Volksentscheid Enteignung: Die Angst regiert schon zu lange
Wohnungen müssen Schutz bieten, nicht Aktionäre reicher machen. Ein Ja zum Enteignen-Volksentscheid ist deshalb die richtige Wahl.
I st die Vergesellschaftung nicht viel zu teuer, rechtlich unsicher und kommt letztlich eh nicht? Wir Wähler*innen werden es nur erfahren, wenn wir dem Volksentscheid zu einer Mehrheit verhelfen. Es gibt keinen Grund, es dem nächsten Senat leicht zu machen, indem wir uns von gefühlten Bedenken leiten lassen oder der Angstmacherei der Immobilienlobby und ihrer politisch Verbündeten auf den Leim gehen. Stattdessen gilt es zu sagen, was wir erwarten: bezahlbare Mieten, Schutz vor Verdrängung, Wohnraum, der kein Spekulationsobjekt ist. Genau darum geht es bei diesem Volksentscheid.
Mit Nein zu stimmen, hieße, die gegenwärtigen Zustände zu legitimieren. Konsequenterweise müsste man dann auch die Privatisierung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften befürworten. Mehr Profit aus unseren Wohnungen! Genau das hat die Politik in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht – ohne, dass wir je gefragt wurden. Selbstverständlich nicht: Ein solches Programm hätte in der Mieterstadt Berlin niemals eine Mehrheit gefunden. Auch anderswo nicht. Nun dürfen wir endlich einmal mitreden: Vermasseln wir es nicht.
Und nein, es geht bei dieser Wahl nicht um Symbolik, sondern darum, die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wohnungen müssen Schutz bieten, nicht Aktionäre reicher machen. Sie müssen für alle Menschen in jedem Teil der Stadt verfügbar sein, statt eine räumlich geteilte Gesellschaft zu produzieren. Nur ein großflächiger Eigentümerwechsel, also die Ablösung profitgetriebener durch gemeinwohlorientierte Akteure, wird den Wohnungsmarkt dauerhaft entspannen. Wenn das gelingt, muss es auch gar nicht mehr Markt heißen.
Vereinbarungen mit den Konzernen, damit die ihre Maximalinteressen für ein paar Jahre zurückstellen, werden dagegen die Probleme nicht beheben, sondern aufschieben. Das Volksbegehren fordert zurecht keine schärfere Mietpreisbremse oder Reduzierung der Modernisierungsumlage, sondern ein anderes, menschenwürdiges Modell. Der Weg dahin ist die Vergesellschaftung nach Artikel 15 des Grundgesetzes. Nur weil dieser Weg noch nie gegangen wurde, hat er nicht an Gültigkeit eingebüßt.
Bei einem Erfolg muss die nächste Regierung diesen Weg einschlagen, das ist ihr demokratischer Auftrag, an dessen Erfüllung auch ihre Legitimität gebunden ist. Sie muss sich jede notwendige Expertise besorgen, um ein wasserdichtes Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen, die Angemessenheit der Maßnahme klug begründen und bei der Höhe der Entschädigungszahlungen eine Anforderung des Grundgesetzes nicht aus den Augen verlieren: das Interesse der Allgemeinheit.
Womöglich dauert das alles Jahre, aber die Zeit haben wir jetzt auch noch. Die Angst regiert diese Stadt schon viel zu lange.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken