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Volksabstimmug in ParisVorbildhafte Kommunalpolitik

Tobias Bachmann
Kommentar von Tobias Bachmann

Autofrei in 500 Straßen. Wovon in Berlin viele träumen, könnte in Paris bald Wirklichkeit werden. Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht vor, wie's geht.

Bald vielleicht in weiteren 500 Pariser Straßen: Eine Markierung auf dem Boden weist darauf hin, dass diese Straße Fußgehzone ist Foto: Rachel Boßmeyer/dpa

W ährend eine Klimakrisennachricht die nächste jagt, versuchen Rechtsextreme, manche Konservative und die fossile Industrie einen Salto rückwärts in die 1980er. Davon weitgehend unbeirrt feilt die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo an der Verkehrswende in Frankreichs Hauptstadt. Am Sonntag gab es für die Pa­ri­se­r*in­nen die Möglichkeit, darüber abzustimmen, ob sie 500 noch zu bestimmende Straßen im Stadtgebiet weitgehend für Autos sperren und dafür begrünen lassen wollen.

Nun kann man, wie ein konservativer Pariser Po­li­ti­ke­r­, nörgeln, die Bür­ge­r*in­nen würden hinters Licht geführt. Gewiss hätten diese besser informiert werden müssen. Dass erst im Nachgang der Befragung ermittelt werden soll, welche Straßen sich für das Vorhaben überhaupt eignen, ist nicht sonderlich transparent. Doch anstatt komplett an ihren Bür­ge­r*in­nen vorbeizuregieren, versucht Hidalgo sie zumindest mitzunehmen und zur direkten Demokratie zu ermutigen.

Und das, obschon die Beteiligung bei früheren Volksabstimmungen eher dürftig blieb. Entscheidend ist aber: Hidalgo macht vor, wie wichtig es heute für Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen ist, die Handlungsfenster zu nutzen, die ihnen offenstehen. Gerade wenn die Verkehrswende und der Klimaschutz auf nationaler oder internationaler Ebene ausgebremst werden, braucht es mutige Politik in Städten und Gemeinden.

Und Hidalgo zeigt auch, wie es geht: mit einem klaren Plan. Seit Jahren arbeitet die Sozialistin daran, die Pariser Luftqualität zu verbessern und die Klimaziele der Stadt zu erreichen. Vor allem für Fuß­gän­ge­r*in­nen und Rad­fah­re­r*in­nen will sie die Metropole lebenswerter, sicherer und grüner machen. Weichen müssen dafür vor allem Autos.

Vielleicht ist Hidalgos Politik keine revolutionäre Realpolitik im Sinne Rosa Luxemburgs. Doch sie ist klassenorientierte Politik mit utopischem Überschuss. Wer sich einen SUV leisten will, muss fürs Parken in der Pariser Innenstadt tief in die Tasche greifen: 225 Euro für 6 Stunden. Auf Autobahnen hingegen sorgen Tempolimits und Vorrangspuren für Fahrgemeinschaften für ­frischere Luft. Und zwar für alle.

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Tobias Bachmann
Jahrgang 1989. Schreibt seit 2022 für die taz über soziale Bewegungen und gesellschaftlichen Wandel, Protest, Migration und Flucht. Studiert einen Mix aus Ökologie, Ressourcenökonomie, Politikwissenschaften und kritischer Theorie in Berlin.
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21 Kommentare

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  • Leider schon fast vergessen: Es gab auch in Deutschland mal eine Großstadt mit ambitionierten Verkehrsplänen.



    Das war Berlin unter RRG.



    Beerdigt wurde das Projekt nach den letzten Wahlen u.a. von der Berliner SPD, die unter Fr Giffey lieber die Rolle rückwärts machen wollte.



    Dem sind dann die fortschrittlichen Verkehrs- und Klimaprojekte zum Opfer gefallen.



    Somit gibt es in Deutschland tatsächlich keine einzige Großstadt, die sich mit den großen Vorbildern Kopenhagen, Paris und Barcelona auch nur ansatzweise messen könnte.

    • @hsqmyp:

      Die kleineren Großstädte Münster und Freiburg sind interessant, in Köln wurde nach langem Anlauf die grüne relative Mehrheit auch mal in einen guten Radweg am Innenstadts-Ring übersetzt. Innerhalb Münchens braucht kaum jemand ein Auto.



      Aber wo ist das 7.000-Räder-Parkhaus wie in Utrecht? Etc. Ja, machen wir bitte auch unter Schwarz-Rot im Bund weiter Wende über die Kommunen am Ort!

      • @Janix:

        Die Stadt Köln ist auch mit den Grünen als größter Fraktion im Stadtrat und in Stadtregierung das schlechteste Beispiel für eine lokale Verkehrswende. Die Pilotprojekte sind lückenhaft und entsprechen in langen Abschnitten nicht den Abstandsregeln nach StVO. Hauptaugenmerk der Grünen scheint auf dem Ausbau Kölns als lebensunwerte Eventmetropole zu sein: Einkaufstraßen, Partymeilen usw. damit das Gewerbe blüht und Geld in die leere Stadtkasse kommt. Alteingesessen KölnerInnen suchen nicht nur zu Karneval das Weite, sie ziehen uns Umland.

