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Verzögerter Bau von neuen GaskraftwerkenEnergielobby stellt den Kohleausstieg 2030 infrage

Das Wirtschaftsministerium hat das Gesetz für neue Gaskraftwerke fertig, die den Kohleausstieg absichern. Ob es in den Bundestag geht, ist unklar.

Haben hart für den Kohleausstieg gekämpft: Klimaaktivist:innen, hier im Dorf Weisweiler im Rheinischen Revier Foto: Nicolaj Zownir/ www.imago-images.de

Berlin taz | Das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium hat seine Hausaufgaben gemacht, aber womöglich zu spät für diese Legislaturperiode. Das Gesetz für den Bau neuer Gaskraftwerke steht. Es ist wichtig, weil es den Kohleausstieg flankieren soll. „Das BMWK hat einen Entwurf fertiggestellt“, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) der taz. In der verbliebenen Bundesregierung laufen nach seinen Angaben Beratungen dazu. Aber ob das „Kraftwerkssicherungsgesetz“ vor den Neuwahlen noch in den Bundestag eingebracht wird, ist unklar.

Der Hintergrund: Auf Empfehlung der Kohlekommission mit Ver­tre­te­r:in­nen aus vielen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft hat die Große Koalition den Ausstieg aus der Kohleverstromung auf spätestens 2038 festgelegt. Die Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag das Ziel auf 2030 vorgezogen. Für das Rheinische Revier ist das bereits eingeleitet, für das ostdeutsche Kohlegebiet nicht. Voraussetzung für den Kohleausstieg ist, dass genug andere Kapazitäten für die Stromproduktion vorhanden sind. Darüber wacht die Bundesnetzagentur.

Mit der sogenannten Kraftwerksstrategie hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Plan für neue Gaskraftwerke vorgelegt, bei dem es unter anderem um das Absichern der Stromversorgung nach dem Kohleausstieg geht. Gaskraftwerke sind kurzfristig einsetzbar, etwa wenn bei einer Dunkelflaute wegen Sonnen- und Windmangels die erneuerbaren Energien kaum Strom liefern.

Auch Gas ist klimaschädlich, deswegen soll es perspektivisch durch grünen Wasserstoff ersetzt werden – aus diesem Grund sollen die neuen Kraftwerke umrüstbar sein. Der Staat wird den Bau mit vielen Milliarden Euro fördern. Habecks Strategie hat bei Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen und Öko­no­m:in­nen wegen der Fokussierung auf große Kraftwerke Kritik hervorgerufen, denn sie sehen billigere und klimafreundlichere Möglichkeiten für eine sichere Stromversorgung.

Umgesetzt werden muss Habecks Plan mit dem Kraftwerkssicherungsgesetz, das ursprünglich noch in diesem Jahr verabschiedet werden sollte. „Dieses Gesetz ist wichtig für das Stromsystem und legt gleichzeitig das Fundament für einen funktionierenden Wasserstoffmarkt“, sagt der Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Vor allem wird damit die Modernisierung der Kraftwerke in Deutschland und die Entwicklung der Wasserstofftechnologie vorangetrieben.

Appell der Energiewirtschaft

Der Gesetzentwurf sieht Details für die Ausschreibungen der Kraftwerke vor, die bald beginnen sollen. Es ist allerdings unklar, ob Grüne und SPD den Entwurf in den Bundestag einbringen werden. Denn es ist unsicher, ob es eine Mehrheit dafür geben würde. Bevor das Gesetz nicht verabschiedet ist, können die Ausschreibungen für die Errichtung der Werke aber nicht beginnen. Das könnte zu erheblichen Verzögerungen führen.

Immer wieder warnen deshalb Stimmen aus der Energiewirtschaft oder von Gewerkschaftsseite, dass durch die Verschiebung der Kohleausstieg gefährdet sei. „Ein Kohleausstieg im Jahr 2030 kann nur funktionieren, wenn bis dahin ausreichend Gaskraftwerke zugebaut werden“, sagt etwa Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Von der Ausschreibung bis zur Inbetriebnahme eines Kraftwerks vergehen Jahre. Aus Sicht des Energieverbandes muss mit dem Bau neuer Kraftwerke so bald wie möglich begonnen werden. „Wir appellieren deshalb an die Regierung und Fraktionen des Bundestags, sich so schnell wie möglich auf eine praxisnahe Ausgestaltung zu einigen, damit die notwendigen Investitionen in wasserstofffähige Kraftwerke erfolgen können“, sagt Andreae.

In der Regierung wird das offenbar nicht so dramatisch gesehen. Der Kohleausstieg werde durch den Zubau neuer Kraftwerke zwar abgesichert, heißt es aus Regierungskreisen. Von einer Gefährdung des Kohleausstiegs wegen einer Verzögerung des Gesetzes gehen die Verantwortlichen aber nicht aus.

Genug Kapazitäten

Auch Karsten Smid, Energieexperte von Greenpeace, sieht diese Gefahr nicht. „Das ist Säbelrasseln der Energielobby“, sagt er. „Neue Gaskraftwerke sind nicht die entscheidende Größe für den Kohleausstieg.“ Die erneuerbaren Energien und Lösungen für das Speichern von Strom würden bis 2030 erheblich stärker ausgebaut als vielfach erwartet. Die Bundesregierung habe hier viel angestoßen. „Das muss weiter ausgebaut werden“, sagt er.

Auch in Dunkelflauten ohne Sonnen- und Windenergie sei die Stromversorgung in Deutschland nicht von Gaskraftwerken abhängig, betont Smid. Es gebe genügend Reservekapazitäten. Außerdem sei der Energiemarkt europäisch vernetzt, sodass Strom bei Bedarf importiert werden könne.

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18 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Tja, irgendwo muss der Strom für den Wasserstoffstahl, die "innovativ" auf Stromwärme umgestellte Ziegelproduktion, die E-Autos und Wärmepumpen ja herkommen. Und zwar wetterunabhängig.



    Stromsparen ist aus der Mode, und Bioenergie ist böse. Was bleibt?

    • @sollndas:

      Ihre Beispiele wären nur fast alle welche, wo man Speicher oder Pausetaste hätte: bei Wasserstoff den Wasserstoff, die Produktion fährt man einen halben Tag runter, die E-Autos laden etwas weniger auf, die Wärmepumpen hätten auch noch ein paar Stunden Flexibilität (und wenn Sie halbwegs gut gedämmt haben, erfriert in Deutschland niemand so rasch).

      Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich mag Stromsparen sehr, darum wird es auch gehen. Ich bin froh, dass nach 16 Jahren endlich wieder Energiewende angepackt wird. An die Leitungsquerschnitte müssen wir auch noch.



      Es wird auf die billigsten Gestehungskosten hinauslaufen, also Erneuerbare, und Speicher o.ä. zum Ausgleich. Um Strom mache ich mir kaum Sorge.



      Die Baustellen werden Wärme und Verkehr sein, auch dort lief es 16 Jahre lang teils rückwärts.



      Echtes Biogas reicht nicht aus, "Biofuels" sind nicht mal ein PR-Gag.

  • Bei DER Lobby werden sich CDSUAFDP und teilweise auch die SPD wohl kaum massiv ins Zeig legen um den Dreckschleudern der Garaus zu machen. Es steht viel Geld auf dem Spiel: Profite und -- Parteispenden.

  • Wieso nur beschleicht mich das Gefühl, dass wir zwar immer mehr für Energie bezahlen müssen, sie aber trotzdem nicht sauberer wird? Was man jedem abverlangt der ein Haus baut, kann man auch der Energiewirtschaft abverlangen, deutlich mehr saubere Energieerzeugung.

  • "Von der Ausschreibung bis zur Inbetriebnahme eines Kraftwerks vergehen Jahre. Aus Sicht des Energieverbandes muss mit dem Bau neuer Kraftwerke so bald wie möglich begonnen werden."



    Allenthalben höre ich "Fachkräftemangel", an Baustellen und bei Behörden. Da bin ich gespannt auf die Planungen und deren Umsetzung. Mit Klagen ist sicherlich auch zu rechnen.



    Ein Beispiel:



    www1.wdr.de/nachri...gsgericht-100.html

  • Die Antwort ist Biogas bzw daraus aufbereitetes Erdgas, nicht Wasserstoff.



    Biogas kanibalisiert Wind und Solar weil es Mangels Speichermöglichkeit auch Strom erzeugt wenn dieser garnicht gebraucht wird. Wir produzieren jetzt, obwohl das Potential z.b. aus Biomüll nicht ausgereizt ist bereits genug Biogas das wir davon jedes Jahr eine zwei Monate dauernde Dunkelfhlaute überbrücken können.



    Ausnahmslos alle Komostierungsanlagen müssen zu Biogasanlagen umgebaut werden. Alle Biogasanlagen brauchen Gasaufbereiter und Gasnetzanschlüsse.



    Wir werden bis 2038 oder gar 2030 nicht ausreichend H2 produzieren können. Zumal auch dessen Speicherung kacke is.

    • @Jasmin Reeh:

      Biogas sollte dabei echtes Biogas sein, kein mit Öl erzeugtes Maiszeugs.



      Methan sollte dabei nicht austreten, sondern komplett erfasst werden.



      Wer beitragen will, sortiert z.B. seinen Biomüll trennscharf und ermuntert andere auch dazu.



      Nebenpunkt: Zwei Monate "Dunkelflaute"???? Und das sogar trotz europäischer Vernetzung???

      Ansonsten brauchen wir Erneuerbare, Energiesparen und Effizienz im Dreiklang.

    • @Jasmin Reeh:

      Ihr Wort in des nächsten Energieministers Gehörgang. Bei den Grünen ist ja Bioenergie ziemlich bääh...



      Bioenergie ist sicher nicht die alleinige Lösung des Speicherproblems, aber sie könnte eine Lösung deutlich vereinfachen und verbilligen.



      Methan hat reichlich die dreifache Energiedichte von Wasserstoff. Da passen die erforderlichen Terawattstunden auch in die vorhandenen (!!!) Gasspeicher rein.

