Vertreibung von Obdachlosen: Die Stadt soll glänzen
Die Stadt Hannover will aggressives Betteln unterbinden. Eine Obdachlose berichtet, dass auch sie weg soll, obwohl sie nur ruhig auf der Straße sitzt.
Vor zwei Wochen sei ein Mitarbeiter der Stadt an ihrem Schlafplatz vor einem Geschäft nahe des Zentrums aufgetaucht, sagt die Obdachlose. An einen Namen kann sie sich nicht erinnern, aber einen grünen Zettel habe er ihr gezeigt. „Wir haben grade unsere Taschen zusammengepackt“, sagt sie. „Er hat uns gesagt, dass in der Stadt niemand mehr schlafen darf, und betteln dürfe man auch nicht mehr.“ Eine Übergangszeit von vier Wochen hätten sie noch. „Dann komme jemand, der uns alle wegjagt.“
Die Stadt Hannover will von so einer Ansage nichts wissen. „Ich weiß nicht, was Ihnen Obdachlose von einer ‚vierwöchigen Übergangsfrist‘ und von einem ‚Bettelverbot‘ erzählt haben“, schreibt ein Stadtsprecher in einer Stellungnahme. „Das ist hier nicht nachvollziehbar.“ Er verweist stattdessen auf das im November vergangenen Jahres beschlossene Konzept.
Kulturstadt mit weniger Musik
Das hat der Oberbürgermeister der Stadt Hannover Stefan Schostok (SPD) angeschoben. Den Antrag begründete er damit, dass das „Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum“ bei Hannoveranern größer werde. Das Sicherheitsgefühl der Einwohner lässt sich Schostok einiges kosten: Mehr als 3,5 Millionen Euro jährlich sind angesetzt. Das meiste davon für einen neuen Ordnungsdienst, der ab 1. März in der Stadt patrouillieren soll.
In der Innenstadt sollen die Mitarbeiter dann auch ein Auge auf Straßenmusiker und Bettler haben. Beides hat die Stadt Hannover nun strenger geregelt. Straßenmusiker dürfen nur noch eine halbe Stunde lang spielen, müssen dann eine halbe Stunde pausieren und dürfen danach an den nächsten von 17 erlaubten Orten in der Innenstadt ziehen. Hannover sei zwar eine „lebendige und offene Kulturstadt“, schreibt Schostok in dem Antrag. „Die Auszeichnung als Unesco – City of Music bestätigt dies.“ Aber die Straßenmusik könne für Anlieger eine Belastung sein.
Ähnlich verhält es sich laut Schostoks Antrag mit dem sogenannten aggressiven Betteln. Das werde auf öffentlichen Plätzen in Hannover schlimmer. „In manchen Fällen stellen sich Bettelnde den Passanten gezielt in den Weg, halten sie manchmal sogar fest.“ Zudem hätten Bettler teilweise Kinder dabei oder seien bandenmäßig organisiert.
„Ich finde es richtig, dass so etwas verboten ist“, sagt Norbert Herschel von der Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Hannover. „Sonst hat man dagegen keine Handhabe.“ Wenn jemand mit seinem Becher einfach auf der Straße sitze, müsse das aber toleriert werden. „So hat es mir die Stadt auch gesagt.“ Sollte sich die Schilderung der obdachlosen Frau bewahrheiten, wolle er darüber mit der Stadt sprechen, sagt Herschel. „Eine Großstadt muss Obdachlosigkeit auch ertragen.“
Stilles Betteln soll toleriert werden
Schostok selbst hatte in dem Antrag betont, dass „das stille unaufdringliche Betteln“ grundsätzlich „keine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ darstelle. Die Ratsmehrheit von SPD, Grünen und FDP hatte das Konzept auch so beschlossen.
Steffen Mallast sitzt für die Grünen im Bezirksrat Linden-Limmer. Er ist mit dem neuen Konzept der Stadt nicht zufrieden. „Statt Geld in die Repression zu stecken, könnte man den Leuten auch helfen“, findet Mallast. Er meint damit den neuen, personalintensiven Ordnungsdienst. Falls die Bettler aus der Innenstadt raus müssten, würde das die Armut lediglich unsichtbar machen, sagt Mallast. „Das löst das Problem aber nicht strukturell, sondern führt dazu, dass die Leute von Ort zu Ort geschickt werden.“
Auch die obdachlose Frau weiß nicht, wo sie hin soll, falls sie tatsächlich weggeschickt wird. „Ich bin hier bekannt“, sagt sie. „Ich habe hier meine Kunden, die mich sehr gern haben.“ Aber wie, fragt sie, solle sie sich wehren?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind