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Frauen in der KunstViel Care und wenig Kohle

Essay von Sascia Bailer

Die Benachteiligung freischaffender Künstlerinnen übertrifft den gesamtwirtschaftlichen Gender-Pay-Gap. Und die Schere geht noch weiter auseinander.

Manchmal bräuchte es mehr als zwei Arme Foto: Katja Gendikova

Z eitgeist, Avantgarde, Zukunftsvisionen – das sind Begriffe, die gemeinhin mit Kunst und Kultur verbunden werden. Ein Blick hinter die Kulissen des Kulturbetriebs zeigt jedoch ein ganz anderes Bild: Hier herrscht eine prekäre und häufig rückwärtsgewandte Arbeitskultur mit alarmierenden Geschlechterungleichheiten.

So zeigen jüngste Auswertungen, dass der gesamtwirtschaftliche Gender-Pay-Gap von 18 auf 16 Prozent gesunken ist, während die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei den Soloselbstständigen im Kultursektor weiter ansteigt: Frauen verdienen nun nicht mehr 24, sondern 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, so Verdi Kultur in ihrer frisch veröffentlichten Analyse, die auf den Zahlen der Künstlerso­zial­kasse beruht.

Je nach Sparte sieht es noch düsterer aus: In der darstellenden Kunst und beim Film verdienen Frauen 34 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, in der bildenden Kunst und im Designbereich sind es 30 Prozent. Im Industrie-/Mode-/Textildesign verdienen die Kolleginnen knapp halb so viel, resümiert Verdi Kultur. Aber nicht nur Künstlerinnen, die vielleicht noch am Anfang ihrer Karriere stehen, müssen mit geringeren Einnahmen rechnen, sondern auch jene, die es weit gebracht haben.

Denn: Landet das Werk einer Künstlerin in einem Auktionshaus, so erzielt es dort in der Regel drastisch niedrigere Erlöse. Jeff Koons landete einen Rekordverkauf von rund 90 Millionen US-Dollar für eines seiner Werke, während das teuerste Kunstwerk einer lebenden Künstlerin, Jenny Saville, lediglich auf rund 13,6 Millionen kam. Eine Studie, die 1,5 Millionen Auktionstransaktionen in 45 Ländern untersuchte, ergab, dass die Werke von Frauen im Durchschnitt für rund 47 Prozent weniger verkauft werden.

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Kunst von Frauen verkauft sich schlechter

Bild: Soledad Muriel
Sascia Bailer

ist Autorin, Kuratorin und Wissenschaftlerin. 2024 erschien ihr Buch „Caring ­Infrastructures: Transforming the Arts through Feminist Curating“.

Die Studie fasste ernüchternd zusammen: „Kunst von Frauen scheint sich schlechter zu verkaufen, weil sie von Frauen gemacht wird.“ Wie kommt es also dazu, dass 2025 – zu einer Zeit, in der über 50 Prozent der Befragten angeben, dass die Gleichberechtigung in Deutschland sehr stark verwirklicht sei – Frauen im Kultursektor weiterhin überdurchschnittlich benachteiligt werden?

Die Antwort: Es ist ein zäher Mix aus überholten Rollenbildern und Vorurteilen, gepaart mit eingefahrenen Strukturen und einer chronischen Unterfinanzierung des Kultursektors, in dem Frauen und insbesondere Mütter weiterhin strukturell benachteiligt werden. Ein Zustand, der sich dringend ändern muss. Um zu wissen, wie, müssen wir die Wirkmechanismen zuerst genauer unter die Lupe nehmen.

Weibliche Kulturschaffende kämpfen weiterhin gegen ein hartnäckiges Ideal an, das sie nicht einschließt: die Idee von einem Künstlergenie, das bis in die tiefe Nacht wild den Pinsel schwingt oder tiefsinnig theoretisiert und zumeist als männlich und weiß verstanden wird. Und dieses imaginierte Künstlergenie kommt vermeintlich auch ohne die lästigen Unterbrechungen durch Sorgeverantwortung, Alltagsbewältigung oder Geldsorgen aus.

Obwohl das Ideal kaum realitätsferner sein könnte, bringt es weiterhin einen Kultursektor hervor, der männliche, zumeist weiße Künstler in die Führungsriegen von Museen und internationalen Kunstrankings einziehen lässt. Ein scharfer Blick auf die Zahlen lässt einen weiteren Schluss zu: Für Kunst schaffende Frauen ist Elternschaft ein größeres Karrierehindernis als für Männer. Unter den zehn erfolgreichsten Künst­le­r*in­nen im Kunstkompass sind nämlich alle Künstler auch Väter – von insgesamt 24 Kindern.

Kinderlos an die Spitze

Die beiden Künstlerinnen, die es unter die Top Ten geschafft haben, haben jedoch keine Kinder. Man denke nur an Jeff Koons mit seinem Rekordverkauf: Seine acht Kinder scheinen seiner Karriere nicht im Wege gestanden zu haben. Im Kunstbereich stellt also Sorgearbeit primär für weibliche Kunstschaffende ein zentrales Risiko der geringeren Entlohnung und Altersarmut dar. Darüber hinaus scheint die Fürsorgetätigkeit von Frauen ihnen als Unfähigkeit zu künstlerischen Geniesprüngen ausgelegt zu werden: entweder Kunst oder Kind. Eine sexistische Schlussfolgerung, die eben nicht gleichermaßen für Mütter wie für Väter gilt.

Die Absprache von Kompetenz und Karrieremöglichkeit aufgrund von Sorgeverantwortung beobachten wir nicht nur in der Kunst. Dass diese Realitäten aber in der Kunst verstärkt werden, liegt neben sexistischen Rollenzuschreibungen eben auch an den Strukturen. Hohe Flexibilitätserwartungen sind nicht mit Kitaöffnungszeiten vereinbar; Stipendien- und Förderprogramme haben häufig Altersbeschränkungen, die Sorgearbeitende diskriminieren; wichtige Eröffnungen, Aufführungen und Artist-Dinners finden zur Zeit des Ins-Bett-Bringens statt.

Diejenigen, die sich um den Nachwuchs kümmern, fallen somit für mehrere Jahre aus den sozialen Kreisen heraus. Sie können weniger netzwerken, seltener wichtige Ak­teu­r*in­nen der Szene an ihre Kunst erinnern und kaum noch an Artist-Residencys teilnehmen, die so zentral für einen erfolgreichen Lebenslauf einer Künstlerin sind. In der Schweiz sind beispielsweise nur 7 Prozent der Aufenthaltsstipendien familienfreundlich.

In Deutschland haben sich letztens knapp 1.300 Frauen auf den europaweit einzigartigen Gabriele Münter Preis beworben, der speziell für bildende Künstlerinnen über 40 Jahren ausgeschrieben wird. Es wird klar: sehr viel Bedarf und sehr wenig Möglichkeit. Solange Care-Arbeit als weiblich verstanden wird, müssen wir Sorgearbeit und Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft und den Künsten zusammendenken.

Zum Beispiel familienfreundliche Stipendien

Sorgearbeit muss somit als ein zentrales Hindernis für ökonomische, soziale und kulturelle Teilhabe von Kulturarbeitenden ernst genommen und bekämpft werden – sonst lassen sich die Gender-Gaps in der Kunst nicht schließen. Dabei mangelt es nicht an Lösungsansätzen: Bundesweit engagiert sich eine Vielzahl an Ini­tia­tiven, um konkrete Gleichstellungsanliegen in die kulturpolitische Umsetzung zu drängen.

So forderten bereits 2023 Vertreterinnen verschiedener Netzwerke im Kulturausschuss die Politik auf, eine paritätische Besetzung von Jurys und bei der Vergabe von Fördergeldern umzusetzen sowie eine Diversitätsquote von 30 Prozent einzuführen, um nichtweiße Minderheiten zu fördern. Das Aktionsbündnis „fair share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen“ fordert unter anderem, dass Sammlungen, Ankäufe und Ausstellungen nach den Prinzipien der Gendergerechtigkeit umgesetzt und nachgebessert werden.

Weitere Ini­tia­ti­ven machen sich auch dafür stark, dem Gender-Care-Gap in den Künsten gezielt entgegenzuwirken: „Mehr Mütter für die Kunst“, „K&K – Bündnis Kunst & Kind“, „other writers“, „Mothers*, ­Warriors, and Poets“ und „Bühnenmütter*“ setzen sich seit Jahren dafür ein, Aufenthaltsstipendien familienfreundlich zu gestalten, die Altersgrenzen bei Stipendien abzuschaffen und Unterstützung beim Wiedereinstieg nach der Familienphase zu gewährleisten.

Dabei sind nicht alle Veränderungen zwingend teuer oder kompliziert. Vieles können Kultur­arbeitende, ob in Führungspositionen, als Mitarbeitende oder als Freischaffende, eigenständig umsetzen: sich mit den eigenen Vorurteilen kritisch auseinandersetzen, die Uhrzeiten von Veranstaltungen elternfreundlich gestalten, in Ausschreibungen für Artist-Residencys den Satz „Eltern sind willkommen“ aufnehmen.

Zeitzehrender Kampf

Für all das braucht es erst einmal kein großes Budget, sondern Reflexion, Willen und ein Verantwortungsbewusstsein, für den Wandel Sorge zu tragen. Aktuell wird das Sorgetragen für Gleichstellung und Vielfalt zumeist von jenen geschultert, die ohnehin schon prekär verortet sind – nämlich von Kultur schaffenden Frauen, Queers, Eltern, Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen mit Beeinträchtigungen.

Die Zeit, die Künstlerinnen und andere Kulturarbeiterinnen aufbringen müssen, um nicht vom Kulturbetrieb ausgeschlossen zu werden, ist wertvolle Zeit, die von der ihres kreativen Schaffens abgeht. „Auch wir sollten jetzt eigentlich im Atelier sein und an unseren Werken arbeiten und nicht hier für unsere Rechte einstehen müssen!“, so Gabi Blum und Anna Schölß, Macherinnen von „K&K – Bündnis Kind & Kunst“, beim parlamentarischen Frühstück „Yes, we care“ letztes Jahr in Berlin.

Es braucht sowohl das Engagement von ­unten als auch von oben, um Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt Realität werden zu lassen. Insbesondere in Hinblick auf die enormen Herausforderungen unserer Zeit: anhaltende, drastische Kürzungen in Kulturetats, die Wiederaufhebung von hart erkämpften Ausstellungsvergütungen, eine globale Welle an antifeministischem Backlash und Schließungen von „Diversity, equity, and inclusion“-Programmen in großen Unternehmen, aber bereits auch in Museen.

Die Künste müssen gerade jetzt kulturpolitisch enorm gestärkt und nicht beschnitten werden. Damit sie einerseits als gesellschaftlich wichtige, die ­Demokratie fördernde Kräfte erhalten bleiben. Und andererseits, um das Kunstfeld als prekären Arbeitssektor nicht noch ungleicher werden zu lassen.

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