  • "Auch in Dunkelflauten ohne Sonnen- und Windenergie sei die Stromversorgung in Deutschland nicht von Gaskraftwerken abhängig, betont Smid. Es gebe genügend Reservekapazitäten. Außerdem sei der Energiemarkt europäisch vernetzt, sodass Strom bei Bedarf importiert werden könne."

    Sicher, darum hat Frankreich auch gerade eben ein uraltes Kohlekraftwerk angeworfen!



    ..während man in Hamburg ein modernes Kraftwerk nach nicht einmal 10 Jahren verschrottet.



    Danaben geben wir noch ca. 3 Milliarden im Jahr für das Verklappen von Strom bzw dessen Import aus.

    Schon im Titel der alte Mist von einer bösen "Energielobby"



    Wer soll das eigentlich sein?



    Strombarone die für Profitinteressen die Umwelt vergiften?

    Der Bullshit der "profitgierigen Konzerne" im Energiebereich wurde uns schon in der 80ern aufgetischt.



    Problem= Realität: Die bösen kapitalistischen Konzerne waren nahezu 100% im Eigentum des Staates oder der Kommunen.



    Und viele sind es heute immer noch.

  • Klar, so lange wie es geht noch ein wenig Kohle scheffeln (Wortwitz gewollt).

  • Da braucht man jetzt garnichtmal die Lobbiisten vorschieben - ist doch die öffentliche Hand ganz dick am Energiesektor beteiligt ...

  • Diese Fixierung auf Kohle und Gas (und Atomkraft, vgl. CDU) erscheint mir allmählich krankhaft. Ich wage sogar zu bezweifeln, dass es profitabler wäre, als andere Alternativen. In den USA wurden in den vergangenen 4-5 Jahren Batteriespeicher vergleichbar mit der Kapazität von 20 Kernkraftwerken gebaut.



    www.infosperber.ch...tt-kernkraftwerke/

    • @nothingness:

      Der verlinkte Artikel ist aber außergewöhnlich dumm. Er vermischt fröhlich Arbeit und Leistung, Megawattstunden und Megawatt. Und suggeriert damit, diese Speicher könnten dieselbe Energiemenge liefern wie 20 Kernkraftwerke, was natürlich nicht der Fall ist.

    • @nothingness:

      Ein paar Zusatzinformationen: Eine Batteriekapazität von 20 GW reicht um 1 Stunde lang 20 GW Strom zu liefern; dann sind die Batterien leer.

      Bei der letzten mehrtägigen Dunkelflaute kamen teils 70 Prozent des Stroms aus Kohle- und Gaskraftwerken. Bei einem Bedarf von 80 GW/h wäre dieser Speicher nach 21 Minuten leer. Zum erneuten Laden der Batterien mit überschüssigem Strom aus Erneuerbaren Energien muß evtl. bis zum Frühjahr gewartet werden.

      Batterien nützen, wenn das Wetter wankelmütig ist, dann gehen Kraftwerke Standby, Kohlekraftwerken werden vorgeheizt. Der Standby-Betrieb kann verkürzt werden, wenn Batterien die Vorheizzeit überbrücken können.

      Batterien können in einigen Regionen mehr. Dort wo über 300 Tage im Jahr recht zuverlässig die Sonne scheint, können Batterien mit Solarstrom fast täglich geladen und entladen werden. Überschüssige Energie läßt sich täglich billig kaufen und abends teuer verkaufen. Dadurch entfallen lange Laufzeiten von fossilen Kraftwerken.

      In Deutschland ist Laden/Entladen nur an einigenTagen im Sommer möglich. Im Winterhalbjahr müssen Kraftwerke laufen.

      Witz: Mit AKW könnten jeden Nacht Batterien geladen werden. Im Sommer tagsüber ein 2. Mal.

  • >Aber ob das „Kraftwerkssicherungsgesetz“ vor den Neuwahlen noch in den Bundestag eingebracht wird, ist unklar.

    Ist das nicht in Wirklichkeit ziemlich klar, dass es nichts mehr wird?

  • Braunkohle vernichtet Heimat und das Klima. So rasch wie es geht, raus. Und dank Erneuerbarer ist das machbar.



    Braunkohle ist eher unflexibel und passt sowieso nicht.

    • @Janix:

      Da wäre leider noch das Problem der Dunkeltage (kaum Wind, kaum Sonne) , welches nicht einmal im Ansatz gelöst ist.



      Aber ja, weg von der Kohle.

      • @Hans Dampf:

        Es gab ganz lange keinen Markt für Speicher.



        Das ändert sich gerade, und die Technologieentwicklung findet auch mal außerhalb der Fraunhofer-Institute statt. Da bin ich auf der optimistischen (nicht: blauäugigen) Seite.

        Eine weitere Idee will z.B. die riesigen Braunkohlekrater zwischen Köln und der Niederlande für Pumpspeicherwerke nutzen.



        Und auf absehbare Zeit sind die Franzosen froh, uns ihren unflexiblen Atomstrom verkaufen zu können. Eine Flaute in ganz Europa zugleich ist arg unwahrscheinlich.