Verurteilter russischer Oppositioneller: EGMR fordert Freilassung Nawalnys
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte will, dass Nawalny unverzüglich aus russischer Haft entlassen wird. Ein Kreml-Politiker verwies auf die Verfassung.
STRAßBURG dpa | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Russland aufgefordert, Oppositionsführer Alexej Nawalny unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Wie das Gericht am Mittwoch mitteilte, gab es damit einem Antrag Nawalnys auf einstweilige Maßnahmen statt. Diese sind laut Gericht verbindlich und werden nur selten und bei unmittelbarer Gefahr auf irreparablen Schaden gewährt. Die Art und das Ausmaß der Gefahr für Nawalnys Leben sei in der Entscheidung berücksichtigt worden, hieß es.
Russland reagierte prompt: Der Vize-Vorsitzende des Duma-Rechtsausschusses, Michail Emeljanow, hält es der Agentur Interfax zufolge für unwahrscheinlich, dass sein Land der Forderung nachkommen werde. Er verwies auf die neue Verfassung, die nationale Interessen Russlands über internationales Recht stellt.
Der Kremlkritiker war vor mehr als zwei Wochen in einem heftig kritisierten Prozess zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt worden. Er soll gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte.
Ihm werden aber ein mehrmonatiger Hausarrest und Haftzeiten angerechnet, so dass seine Anwälte von zwei Jahren und acht Monaten ausgehen. Das Urteil in diesem früheren Verfahren hatte das Menschenrechtsgericht 2017 als offenkundig unangemessen bezeichnet.
„Ich möchte sagen, dass es mir gut geht, denn ich habe das Wichtigste, was ein Mensch in meiner Situation braucht: eure Unterstützung“
Der Gerichtshof teilte mit, dass Nawalny im Januar eine weitere Beschwerde gegen Russland eingereicht hatte. Zeitgleich habe er um seine Freilassung als einstweilige Maßnahme gebeten. Ob die neue Beschwerde Nawalnys vom Gericht zugelassen wird, ist noch offen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat. Gemeinsam setzen sie sich für den Schutz der Menschenrechte in ihren 47 Mitgliedstaaten ein. Sie sind keine Organe der Europäischen Union.
Nawalny bedankte sich unterdessen für den Beistand seiner Anhänger. „Ich möchte sagen, dass es mir gut geht, denn ich habe das Wichtigste, was ein Mensch in meiner Situation braucht: eure Unterstützung“, hieß es auf dem Instagram-Account des 44-Jährigen. „Glaubt mir, ich spüre sie.“
Leser*innenkommentare
06438 (Profil gelöscht)
Gast
Keine guten Nachrichten für Nowitchok-Versteher
Vor 23 Jahren, am 5. Mai 1998, trat die Russische Föderation der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bei. Zwei Jahre zuvor war die Russische Förderation Mitglied des Europarats geworden.
Politisch steht die Mitgliedschaft heute vor schwer zu bewältigenden Herausforderungen - völkerrechtlich hingegen ist das Verhältnis recht eindeutig:
Als Mitgliedstaat ist Russland verpflichtet, die Menschenrechte der EMRK zu garantieren und die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in allen Rechtssachen, in denen es Partei ist, zu befolgen.
Alles andere is ein eklatanter Rechtsbruch - genauso wie der Rechtsbruch des Aufenthaltes und der Einsatz des russischen Nervengiftes Nowitchok. Putin selbst hat das völkerrechtliche Verbot der Lagerung und des Einsatzes von Nowitchok in Russland und anderswo rechtsverbindlich unterschrieben.
Für die Sowjetunion war der Gedanke der staatlichen Souveränität zentral. Danach waren die Menschenrechte Bestandteil der inneren Angelegenheiten der Staaten und dem Völkerrecht entzogen. Außerdem wurde Russland nach Jahrzehnten der ideologischen Auseinandersetzung zwischen der Sowjetunion und dem Westen mit dem Beitritt Mitglied der westlichen Wertegemeinschaft.
Nach deren Selbstverständnis sind Friede und Zusammenarbeit in Europa nur möglich, wenn sich die Mitglieder zu Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verpflichten.
Natürlich wird das russische Regime weiterhin den Rechtsbruch betreiben - aber solange die Förderation Mitglied im Europarat ist - betreibt Rechtsbruch - der sanktioniert werden kann.
Darüber wird die EU am 22, Februar entscheiden.
Barbara Falk
@06438 (Profil gelöscht) "Nowitschok-Versteher". Großartig, Coriander, you made my day :-)
Aber: Europarat ist nicht gleich EU. Was die EU, auch unter dem Eindruck dieser Entscheidung, ggf. an Sanktionen beschließen wird, ist reine EU-Angelegenheit.
Einziger Sanktionsmechanismus des Europarates ist: zeitweilige Nichtzulassung der russischen Delegation, und letzten Endes nur ein Ausschluss Russlands. Wozu es nicht kommen wird. Und was auch nicht wünschenswert wär, denn damit wäre Russland nicht mehr Mitglied des EGMH. Dessen Rolle beim Schutz der Grundrechte in Russland (gerade für die vielen weniger prominenten Opfer des Regimes) kann gar nicht hoch genug bewertet werden, auch wenn leider auch bisher schon viele Urteile nicht oder nur unvollständig umgesetzt wurden.
Nachdem die russische Justiz nun beschlossen hat, Herrn Nawalny nächsten Samstag an ein und demselben Tag in gleich zwei Verfahren zu abzurteilen - die Verhandlung über den Widerspruch gegen die am 2.2. ausgesprochene Haftstrafe in Sachen "Yves-Rocher", und die Urteilsverkündung wegen "Verleumdung eines Veteranen" wurden ZUSAMMENGELEGT (!), werden seine Anwälte an diesem Tag der Richterin auch die EGMH-Entscheidung auf den Tisch legen. Übermorgen ist also "Aktionstag des Russischen Justiz": Drei Richtersprüche gegen Nawalny zum Preis von einem.
06438 (Profil gelöscht)
Gast
@Barbara Falk Danke. Was bleibt - aus europäischer oder aus der Sichtweise der Bundesrepublik - sollte am Umgang mit Sanktionen festgehalten werden.
1.. Baustopp von Northstream2 um den Druck zu erhöhen und Aufklärung über die merkwürdige Gazprom Naturstiftung in Mac - Pom
die den Bau weiter treibt.
2.. Weitere Berichterstattung darüber wie der Gasmann Schröder als Ex-Bundeskanzler und Mann ohne Eigenschaften im halbstaatlichen Unternehmen Gazprom sich den Zielen des russischen Regimes unterordnet - und die russischen Schweinereien mit hilft zu finanzieren.
3.. Aufklärung und Sanktionen gegen russische Oligarchen und politische Unterstützer & verantwortliche Funktionsträger Putins die sich in der Bundesrepublik niedergelassen haben.
4.. Ein Video über die Niederlassungen von russischen Verantwortlichen in der Bundesrepublik wäre nach der Urteilsverkündung ein wunderbarer Weckruf insbesondere für diejenigen, die immer noch glauben das Putin irgendwas mit Sozialismus zu tun hat.
Barbara Falk
@Barbara Falk EGMR muss es natürlich heißen.