Vertreibung durch Klimawandel: Wenn der Meeresspiegel steigt

Immer mehr Menschen müssen ihre Heimat verlassen, werden aber nicht als Flüchtlinge anerkannt. Welche internationalen Strategien gibt es?

Ein Ehepaar beim Fischfang

Ein Ehepaar beim Fischfang vor Tarawa, der Hauptinsel des vom Klimawandel bedrohten zentralpazifischen Staates Kiribati Foto: reuters

Ioane Teitiota ist frustriert. Vor der Wellblechhütte seines Schwagers erklärt er einem BBC-Reporter, dass das Meer die Schutzmauern vor dem Haus wegspült, dass das Trinkwasser dreckig ist, dass seine Kinder krank sind. Teitiota ist der Mann, den die Medien weltweit zum ersten Klimaflüchtling machen wollten. Wegen der Umweltveränderungen in seiner Heimat Kiribati hatte er in Neuseeland Asyl beantragt. Nach einer vierjährigen Odyssee durch die Gerichte kam im September der endgültige Bescheid: Antrag abgelehnt, Abschiebung. Seitdem leben Teitiota und seine Familie bei seinem Schwager auf Tarawa, Kiribatis Hauptinsel. Höchste Erhebung: 3 Meter. Das Meer ist nur wenige Meter entfernt.

Weltweit werden immer mehr Menschen aufgrund des Klimawandels ihre Wohnorte verlassen. Das bestätigen der Weltklimarat (IPCC), die Weltbank und die Internationale Organisation für Migration (IOM). 200 Millionen könnten es bis 2050 sein, auch wenn die Schätzungen weit auseinandergehen. Ob wir das 2-Grad-Ziel erreichen oder nicht: Der Meeresspiegel wird steigen, Landstriche werden austrocknen, andere Regionen werden regelmäßig überschwemmt werden. Wetterbedingte Naturkatastrophen werden sich häufen. Klar ist auch: Wenn Menschen fliehen, bleiben sie so nahe wie möglich an ihren Heimatorten, meist im eigenen Land. Doch wenn das nicht mehr geht? Wenn Inseln wie Tarawa einfach im Meer verschwinden?

Die Mehrheit aller Asylanträge weltweit wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden. In Deutschland genauso wie in Neuseeland – und damit auch Teitiotas Antrag. Laut Konvention kann eine Verfolgung aus fünf Gründen vorliegen: Rasse (im Bewusstsein, dass es keine biologischen Rassen gibt), Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politische Meinung. Klimawandel ist nicht dabei, befand das Gericht in Teitiotas Fall. Und schon gar nicht, wenn Kiribati selbst Gegenmaßnahmen ergreift, um dem Klimawandel zu trotzen und so seine StaatsbürgerInnen schützt. Bis heute gibt es weltweit keinen anerkannten Klimaflüchtling.

Für die Anwältin und Klimaaktivistin Roda Verheyen hat das einen simplen Grund. „Als die Genfer Flüchtlingskonvention 1951 verabschiedet wurde, hat niemand an den Klimawandel gedacht,“ sagt sie. „Im Gegenteil, es ging ausschließlich um politische Verfolgung.“ Doch wer verfolgt Menschen, die wegen des Klimawandels fliehen? Industrie- und Schwellenländer wegen ihrer hohen CO2-Emissionen? Juristisch müsste ein einzelner Staat für die Verfolgung verantwortlich gemacht werden, doch kein Staat ist allein für den Klimawandel verantwortlich. „Die Instrumente im heutigen Flüchtlingsrecht bieten keine Möglichkeit, Staaten mit hohen CO2-Emissionen in die Verantwortung zu nehmen“, sagt Verheyen.

Hohe Kosten für Verschmutzerstaaten

Die Juristin, die selbst einmal Teil der deutschen Delegation bei früheren Klimaverhandlungen war, sieht dafür aber im Rahmen der Verhandlungen in Paris eine Chance. Auf Druck vieler Länder des globalen Südens haben die Staaten 2013 in Warschau ein neues Verhandlungskapitel aufgeschlagen: Verluste und Schäden. Dort geht es um Ausgleichszahlungen und Technologietransfer von Verschmutzerstaaten in Länder, die vom Klimawandel stark betroffen sind. Das könnte auch bedeuten, Migration in Richtung von Industrie- und Schwellenländern zuzulassen. Doch die Forderungen sind vage, kommen doch auf Verschmutzerstaaten hohe Kosten zu, wenn sie ihre Verantwortung eingestehen.

