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Verschlüsselte MessengerUnd jährlich grüßt die Chatkontrolle

Für den Kinderschutz soll selbst verschlüsselte Kommunikation am Handy kontrolliert werden können. Doch der Widerstand dagegen ist vielfältig.

Auch der Kinderschutzbund betont, dass eine Chatkontrolle wenig nützen würde und sogar schaden könnte Foto: Ute Mans/plainpicture

Es ist wie ein Krimi, der in Wiederholungsschleife läuft. Seit 2022 wird um die Chatkontrolle gerungen, eines der umstrittensten EU-Vorhaben der letzten Jahre. Damals hatte die EU-Kommission den ersten Entwurf für diese Überwachungsmaßnahme vorgelegt, deren Ziel es sein soll, die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder einzudämmen.

Seitdem wiederholt sich der Plot: Ratsgruppen treffen sich, Ausschüsse tagen, der Entwurf landet, häufig etwas verändert, wieder auf der Tagesordnung des Europäischen Rats. Auftritt Zivilgesellschaft: breiter, schnell anschwellender Protest, Wissenschaft und Wirtschaft schließen sich an, und das Vorhaben findet – noch – keine Mehrheit.

Keine Mehrheit dafür, unter anderem Anbietern von Messengerdiensten wie Signal, Whatsapp oder Threema vorzuschreiben, dass sie massenhaft die Kommunikation ihrer Nut­ze­r:in­nen überwachen müssen. Und zwar auch solche, die Ende-zu-Ende-verschlüsselt verschickt wird. Wollen die Anbieter diese Verschlüsselung nicht direkt brechen, müssten sie ihre Apps dahingehend ändern, dass die von Nut­ze­r:in­nen verfassten Inhalte bereits vor dem Versand noch auf dem Gerät der Nutzenden gescannt werden.

Das und die Tatsache, dass Millionen Menschen damit anlasslos überwacht werden sollen, macht die Chatkontrolle so umstritten, die Proteste so groß, die Kritik daran so grundlegend.

Messengerdienste sind die Briefe von heute

Der Jurist Patrick Breyer, der bis 2024 für die Piratenpartei im EU-Parlament saß, ist einer der vehementesten Kämpfer gegen das Vorhaben. Er sagt: „Egal mit welchem Ziel – auch die Post darf nicht einfach willkürlich jeden Brief öffnen und einscannen.“ Und der Messengerdienst ist der Brief von heute, die Verschlüsselung so etwas wie der Umschlag, der den Inhalt schützt.

Doch nicht nur dort ist Verschlüsselung wichtig. Sie schützt Betriebsgeheimnisse in der Wirtschaft vor Produktpiraterie. Sie schützt vertrauliche Kommunikation in Parlamenten und Regierungen vor der Spionage durch andere Geheimdienste. Sie schützt Onlinebanking vor Kriminellen, die Konten abräumen wollen.

Nicht umsonst warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Anfang Oktober, übrigens stilecht auf dem alternativem Kurznachrichtendienst Mastodon: „Unsere Haltung zur Chatkontrolle: Jedes Brechen der E2E-Verschlüsselung erhöht die Angriffsfläche und birgt hohe Risiken.“

Links zu queer­freundlichen Clubs? Regierungs­kritik? Infos zu Abtreibungen? Sind die technischen Voraus­setzungen erst mal da, können Chats auf alle möglichen Inhalte gescannt werden

Auch Expert:innen, von IT bis zu Bürger:innenrechten, vom Kinderschutzbund bis zu Strafverfolger:innen, betonen, dass eine Chatkontrolle wenig nützen würde und sogar schaden könnte. Und dass, wenn es wirklich darum geht, das Entstehen und die Verbreitung von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern einzudämmen oder zu verhindern, andere Maßnahmen zielführender wären: eine bessere Ausstattung, digitale Kenntnisse und Schulungen für Straf­ver­fol­ge­r:in­nen zum Beispiel.

Prävention und Aufklärung bei Kindern und Eltern, Betreuungs- und Lehrpersonal. Eine schnelle Durchsetzung der Löschung von gefundenen Inhalten und leicht erreichbare Meldeverfahren für Kinder und Jugendliche, die Hilfe benötigen. Eine Onlinewache, die für Kinder und Jugendliche niedrigschwellig kontaktierbar ist und wo die Betroffenen auch Anzeigen aufgeben können.

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Verhältnismäßig oder nicht?

Bereits seit Jahren weist der Kinderschutzbund außerdem darauf hin, dass es an Forschung fehlt, an Daten und Zahlen. Die wären wichtig, um die Diskussion darüber, wie groß das Problem von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Netz ist, auf eine faktenbasierte Basis zu stellen.

Auch wenn das Ziel des Kinderschutzes grundsätzlich zu begrüßen sei, sagt Elena Frense, Fachreferentin für Medien und Digitales beim Kinderschutzbund, sei der konkrete Vorschlag zur Chatkontrolle ein „unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger“ – zu denen eben auch Kinder und Jugendliche zählen.

„Zu befürchten ist nicht nur ein Anstieg von Ermittlungsverfahren gegen Kinder und Jugendliche, die unbedarft sexualisiertes Bildmaterial teilen, sondern auch eine Überlastung der Strafverfolgungsbehörden durch eine große Zahl fehlerhafter Meldungen, die wirksame Ermittlungen eher erschweren als erleichtern würde, sowie ein Missbrauch dieser technisch implementierten ‚Hintertür‘ für antidemokratische Zwecke“, kritisiert Frense.

