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Verschärfung des SexualstrafrechtsEin Jahr „Nein heißt Nein“

Vor einem Jahr wurde das Sexualstrafrecht verschärft. Seitdem wurden deutlich mehr sexuelle Übergriffe angezeigt als in der Vergangenheit.

Nicht länger schweigsam. Seit der Verschärfung des Sexualstrafrechts zeigen mehr Frauen Verbrechen an Foto: dpa

Berlin taz | Im Juli 2016 wurde das Sexualstrafrecht durch den sogenannten „Nein heißt Nein“-Passus verschärft, im November trat das Gesetz in Kraft: Früher war es schwer, manche sexuellen Übergriffe anzuzeigen, weil sie – wie das Grapschen – nicht als Straftat galten. In anderen Fällen mussten die Opfer, falls der Täter keine Gewalt anwendete, ihre Ablehnung durch Schreien, Boxen, Treten, Wegrennen ausdrücken. Geschah das nicht, wurde das oft nicht als Vergewaltigung bewertet.

Nun liegen neue Zahlen vor. 38.191 Fälle gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat das Bundeskriminalamt bis Dezember 2016 gezählt – von Vergewaltigungen und mit Waffengewalt erzwungenem Geschlechtsverkehr bis zu Fällen, bei denen jemand begrapscht oder auf andere Weise sexuell belästigt wurde. Zum Ende des Jahres wurden mehr Übergriffe und sexuelle Nötigungsdelikte angezeigt als zu Jahresbeginn: im Dezember 499 Fälle, im Januar nur 25, insgesamt 1.742 Fälle.

Ob das neue Gesetz dafür gesorgt hat, dass die Zahl der Anzeigen in die Höhe geschnellt ist, ist unklar. Für ein solches Fazit sei die Zeit zu kurz, sagt Katja Grieger, Leiterin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) in Berlin. Möglich sei aber, dass die Debatten im Vorfeld der Gesetzesreform jene Opfer sexueller Gewalt, die früher nicht angezeigt hätten, Mut gemacht hätten. „Betroffene haben die Botschaft bekommen, dass sie nicht allein sind.“ Frauenberatungsstellen verzeichneten im vergangenen Jahr einen Anstieg von Beratungen und Anfragen, sagt Grieger.

Möglicherweise reagieren auch Gerichte mit härteren Strafen. Eva Risse von der Zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser (ZIF) in Bonn berichtet der taz von einem Fall von schwerer Vergewaltigung in der Partnerschaft in Nordrhein-Westfalen. Der Täter sei deshalb kürzlich zu rund fünf Jahren Haft verurteilt worden. „Ein solches Urteil haben wir selten erlebt“, sagt Risse.

Damit die Nachbarn egal sind

Von den jährlich rund 8.000 angezeigten Vergewaltigungen kommen laut Bundesamt für Justiz bislang im Schnitt 1.300 zur Anklage, rund 1.000 Täter werden verurteilt. Die Verfahren würden oft eingestellt, weil die Beweislage nicht eindeutig sei oder Aussage gegen Aussage stünde – das müssen Beraterinnen von Hilfsorganisationen, die Opfer während der Verfahren begleiten, immer wieder erleben. In manchen Fällen meinte das Gericht, das Opfer hätte sich nicht ausreichend gewehrt.

Betroffene haben die Botschaft bekommen, dass sie nicht allein sind. Das hat ihnen Mut gemacht

Katja Grieger, Frauenrechtlerin

So war es in einem Fall in Essen im Herbst 2012, der von zahlreichen Medien aufgegriffen wurde: Das Landgericht hatte einen damals 31-jährigen Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung einer 15-Jährigen freigesprochen. Wegen des „Fehlens einer schutzlosen Lage“ des Opfers, wie das Gericht befand. Die Schülerin habe lediglich gesagt: „Lass das“, es sei aber nicht weggelaufen und habe nicht geschrien. Das Mädchen selbst sagte, die Nachbarn hätten nichts hören sollen.

Der Freispruch war nach dem alten Recht korrekt. Der Gesetzestext, also der frühere § 177 des Sexualstrafrechts, sei „an dieser Stelle unbefriedigend“, kommentierte damals die Strafrechtsexpertin Tatjana Hörnle von Berliner Humboldt-Universität. Sie war maßgeblich daran beteiligt, dass das Sexualstrafrecht vor einem Jahr nachgebessert wurde.

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2 Kommentare

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  • Ob der Essener Freispruch nach altem recht korrekt war oder nicht, lässt sich anhand der Fakten schwer beurteilen. Wie es letztlich zu dem fraglichen Beischlaf (oder was auch immer) kam, ist nicht ausgeführt.

     

    Tatsächlich war nach alter Rechtslage so ziemlich Alles schon strafbar, was es nach neuer Rechtslage auch ist (außer dem Grapschen, aber das war NICHT das Anliegen der "Nein-heißt-Nein"-Feministen). "Nein" hieß auch früher schon "nein", aber "Ja" heißt auch weiter "Ja" (auch wenn es auf ein früheres "Nein" folgt und nur durch schlüssiges Verhalten ausgedrückt ist). Da liegt, neben der weiterhin schwierigen Beweisführung, der Knackpunkt des alten wie neuen Rechts: Das Strafrecht kannte auch vor der Gesetzesänderung viele Formen von Gewalt - direkte und indirekte, konkreter und abstrakte, etc. Wer einem anderen Menschen sexuelle Handlungen bis hin zum Beischlaf gestattet hat, OHNE dass der eine dieser vielen Formen angewandt hat, wird sich auch heute noch etliche spitze Fragen anhören müssen, damit das nicht als ein nachträgliches "Ja" ausgelegt wird. Denn mal ehrlich: Wenn jemand erkennbar etwas nicht will und der vermeintliche Täter NICHTS tut, das diesen Willen brechen könnte, wie KANN es dann zu sexuellen Handlungen kommen??

     

    Der Verweis auf den "ikonischen" Fall Lohfink ist übrigens ein Eigentor sondersgleichen, bedeutet doch das (krachende) Unterliegen in der Revision dieser völlig falsch gewählten Galionsfigur auch gleichzeitig die Feststellung, dass sie auch nach NEUER Rechtslage ihre Sexualpartner falsch beschuldigt hat und dafür bestraft gehört.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Gerade der Link zum Fall "Gina-Lisa" zeigt, dass es sich eben nicht um ein "Nein-heißt-Nein-Gesetz" handelt.

    Weswegen sind die radikalen Vertreterinnen des "Nein heißt Nein" so unzufrieden mit dem Gesetz und sehen ihr Anliegen als nicht umgesetzt an? Rhetorische Frage - weil auch nach geltendem Recht "Nein" eben nicht immer Nein zum Geschlechtsverkehr heißt.

    Insofern wundere ich mich etwas über die Überschrift.