Mit einem konkreten Ergebnis rechnet in Paris niemand. Zur Halbzeit dort war zwar noch die Rede von einer Einrichtung, um Klimavertreibung zu koordinieren. Es ist aber völlig offen, ob solche Passagen im Abschlussdokument stehen.

Weil die Verhandlungen bei den Vereinten Nationen so schleppend vorangingen, starteten die Schweiz und Norwegen 2011 einen neuen Anlauf: Die Nansen-Initiative, benannt nach dem früheren Hochkomissar für Flüchtlingsfragen Fridtjof Nansen.

Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.

Das Ziel: verhandlungswillige Staaten zusammenbringen und den rechtlichen Schutz von Menschen verbessern, die wegen Naturkatastrophen eine Grenze überqueren müssen. Deutschland ist seit 2013 dabei, im Oktober unterzeichneten 110 Staaten ein Dokument. Der Text ist voller Absichtserklärungen, rechtlich bindend ist nichts. „Die Staaten wollen auf globaler Ebene momentan kein verbindliches Dokument zur Klimavertreibung“, sagt Walter Kälin, Professor für Völkerrecht an der Universität Bern und Leiter der Nansen-Initiative. „Es ist ganz einfach, realistisch mit nicht bindenden Prinzipien zu beginnen.“

Der globale Norden dominiert

Scott Leckie geht das auf der internationalen Ebene zu langsam. Die meisten Menschen werden innerhalb ihres Heimatlandes vertrieben, dachte sich der 53-jährige Australier und gründete 2006 die Organisation Displacement Solutions. Seitdem haben der Anwalt und sein Team mit Regierungen von 25 Ländern gearbeitet. „Die Herausforderungen sind von Land zu Land sehr unterschiedlich,“ sagt Leckie. „In Panama und Fidschi reden wir mit den Behörden über die Probleme zunehmender Verstädterung. In Bangladesch haben wir Gebiete identifiziert, in die Menschen umgesiedelt werden können.“ Doch auch über Ländergrenzen hinweg sieht er wenige Probleme. Australien nehme pro Jahr 200.000 MigrantInnen auf. Bei guter Planung seien 10 Prozent mehr kein Problem.

Egal ob in Wissenschaft oder Politik – der globale Norden dominiert die Debatte über die Klimavertriebenen. ExpertInnen sitzen in Europa, den USA oder Australien. Die Stimmen der Betroffenen verhallen international oft ohne Wirkung. So auch die von Anote Tong, seit 2003 Präsident von Kiribati. Er will, dass die 105.000 I-Kiribati menschenwürdig leben können, wenn es den Inselstaat in einigen Jahrzehnten nicht mehr gibt. Er hat bereits auf Fidschi Land gekauft, um es landwirtschaftlich zu nutzen, sagt er. Später könnte dort auch EinwohnerInnen Kiribatis leben.

Die Maßnahme ist Teil des Regierungsprogramms „Migration mit Würde“. Ein Kernpunkt: Die EinwohnerInnen Kiribatis sollen auf keinen Fall Flüchtlinge werden. „Wenn ihr von Klimaflüchtlingen sprecht, dann stigmatisiert ihr die Opfer, nicht die Verursacher“, sagt der 63-jährige Staatspräsident.

Tong hat an der London School of Economics studiert und kennt die internationalen Verhandlungen. Er will, dass die für den Klimawandel verantwortlichen Staaten auch für Kiribati Verantwortung übernehmen. Dafür wird er drastisch: Australien nannte er jüngst als die „große Verschmutzerinsel da unten im Süden“. Für die Verhandlungen in Paris fordert er: „Gebt uns einen Vorschlag, der garantiert, dass unser Volk über dem Meeresspiegel bleibt.“ Selbst hat er ein Bildungsprogramm gestartet samt Englischkursen und einem Austauschprogramm für KrankenpflegerInnen mit Australien.

Später soll ein Teil der Bevölkerung als ArbeitsmigrantInnen in anderen Staaten leben können: ohne Flüchtlingsstatus, auf der Basis gleicher Rechte. Ob Teitiota, der in Neuseeland Erntehelfer war, so ein Arbeitsvisum bekommen würde? Seine Familie und er wären auch als anerkannte Flüchtlinge in Neuseeland geblieben. „Ich bin genauso wie die, die vor Krieg fliehen“, sagt er. „Der Meeresspiegel steigt, und ich werde sterben, genau wie die politisch Verfolgten.“

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