Das mit der möglichen Hintertür für antidemokratische Zwecke spielt auf eine andere Problematik an. Wenn sich nach mutmaßlichen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern suchen lässt – dann geht das auch mit anderen Inhalten. Links zu queerfreundlichen Clubs? Regierungskritik? Informationen über Schwangerschaftsabbrüche? Wonach gescannt werden muss, ist eine Frage der Gesetzeslage – und ein paar Veränderungen im Quellcode der Software. Und wenn die Konzerne eine derartig breite Überwachung für den europäischen Markt ohnehin installieren müssten – würden andere Regierungen nicht dankend zugreifen? Die USA etwa?

Entscheidung vertagt

Die nächste Abstimmung im Europäischen Rat über die Chatkontrolle soll noch in diesem Jahr kommen. Der Blick geht in den kommenden Wochen daher auf Deutschland. Die Bundesregierung, die sich für eine ursprünglich anberaumte, aber kurzfristig von der Tagesordnung genommene Abstimmung Mitte Oktober nicht auf Ja oder Nein einigen konnte, will bis Dezember einen Kompromiss erarbeiten. „Das ist unsere Zeit, um zu erklären, was bessere Alternativen zur Chatkontrolle sind“, sagt Jurist Patrick Breyer.

Und zwar: „Es darf nur im Einzelfall gescannt werden, wenn es einen konkreten Verdacht gibt und eine richterliche Anordnung.“ Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dürfe dabei nicht gebrochen werden – denn sie in einem Fall zu brechen würde eine Hintertür für die gesamte Kommunikation bei dem Anbieter bedeuten.

Gegen die Chatkontrolle ausgesprochen hat sich mittlerweile auch eine Organisation, die nicht gerade im Verdacht steht, Überwachung leichtfertig abzulehnen: der Bund Deutscher Kriminalbeamter. „Es ist zu erwarten, dass die Strafverfolgungsbehörden mit einer erheblichen Zunahme an Meldungen konfrontiert werden, von denen eine große Anzahl keine strafrechtliche Relevanz haben dürfte“, sagte der Vorsitzende Dirk Peglow, nachdem klar wurde, dass die Bundesregierung dieses Mal nicht zustimmen würde.

Schon heute führten automatisierte Meldungen zu einer „Flut von Hinweisen“, die aber oft keinen Ansatz für Ermittlungen brächten. Mehr und schärfere Überwachungspflichten würden die Behörden weiter überlasten. Und das, ohne die Erfolgsquote zu verbessern.

Dass sich Kriminalbeamte, Datenschützer:innen, Kinderschutzbund und grüne, linke und liberale Po­li­ti­ke­r:in­nen mal weitgehend einig sind – zumindest das hat der Krimi um die Chatkontrolle schon erreicht.

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6 Kommentare

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  • Würde man Kinder schützen wollen, müsste man ihnen einfach nur unbeaufsichtigten Internetzugang generell verbieten (muss natürlich auch durchgesetzt werden). Und normalerweise braucht ein Kind auch kein Handy. Es sollte aber in einer Ausnahmesituation auch problemlos möglich sein, dass ein Kind im Sekretariat darum bitten kann, die Eltern zu verständigen.

    Ansonsten ist Kinderschutz IMMER nur ein Vorwand für Spitzelei. Wie gut Faschismus Kinder schützt, sollte spätestens seit 1945 klar sein.

  • Natürlich spielt es keine Rolle, ob Kindesmissbrauch dadurch verhindert oder aufgeklärt wird.



    Denn das ist nur Vorwand:



    Der Verweis auf die bösen Terroristen hat sich nach 2001 stark abgenutzt (und hat in Europa ohnehin nicht so gezogen). Und während man beim Terrorismus gut sagen kann, mit dem Risiko leben zu wollen, fällt das Kindesmissbrauch ungleich schwerer. Das Winken mit Kindesmissbrauch ist der ultimative Joker für Law-and-Order-Durchgriffsfantasien!



    Tatsächlich geht es offensichtlich um Überwachung um jeden Preis. Das ist nicht nur böse und gewieft, es ist andererseits auch unglaublich naiv:



    Denn auch wenn es kaum und den behaupteten Grund geht, denken die meisten Befürworter wohl an echte Straftaten. Doch fehlt den befürwortenden Regierungen, wie etwa der dänischen, wirklich die Vorstellungskraft, dass ihre Nachfolgerinnen die Daten zu anderen Zwecken verwenden könnten?

  • Da hat der Kinderschutzbund absolut recht. Man versucht den Überwachungsstaat mit dem Argument des Kinderschutzes durchzudrücken, wenn es aber wirklich darum geht Kinder zu schützen, passiert nichts. Kinderschutz ist tatsächlich von Regierungsseite nicht gewollt.

  • Das Schlimme ist nicht die Idee an sich.

    Sondern wie weit verbreitet und anschlussfähig innerhalb der gesamten EU diese Maßnahmen sind, die man sonst nur von Diktaturen kennt. Man könnte den Vorwurf machen und auch gute Argumente finden, dass wir in einer EUDSSR leben.

  • Es klingt wie ein Running Gag bei Loriot:



    Irgendjemand ruft: "Denkt endlich mal jemand an die Kinder?" in den Raum, und das zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit.



    Richtig gesagt, mit dem gleichen Argument könnte man auch gegen das Briefgeheimnis vorgehen.



    Ob man damit echte Straftäter fangen kann? Höchstens die ganz Dummen, alle anderen wissen vermutlich, was ein VPN ist und wie man ihn benutzt.

  • In einer Demokratie sollten die wahren Gründe für so eine Totalüberwachung auch klar und deutlich benannt werden: Kontrolle, Verfolgung und Datensammeln. In dem auch die taz das Thema Kinderschutz wiederkäut, gibt sie dem auch Legitimation. Da ließe sich genauso gut behaupten, aus Gründen des Kinderschutzes wäre die Stasi gegründet und tausende IMs beschäftigt worden.