid gegen diese Präventions und Überwachungspraxis der Polizei erzwingen will. Bei einer Demonstration gegen die Gefahrengebiete am Samstag seien bereits die ersten 1.000 von 10.000 Stimmen gesammelt worden, die nötig sind, um ein Volksbegehren zu erzwingen, teilten die InitiatorInnen mit. Wäre auch dieses erfolgreich und käme die Bürgerschaft dem Volksbegehren nicht nach, käme es zum Volksentscheid.
Die Gefahrengebiete, in denen die Polizei Ausnahmebefugnisse hat, waren bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Am 4. Januar erklärte die Polizei große Teile von Altona, St. Pauli und des Schanzenviertels zu einer solchen Sonderzone, in der sie Passanten durchsuchen kann, ohne dass ein konkreter Verdacht vorliegt. Die Polizei reagierte damit nach eigenen Angaben auf einen Angriff von Linksautonomen auf die Davidwache an der Reeperbahn. Dieser Angriff wird inzwischen von etlichen Zeugen bestritten. Fest steht, dass Polizisten unweit der Wache von Unbekannten angegriffen und zum Teil schwer verletzt wurden.
Der Streit über den angeblichen Angriff und die schiere Größe des Gefahrengebiets trieb Abend für Abend Demonstranten auf die Straße. Die Volksinitiative versucht, den Schwung dieses spielerisch-satirischen Protests gegen das große Gefahrengebiet zu nutzen. Dessen Symbol, die Klobürste, die ein Polizist als vermeintliche Waffe konfiszierte, hat sie in ihr Logo übernommen: das Hamburgwappen als Klobrille und darin ein Arm mit emporgereckter Bürste.
„Wir mussten reagieren, solange das Thema noch aktuell ist“, sagt Vertrauensmann Sebastian Seeger. Zwar haben die Linke und die Grünen in der Bürgerschaft die Abschaffung der Gefahrengebiete beantragt. Als kleine Oppositionsparteien gegen eine mit absoluter Mehrheit regierende SPD und eine Law-and-order-CDU haben sie damit aber keine Chance.
Gefahrengebiete gibt es seit 1995
Nach Antworten des Senats auf Anfragen der Linken sind in Hamburg in den vergangenen Jahren mehr als 40 Mal Orte, Straßenzüge und ganze Stadtteile zu Gefahrengebieten erklärt worden: Zum ersten Mal 1995 – zehn Jahre, bevor die entsprechende Rechtsgrundlage vom damaligen CDU-Senat im „Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei“ geschaffen wurde. Dieses erste Gefahrengebiet im Stadtteil St. Georg zur Bekämpfung der Drogenkriminalität besteht seither ununterbrochen.
In Hamburg kann die Polizei Gefahrengebiete ausweisen, wenn nach "konkreten Lageerkenntnissen" anzunehmen ist, dass dort vermehrt bedeutende Straftaten begangen werden.
Befugnisse: Die Polizei darf verdachtsunabhängig die Ausweise und Taschen von allen kontrollieren, die nach Lagebild als Straftäter in Betracht kommen.
In Bremen kann die Polizei nur Orte als gefährlich markieren - und hat das auch genutzt: Nach Auskunft des Senats gab es im Februar 2012 in Bremen 36 solcher Orte und in Bremerhaven fünf.
Befugnisse: Anders als in Hamburg darf sich die Polizei in Bremen nur den Ausweis zeigen lassen.
Das niedersächsische Gesetz zum Schutz von Sicherheit und Ordnung ermöglicht das Gleiche.
Daran, wie die CDU den Grundrechtseingriff im Zuge ihrer Gesetzesänderung leugnete, erinnerte kürzlich die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Antje Möller. „Wer wider besseres Wissen behauptet, in Hamburg gäbe es bald verdachtsunabhängige Kontrollen, der handelt verantwortungslos. Jeder weiß, dass solche Kontrollen verfassungswidrig sind“, zitierte sie den damaligen Innensenator Nagel aus einer Bürgerschaftsdebatte.
Die Vertrauensleute der Volksinitiative gehören der Piratenpartei an. Sie betonen jedoch, dass sie den Aufruf als Privatleute gestartet hätten. Dessen Kernsatz lautet: „Wir wollen, dass der Polizei die Ermächtigungsgrundlage für Gefahrengebiete ersatzlos entzogen wird.“
Unschuldsvermutung aufgehoben
Die Möglichkeit, Gefahrengebiete einzurichten, widerspreche der Verfassung, kritisiert der Vertrauensmann Sebastian Seeger. Es sei bedenklich, dass die Polizei alleine darüber entscheiden dürfe und die Bevölkerung noch nicht einmal informiert werden müsse. Für ganze Gruppen werde die Unschuldsvermutung aufgehoben. „Sie werden in Ihren Grundrechten verletzt, wenn Sie durch ein Gefahrengebiet laufen“, resümiert Seeger.
Die drei Vertrauensleute hoffen, dass aus ihrer Initiative nach und nach eine mächtige Bewegung wird. Viele Einzelhändler, die durch das Gefahrengebiet an Umsatz einbüßten, hätten sich bereit erklärt, die Unterschriftenlisten auszulegen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links