Versicherung gegen Elementarschäden: Die nächste Flut kommt bestimmt
Naturgefahren nehmen zu, auch in Deutschland. Dennoch ist nur die Hälfte aller Wohngebäude dagegen versichert. Eine Reform der Versicherung ist nötig.
D er Abschlussbericht des Weltklimarats IPCC sagt es deutlich: Der Klimawandel wird kurzfristig kaum mehr zu stoppen sein. Klimaschutz und Klimaanpassung können erst einmal nur die Schäden für Natur und Menschen verringern. Für die nahe Zukunft wird für alle Weltregionen ein Anstieg der Naturgefahren prognostiziert, darunter häufigere Überschwemmungen. In Deutschland weckt das Erinnerungen an die Flutkatastrophe im Ahrtal vom Sommer 2021, eines der schwersten Naturereignisse in der jüngeren Geschichte, das Politik und Bevölkerung wachgerüttelt hat.
Gert G. Wagner ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler. Bis Ende 2022 war er Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV).
Christian Groß ist Volkswirt und arbeitet im wissenschaftlichen Stab des SVRV. Zusammen mit Gert G. Wagner hat er einen Vorschlag für eine Versicherungspflicht gegen Naturgefahren erarbeitet.
Deutschland passt sich an den Klimawandel an: Die kürzlich vorgelegte Nationale Wasserstrategie und das geplante Klimaanpassungsgesetz sehen mehr bautechnische Vorsorge und planerische Maßnahmen vor. Darunter etwa die Schaffung von mehr Auslaufflächen für Gewässer. Doch wer oder was rettet die Existenz, wenn eine Katastrophe das eigene Haus stark beschädigt oder ganz zerstört? Alle Expert*innen sind sich darin einig, dass private Wohngebäude flächendeckend gegen Naturgefahren, sogenannte Elementarschäden, versichert sein sollten. Doch darüber wird politisch gestritten.
Die Ministerpräsident*innen der Länder setzen sich für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden ein, erst kürzlich brachte NRW eine entsprechende Initiative in den Bundesrat ein. Bundesjustizminister Buschmann lehnt eine Pflicht jedoch bislang ab. Er argumentiert, dass diese zwar mit der Verfassung vereinbar sei, wegen aktuell steigender Lebenshaltungskosten aber nicht in die Zeit passe. Seine Rechnung ginge allerdings nur dann auf, wenn die nächste Naturkatastrophe ewig auf sich warten ließe. Die Prognosen des IPCC und auch des Deutschen Wetterdienstes fallen deutlich düsterer aus.
Stand heute ist nur die Hälfte aller Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert. Viele Bauvorschriften stammen aus einer Zeit vor dem Klimawandel und auch die bautechnische Vorsorge an Wohngebäuden ist oft unzureichend. Etwa zwei Drittel aller Häuser verfügen nicht über eine Rückstauklappe, die bei Überschwemmung das Eindringen von Kanalisationswasser verhindert. Daten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (SVRV) zeigen ein ähnliches Bild beim Schutz des Dachs vor Sturm- und Hagelschäden. Außerdem wird nach wie vor an zu stark gefährdeten Stellen gebaut oder wiederaufgebaut.
Welchen Beitrag könnte eine Reform der Elementarschadenversicherung zur Klimaanpassung leisten?
Oberstes Ziel muss die Schaffung einer flächendeckenden Versicherung aller Wohngebäude sein. Denn Naturgefahren, insbesondere Starkregen, können überall im Bundesgebiet auftreten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Diese muss sich in der Höhe der Versicherungsprämie widerspiegeln, was individuelle und gesellschaftliche Anreize bietet, um bautechnische Vorsorge zu betreiben. Und anders als eine Einheitsprämie wären diese auch mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar. Unbedingt sollten strenge Bauverbote in besonderen Gefahrenlagen, etwa in Gewässernähe, durchgesetzt werden. Mit ausreichend öffentlicher und privater baulicher Vorsorge ließen sich auch die Versicherungsprämien niedrig halten.
Hätte eine Reform Erfolg und müsste der Staat dann keine ungezielten Nothilfen mehr zahlen, würde das die Steuerzahler*innen entlasten. Damit stünde auch die Einhaltung der Schuldenbremse durch zunehmende Extremwetterereignisse nicht immer wieder zur Disposition.
Der SVRV hat einen Vorschlag für ein solches Versicherungsmodell vorgelegt. Kern ist die Einführung einer verpflichtenden Basisversicherung gegen Naturgefahren. Der Basisschutz sieht einen hohen Selbstbehalt vor, den Eigentümer*innen selbst tragen müssen. Das schafft einen starken Anreiz zur Vorsorge. Ähnlich wie in der Kfz-Versicherung könnte der Basisschutz auf freiwilliger Basis zu einer „Vollkasko“-Versicherung aufgestockt werden.
Anders als der SVRV setzen die deutschen Versicherer in ihrem Reformmodell weiter auf eine Lösung ohne Pflicht. Allen bisher nicht Versicherten soll die Elementarschadenversicherung an die bestehende Wohngebäudeversicherung angehängt werden, per sogenannter Zustimmungsfiktion. Wer nicht widerspricht, wird automatisch versichert. Umsetzen ließe sich allerdings auch das nur mit einer gesetzlichen Regelung.
Egal ob Pflichtversicherung oder Zustimmungsfiktion: Eine flächendeckende Versicherung ließe sich nur per gesetzlicher Regelung schaffen, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) betont. Der Gesetzgeber ist in beiden Fällen gefordert und sollte seinen Gestaltungsspielraum auch nutzen. Länder wie Frankreich, die Schweiz und Spanien machen vor, dass eine starke Regulierung zum Erfolg führt. Politik, Versicherer, Verbraucherschützer und andere Akteure sollten daher gemeinsam ein konsensfähiges Modell entwickeln.
Auch hier sind noch Fragen offen: Für beide Reformmodelle muss geklärt werden, wie hoch der Selbstbehalt angesetzt werden sollte. Sollten Gefahren wie Sturmflut und Grundwasseranstieg in den Standardschutz mit einbezogen werden? Wie ließe sich ein sozialer Ausgleich für finanzschwache Eigentümer von Bestandsbauten ausgestalten? Außerdem müssen Versicherungswirtschaft und Politik sich einig werden, in welchem finanziellen Umfang der Staat den Versicherern bei Großschadensereignissen beispringen soll („Stop-loss-Regelung“).
Und schließlich muss diskutiert werden, wie sich eine reformierte Elementarschadenversicherung sinnvoll in Maßnahmen zur Klimaanpassung, wie die Nationale Wasserstrategie und das Klimaanpassungsgesetz, einbetten ließe. So wird Klimaanpassung zur Gemeinschaftsaufgabe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers