piwik no script img

Verurteilter Waffenlieferant des NSUErste Haftstrafe verbüßt

Carsten S. wurde als Waffenlieferant des NSU-Trios verurteilt, packte als Einziger voll aus. Nun hat er seine Haftstrafe abgesessen.

Als Einziger packte er im NSU-Prozess voll aus: Carsten S., nun in Freiheit Foto: Andreas Gebert, dpa

BERLIN/MÜNCHEN taz | Er war der Einzige, der im NSU-Prozess voll aussagte, der seine Taten glaubhaft bereute. Und der Einzige, der das Urteil vom 11. Juli 2018 akzeptierte und seine Haftstrafe antrat: Carsten S., verurteilt zu drei Jahren Jugendstrafe, als Waffenlieferant des Terrortrios. Nun ist er auch der Erste, der seine Haft bereits verbüßt hat und wieder in Freiheit ist.

Im Frühjahr 2019 hatte Carsten S. seine Haft angetreten. Bereits am 12. Juni dieses Jahres sei er nun entlassen worden, bestätigte ein Sprecher des Oberlandesgerichts München der taz. Er habe die Hälfte seiner Strafe abgesessen, der Rest sei zur Bewährung ausgesetzt. Bei Jugendstrafen ist dies so möglich. Auch der Anwalt von Carsten S., Johannes Pausch, bestätigte die Freilassung. „Er bereut seine Tat bis heute sehr, sie wird ihn nie loslassen. Aber er ist auch zuversichtlich, jetzt ein neues Leben beginnen zu können.“

Wo Carsten S. in Haft saß, bleibt bis heute geheim, da sich der 40-Jährige wegen seiner Aussagen in einem Zeugenschutzprogramm befindet. Selbst seine Anwälte wissen es laut eigener Auskunft nicht. Ebenso wenig, wo S. nun – unter neuem Namen – lebt. Er organisiere derzeit seinen Alltag neu und sei auf Jobsuche, sagte Pausch.

Carsten S. gehörte in den Neunzigerjahren zur rechtsextremen Szene in Jena, ebenso wie die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Als diese untertauchten, wurde er von Unterstützern eingesetzt, den Telefonkontakt zu halten. Im Jahr 2000 überbrachte der damals 19-Jährige dem Trio dann ihre spätere Mordwaffe, die Ceska-Pistole, samt Schalldämpfer und Munition. Mit dieser erschossen Böhnhardt und Mundlos neun Menschen mit Migrationshintergrund. Das erste Opfer war Enver Şimşek in Nürnberg, vor genau 20 Jahren.

Carsten S. brach kurz nach der Waffenabgabe und einem Vorbeugegewahrsam in anderer Sache mit der rechtsextremen Szene. Er zog nach Düsseldorf, outete sich als schwul und arbeitete bei der Aidshilfe. Als 2011 der NSU aufflog – Böhnhardt und Mundlos hatten sich nach einem gescheiterten Bankraub erschossen, Zschäpe hatte den Unterschlupf in Zwickau in die Luft gesprengt –, holte S. die Vergangenheit ein: Er wurde verhaftet und saß zunächst vier Monate in Haft.

Hinterbliebene verziehen ihm

Anders als Zschäpe und die drei weiteren mitangeklagten Helfer sagte S. im Prozess voll und unter Tränen aus, belastete sich und den früheren NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer. Die Opfer des NSU bat er um Entschuldigung. Einige nahmen diese an, baten das Gericht um Milde für Carsten S. Es kam sogar zu einem Treffen von Hinterbliebenen mit ihm.

Die Verteidiger von Carsten S. hatten in dem Prozess einen Freispruch gefordert: Ihr Mandant habe die Morde nie für möglich gehalten. Das Gericht sah es anders und verurteilte ihn zu Beihilfe zum Mord. Weil S. zur Tatzeit Heranwachsender war, wurde er aber noch zu einer Jugendstrafe verurteilt. Anders als Zschäpe, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und die anderen Mitangeklagten legte er keine Revision ein.

Bereits im April gab es eine Anhörung von Carsten S. vor dem Oberlandesgericht München, unter Leitung von Richter Manfred Götzl, der auch das NSU-Urteil sprach. Dem Verurteilten wurde danach eine günstige Sozialprognose attestiert und die Haftentlassung auf Bewährung zugestanden.