        • @DemokratischeZelleEins:

          Nach meinen Kenntnisse über Köln haben die Grünen die Macht nie wirklich gegriffen, weil im falschen Moment Jörg F. unpässlich war, der das hinbekommen hätte.



          Echte Kölners legen auch Radler Wert aufs virtuelle K-Kennzeichen - kaum ein Ort ist so selbstbesoffen. Die "Event"-Unkultur, die die Stadt verhunzt, war dabei noch der eigenartig überschätzte Volldilettant Schramma von der CDU, doch ich kann mich auch irren.

          • @Janix:

            Sie irren

            • @DemokratischeZelleEins:

              Werden Sie dann bitte konkret!

  • In Deutschland kommt man noch nicht mal auf die Idee an einen beliebten Pendler Zug ein, zwei weitere Wagen anzuhängen um den Menschen die zuverlässige Nutzung der Bahn zu bestimmten Uhrzeiten zu ermöglichen. Oder einfach nur die Taktung der Züge in den Stoßzeiten zu ändern.

    Von einem schlüssigen Gesamtkonzept des ÖNV das die Provinzen versorgt möchte ich erst gar nicht anfangen. Montag hin und Freitag zurück ist da oft die Devise.

    • @Tom Lehner:

      Zum ersten Punkt: Die Bahnsteiglänge oft.



      Wir haben das Geld ja lieber VW, BMW, Stuttgart 21 und Autobahnbauern in den Rachen gestopft



      Die Taktung ist teils durch die Mitarbeiterzahl limitiert (Krankenstand kommt hinzu), teils schon an der Kante der möglichen Taktung. Auch hier: längere Bahnsteige, mehr Linien, Vorrang vor Autos, um Verspätungen nicht entstehen zu lassen.



      Und oh ja, von dem, was der Staat für angebliche "Dienstwagen" oder Pendelei heraushaut, wäre ein deutlich besseres ÖPNV-System in der Fläche für die Vielen drin.

  • Das Bild zeigt sehr schön worauf es hinausläuft:



    Junge Leute und Kinder.

    Alte und mobilitätseingeschränke Menschen bleiben mal wieder außen vor.

    • @Bolzkopf:

      Wichtiger Punkt:



      Ein Ort, wo Mobilitätseingeschränkte leben können, wo z.B. Fußwege an Überwegen abgeschrägt und nicht zugeparkt sind. Wo auch stabile Dreiräder ausreichend Platz auf dem Radweg hätten



      Wo aber auch Fahrradrikschas oder öffentliche Elektrokleinbusse gibt und somit private Autos für den Nahverkehr auch für Mobilitätseingeschränkte da sind (die übrigens irgendwann mal den Führerschein abgeben und dann immer noch zum Supermarkt kommen können).

      • @Janix:

        "und somit statt vieler privater Autos ein Nahverkehr auch für Mobilitätseingeschränkte da ist", um es noch mal richtig zu schreiben.

  • Das hört sich sehr gut an. Es haben allerdings nur 4% der wahlberechtigten gewählt . Bleibt zu hoffen, dass der ÖPNV zu sozial verträglichen Preisen funktioniert und dass nicht nur besonders hübsche Quartiers profitieren.

  • Besonders in Großstädten ist das Prinzip, dass jeder mit einem Auto jeden Weg zurücklegen kann, längst vom Platzbedarf an eine Grenze gestoßen.

    Die kommunale Politik wird das hoffentlich früher als später akzeptieren.

    Ich fürchte, in Deutschland eher später.

    Parallel gibt's keinen Masterplan für den ÖPNV.



    Hier fehlt das Ziel, ein flächendeckendes wirklich gutes komfortabel Angebot mit sauberen Bahnhöfen und Konkurrenzfähigen Reisezeiten aufzubauen.

    Sehr viele Wege erfordern heute noch im ÖPNV doppelt so viel Zeit, als im PKW.



    Eine Fahrt in die Stadt mit dem ÖPNV kostet bereits für eine Person weit mehr, als die Parkgebühren für einen PKW.

    Wer ein Auto besitzt, nutzt da nur in Ausnahmefällen ein anderes Verkehrsmittel.

  • Bestenfalls ein Beispiel dafür, dass man BürgerInnen auch anders an politischen Entscheidungen beteiligen kann, als sie mit allgemeinen Wahlen abzuspeisen und dann eine Wahlperiode lang paternalistisch durchzuregieren. Mit echter Demokratie hat es aber auch nichts zu tun, wenn in einer Volksabstimmung über noch nicht konkretisierte Vorhaben unverbindlich abgestimmt wird. Das ist gespielte Mitmach-Demokratie, bei der sich die politische Elite die paternalistische Entscheidungsgewalt vorbehält; ähnlich wie beim Bürgerrat Ernährung im Wandel.

    In einer echten Demokratie beraten die BürgerInnen konkrete Lösungen und entscheiden im Konsens. In Paris müssten nun Planzellen, Citizens’ Jurys oder ähnliche Gremien, damit von demokratischer Teilhabe der BürgerInnen an Planungs- und Entscheidungsprozessen gesprochen werden kann. Für die demokratische Legitimität solcher Gremien ist die Auswahl der Beteiligten entscheidend, Die attische Demokratie regelte die durch das Losverfahren und verhinderte so effektiv die Ausbildung elitären Herrschaftsoligarchie.

  • Wie viele andere Städte und Orte ist Paris für Fußgänger entstanden, evtl. noch für Räder, Straßenbahn und Metro geeignet, aber kaum für Millionen von fahrenden Einzelzellen.



    Vorreiter der Verkehrs-Erneuerung sollte auch hier statt Paris und Kopenhagen Deutschland werden, so viel Ehrgeiz sollte schon sein.

  • Wahrlich ein leuchtendes Vorbild.

    Anne Hidalgo und die Pariser❤️innen machen vor, was möglich ist. Eine Stadt weg von Dreck, Lärm und ständiger Bedrohung, hin zu einer lebenswerten Stadt (zurück) zu entwickeln. Einer Stadt in der nicht die Privatinteressen einer privilegierten Minderheit über den Interessen der Allgemeinheit stehen.



    In der auch Alte, Schwache, Kinder und überhaupt alle, die Stadt als sicheren, freien, Gesunden - eben wirklich lebenswerten Raum nutzen wollen zu ihrem Recht kommen.







    Danke an Anne Hidalgo, Danke an die Pariser❤️innen, die bereits in der jüngeren Vergangenheit gezeigt haben, daß es auch anders geht..







    Ich wünsche auch dieser Initiative vollen Erfolg.!

  • Wenn man mal den deutschen Dunstkreis verläßt und einige Tage in Barcelona, Paris, Utrecht, Kopenhagen verbringt, sieht man ganz automatisch, wie rückwärtsgewandt wir in Deutschland sind.

    In Berlin war 2022 (?) die Friedrichstrasse in eine Fußgängerzone umgewandelt worden. Mit dem lokalen Regierungswechsel wurde das wieder rückabgewickelt.

    Bei den Koalitionsverhandlungen soll, obwohl kein Geld in der Kasse und riesige Schulden geplant, auch noch die Entfernungspauschale erhöht und damit umweltschädigender Einzelverkehr noch gefürdert werden.

    Wer sich mal die Tabelle des Bundesumweltministeriums "umweltschädigende Subventionen" aus 2018 anschaut, sieht dort den unvorstellbaren Betrag von 68 Mrd Euro JÄHRLICH ! Davon die Hälfte für Verkehr (Entfernungspauschale, Dieselprivileg, Dienstwagenprivileg,....) d.h. alles Bürger, die eher zum oberen Einkommensviertel gehören.

    Und da muss ein ehemals FDP-Verkehrsminister noch für das Deutschlandticket werben, dessen Existenz wegen läppischer 3 Mrd ungeklärter Finanzierung nicht sicher sein soll, während alleine die niedrigere Dieselsteuer uns fast 9 Mrd Euro kostet.

    Die dt. Autoindustrie hat jahrelang in einem Biotop gelebt !

  • Das klingt nach einem Paradies. Aber das Ergebnis sollte erstmal abgewartet werden.



    Heute ein Tag Urlaub an der Nordseeküste: Es waren den ganzen langen Nachmittag lärmende Motorräder kilometerweit zu hören. Vollgas röhrend, extra laut. Das ist kein Urlaub. In Deutschland regiert der Motorenlärmfetisch.



    Ich fahr demnächst wieder nach Kopenhagen oder nach Paris. Kultur und Vielfalt und das Ganze weitgehend autofrei zum Erholen. Wer hätte das gedacht, dass die Flucht vom Land in dei Stadt erfolgen würde.

  • Die Mitmachdemikratie legitimiert durch wen eigentlich? Ganze 6% der Pariser haben Insgesamt bzgl. der extremen Erhöhung von Parkgebühren von Nicht-Pariser Autobolliden abgestimmt. Hier soll es Richtung 1% gehen. Ist das die neue Bourgeoisie? Noch alle Latten am Zaun? Wo ist lässt sich daraus etwas legitimieren?

    • @Fritte:

      Wer nicht mit abstimmt nimmt es hin und ist zumindest nicht dagegen. Wenn einem die Ergebnisse gerade passen wird ja auch nichts dagegen gesagt.

    • @Fritte:

      Vielleicht jann ich Ihnen bei den fehlenden Latten aushelfen:







      Denn bei dieser Abstimmung, geht es nicht darum dafür abzustimmen oder gar nicht. Nö..die Pariser können sehr wohl auch dagegen stimmen. Wenn sie dies aber nicht tun, ist auch das ein Votum..sprich in dem Fall tun die Pariser❤️innen eben kund, daß es ihnen nicht so wichtig ist, ihre Privatkutschen unbedingt vor der Haustür zu haben.



      O.k. diese Möglichkeit scheint in dt Köpfen wohl nicht wirklich vor zu kommen..aber es gibt auf diesem Planeten eben auch noch Menschen, die nicht vom allgemeinen Autofetisch zerfressen sind..mit Verlaub..