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Vertreibung der RohingyaHaftbefehl gegen Myanmars Juntachef beantragt

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs wirft Myanmars Militärmachthaber die gewaltsame Vertreibung von 730.000 Rohingya 2017 vor.

Rohingya mit einem Solarpanel in einem Lager bei Cox's Bazar in Bangladesch. Dort leben mehr als eine Million Flüchtlinge Foto: Mohammad Ponir Hossain/reuters

Berlin taz | Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag hat am Mittwoch Haftbefehl gegen Myanmars Militärmachthaber Min Aung Hlaing beantragt. Chefankläger Karim Khan warf dem General vom benachbarten Bangladesch aus vor, für die gewaltsame Vertreibung und Verfolgung der muslimischen Minderheit der Rohingya 2017 im mehrheitlich buddhistischen Myanmar sowie teilweise in Bangladesch verantwortlich zu sein.

Es geht laut Khan um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zwischen dem 25. August und 31. Dezember 2017 „Myanmars Streitkräfte mit Unterstützung der Polizei, des Grenzschutzes und von Zivilisten“ begangen hätten. Bis Redaktionsschluss lag keine Reaktion von Myanmars Militärjunta vor. UN-Ermittler hatten die Verbrechen gegen die Rohingya schon vor einiger Zeit als Völkermord bezeichnet.

Laut Khan sei dies jetzt erst der erste Antrag gegen ein Mitglied der Regierung von Myanmar. „Weitere werden folgen,“ versprach er. Über Haftbefehle entscheiden muss ein Gremium aus drei Richtern. Wie lange sie brauchen, ist offen. Für den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin brauchten sie 2023 weniger als drei Wochen, bei Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zuletzt mehr als sechs Monate.

Human Rights Watch bezeichnete den jetzt gegen Min Aung Hlaing beantragten Haftbefehl als „wichtigen Schritt zur Gerechtigkeit für die Rohingya-Bevölkerung des Landes“. Es sei eine „starke Warnung an Myanmars Militär, dass es nicht über dem Gesetz steht“.

Schriftstellerin: „Beantragter Haftbefehl nicht ausreichend“

Als „nicht ausreichend“ bezeichnete die im Berliner Exil lebende Schriftstellerin und Menschenrechtsaktvistin Ma Thida, eine führende Intellektuelle Myanmars, allerdings den beantragten Haftbefehl, weil er sich nur auf 2017 beziehe. „Ich begrüße die Entscheidung, aber er begeht weitere Verbrechen, die heute die gesamte Bevölkerung und das gesamte Land und nicht nur die Rohingya betreffen“, sagte sie der taz.

Damit meinte sie den Putsch von Min Aung Hlaing und die von ihm geführte Militärdiktatur. Das allerdings sind keine Völkerstraftaten, die der Internationale Strafgerichtshof verfolgen kann.

Min Aung Hlaing war 1997 Armeechef und Verteidigungsminister in der Regierung von Aung San Suu Kyi in Myanmar gewesen. Die Friedensnobelpreisträgerin wurde am 1. Februar 2021 durch einen von ihm geführten Putsch gestürzt und sitzt seitdem in Haft.

Seit dem Putsch wurden laut der unabhängigen myanmarischen Menschenrechtsorganiation AAPP rund 6.000 Menschen aller Bevölkerungsgruppen von der Militärdiktatur getötet und sitzen 21.000 in Haft. Zugleich entstand ein bewaffneter Widerstand demokratischer Gruppen in Kombination mit seit Jahrzehnten kämpfenden ethnischen Rebellenorganisationen. Gemeinsam sind sie erstaunlich erfolgreich.

In dem Bürgerkrieg bombardiert die Luftwaffe immer wieder Zivilisten, doch hat das Militär die Kon­trolle über Teile des Landes verloren. Dabei werden in Myanmar verbliebene Rohingya vom Militär zwangsrekrutiert.

Ganze Rohingya-Dörfer wurden abgebrannt

2017 war das Militär im westlichen ­Rakhine-Staat nach einem Angriff Aufständischer brutal gegen die muslimische Rohingya-Minderheit vorgegangen. Mit Morden, Vertreibung, Vergewaltigungen und dem Abbrennen ganzer Dörfer wurden mindestens 730.000 Rohingya nach Bangladesch vertrieben.

Bereits 1982 waren Myanmars Rohingya zu Staatenlosen erklärt und spätestens seitdem massiv diskriminiert worden. Da es auch vor und nach 2017 Vertreibungen von Rohingya nach Bangladesch gegeben hat, leben dort bei Kutupalong in der Region von Cox’s Bazar mindestens eine Millionen Flüchtlinge in einer Agglomeration von Flüchtingslagern, die als größte der Welt gelten.

Der IStGh ermittelt in dieser Sache seit November 2019. Khan sagte, er selbst habe drei Mal Kutupalong besucht, zuletzt am Dienstag. Bei den Ermittlungen hätten viele geholfen, darunter Bangladeschs Regierung.

Klage auch vor dem Internationalen Gerichtshof

Myanamar ist kein Mitglied des IStGH, wohl aber Bangladesch. 2019 hatte der Gerichtshof beschlossen, auch grenzüberschreitende Verbrechen zu verfolgen, wenn ein Mitgliedstaat betroffen ist. Das ist auch die Grundlage für die Haftbefehle gegen Putin und Netanjahu – Russland und Israel sind keine Mitglieder des IStGH, die Klägerstaaten Ukraine und Palästina aber erkennen ihn an.

Neben dem IStGH führt der Internationale Gerichtshof (IGH), der ebenfalls in Den Haag sitzt, nach einer Klage Gambias ein Verfahren gegen Myanmar unter der Genozidkonvention wegen der gewaltsamen Vertreibung der Rohingya. Die Klage wird von sechs westlichen Staaten unterstützt, darunter Deutschland.

2019 hatte ausgerechnet die jetzt von ihrem eigenen Militär inhaftierte Aung San Suu Kyi dessen Vorgehen vor dem IGH verteidigt und damit viele frühere Unterstützer insbesondere in westlichen Ländern verstört.

Der IStGH kann nur Personen verklagen, der IGH nur Staaten. „Dabei ist in beiden Fällen die gleiche Person hauptverantwortlich für die Verbrechen“, sagte Ma Thida zur taz.

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