Mit den Revisionen von Zschä­pe und den Mitangeklagten Wohlleben, Eminger und Holger G. beschäftigt sich nun der Bundesgerichtshof. Im Fall von Eminger legte auch die Bundesanwaltschaft Revision ein. Eine Entscheidung darüber wird erst im nächsten Jahr erwartet. Zschä­pe befindet sich damit weiter in U-Haft, seit neun Jahren. Die anderen Mitangeklagten, die Haftstrafen bis zu zehn Jahren erhielten, sind vorerst weiter auf freiem Fuß.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Schön, dass (aufrichtige) Reue sowohl von einigen Hinterbliebenen, als auch vom Gericht anerkannt wird. Auch wenn die Relation im Urteil zu den anderen Tätern noch eine andere sein könnte.



    Schön auch, dass darüber berichtet wird.



    Was hingegen ein Outing im Lebenslauf für eine Relevanz hat, erschließt sich mir nicht...

  • Unfassbar... 2011 flog die Mörderbande auf, jetzt wird ein im weitesten Sinne Unterstützer freigelassen... die weiteren Mittäter/Mitwisser sitzen auch nicht mehr all zu lange... Haft von 8 Jahren bis lebenslänglich ... Zschäpe sitzt mit U Haft (anrechenbar) auch schon im 10 Jahr... die anderen werden demnächst frei gelassen. Und Zschäpe wird als nicht Mal 50 jährige mit neuer Identität einkaufen sic. Was für eine Farce... fast 10 Jahre nach der Tat laufen noch Revisionverfahren. Was ist das für eine Rechtsprechung... was war der Zschäpe Prozeß für ein billiger Rummel.. 5 Jahre.. unfassbare fünf Jahre wurden verhandelt... und doch schon so fern... Ich musste nachschauen wie man Zschäpe schreibt

    • @cosmoplitaBE:

      Es ist bedauerlich, dass Sie diese Auffassung äussern.- Ein "billiger Rummel" war dieser Prozess mit Sicherheit nicht.- Auch wenn das Ergebnis erklärungsbedürftig scheint. Aber ein funktionierender Rechtsstaat und faire Strafverfahren (gerade auch gegen mutmassliche Feinde der offenen Gesellschaft und mutmassliche Mörder, bzw. Unterstützer) darf sich nicht davon leiten lassen, was wünschenswert und moralisch geboten wäre. - Er muss verurteilen, wenn die Beweisaufnahme das als möglich erscheinen lässt.- Und warten Sie mal die Entscheidung des BGH ab. - Falls es bei dem Urteil bleibt, würde Frau Beate Z. mitnichten so schnell in Freiheit kommen.. (zumal die besondere Schwere der Schuld eine Sicherungsverwahrung nach der Haftverbüssung möglich machen könnte)

      • @tomka Hauzenberger:

        Es wurde nicht ,,5 lange Jahre... gegen die beiden Rechtsterroristen verhandelt sondern gegeben eine mindestens Mitwisserin wenn nicht (wahrscheinlicher) Mitäterin/Unterstützerin... das stellt dies Rechtssprechung auf den Kopf das legt die Rechtssprechung lahm...ein Apperat mit ca. 120 Leuten wird alles in allem für 6 Jahre beschäftigt besser lahmgelegt. Verfahren dieser Länge gibt es nirgends auf der Welt. Nirgends.



        Nur zur Erinnerung der Prozess gegen die Mörderbande des italienischen Ministerpräsidenten dauerte 8 Wochen.



        Und niemand auf der Welt verbindet Effizienz mit der römischen Justiz

  • Bleibt nur zu hoffen, dass seine Daten nicht zufällig über einen Polizeicomputer in Hessen oder Hamburg abgefragt werden....

  • 40 jährig nach Jugendstrafrecht verurteilt?

    • @Holger_0311:

      Da der damalige Carsten S. bereits volljährig war, mussten psychiatrische Gutachten klären, ob bei dem heranwachsenden Angeklagten eine verzögerte Reife zum fraglichen Tatzeitpunkt vorlag. Jugendstrafrecht wird angewendet, wenn die betreffende Person in ihrer geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht.

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @Holger_0311:

      der zeitpunkt der tat zählt, nicht der zeitpunkt der verhandlung. es wurden auch 90jährige ex-kz-wachmänner nach dem jugendstrafrecht verurteilt, weil sie zur tatzeit "jugendliche" waren

    • @Holger_0311:

      "Im Jahr 2000 überbrachte der damals 19-Jährige dem Trio dann ihre spätere Mordwaffe, die Ceska-Pistole, samt Schalldämpfer und Munition."