Verschärfung des Hochschulgesetz: Drohende Paralleljustiz
Der Senat will das Ordnungsrecht an Universitäten wiedereinführen. Studierendenvertreter und Universitätsleitungen fürchten politische Willkür.
Anlass für die Novelle des Hochschulgesetzes war ein Angriff auf den jüdischen FU-Studenten Lahav Shapira durch einen Kommilitonen Anfang Februar, dem vermutlich eine politische Auseinandersetzung um den Nahost-Konflikt vorausging. Infolge des Angriffs wurden Forderungen nach der Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters laut. Da dieser Schritt nach dem Hochschulgesetz derzeit nicht möglich ist, kündigte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) bald darauf an, bis zu Ostern einen Entwurf für eine Novelle dem Abgeordnetenhaus vorzulegen.
Nun bat Czyborras Verwaltung unter anderem die Asten um Stellungnahmen für einen ersten Referentenentwurf. Die Novelle sieht vor, das erst 2021 aus dem Hochschulgesetz entfernte Ordnungsrecht in erweiterter Form wieder einzuführen.
Konkret plant der Senat ein mehrstufiges System, mit dem gewalttätige Übergriffe zwischen Studierenden geahndet werden können. Diese reichen vom Aussprechen von Rügen über den zeitweisen Ausschluss von Lehrveranstaltungen bis hin zur Exmatrikulation. Die Maßnahmen verhängen soll ein neu zu bildender „Ordnungsausschuss“, in dem mindestens ein*e Student*in und eine Person mit Befähigung zum Richteramt vertreten sein soll.
Dehnbarer Gewaltbegriff
In der Stellungnahme empfehlen die Asten, den Entwurf komplett abzulehnen. „Der Gesetzentwurf ist ungeeignet und vage“, kritisiert Luca Schenk vom Refrat, der Studierendenvertretung der HU. Die Asten befürchten, dass die Novelle dafür missbraucht werden könnte, politisch aktive Studierende zu drangsalieren. „Gewalt ist rechtlich ein wahnsinnig unbestimmter Begriff, der oft sehr weit ausgelegt wird“, sagt Schenk. Im Zweifelsfall könnte auch Blockaden und Störungen von Veranstaltungen als Gewalt gewertet werden.
TU-Präsidentin Geraldine Rauch befürchtet, dass durch die Ordnungsausschüsse, die über die Fälle urteilen sollen, eine Art Paralleljustizbarkeit an den Hochschulen entsteht. „Dieses Gremium wäre in keiner Weise dafür ausgebildet“, sagt Rauch zur taz. Gerade in Kontexten wie dem Nahost-Konflikt würde ein enormer öffentlicher Druck auf den Mitglieder lasten, Exmatrikulationen auszusprechen. „Das kann sehr schnell nach hinten losgehen“, fürchtet Rauch.
Nach einem abgeschlossenen Strafverfahren wäre dieser Schritt noch nachvollziehbar, doch das Gesetz sieht vor, Exmatrikulationen auch schon vor einem richterlichen Urteil durchführen zu können. Das heißt, die beschuldigte Person könnte exmatrikuliert werden, bevor ein entsprechender Prozess überhaupt angefangen hat.
Rauch kritisiert auch das Tempo, mit dem der Senat die Novelle durchpeitschen will. „Es gibt keinen Grund, das so zu übereilen.“ Das Problem, dass Täter und Gewaltbetroffene sich auf dem Campus begegnen, gebe es bei Sexualdelikten schon seit Jahrzehnten.
Andere Lösungen möglich
Die TU-Präsidentin plädiert dafür, die bestehenden Mittel des Hausrechts weiter auszubauen. Bislang könnten Hochschulen Studierenden bis zu sechs Monaten Hausverbot erteilen. Dies müsste bis zum Ende eines Strafverfahrens verlängert werden können. Auch die Asten fordern Maßnahmen, etwa bessere Antidiskriminierungsstrukturen und richterliche Annäherungsverbote. So könnten Betroffene effektiver beschützt werden als durch das Ordnungsrecht.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Marcel Hopp, verteidigt den Entwurf. „Es geht nicht darum, dass nach Gesinnung exmatrikuliert werden kann.“ Vielmehr wolle man den Hochschulen Handhabe für Fälle wie den Angriff auf Shapira geben. Auch sei das Gesetz ja bisher nur eine „gute Diskussionsgrundlage“. Bis dahin könne noch viel geändert werden.
* In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass Exmatrikalutionen, die nach einem gültigen Strafbefehl erfolgen, kein rechtskräftiger Prozess vorangegangen ist. Das ist natürlich nicht korrekt.
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