Verschärfung der Arbeitsbedingungen: Die Zitrone hat noch Saft
Mehr Arbeit, die in weniger Zeit von weniger Leuten erledigt werden muss – das führt zu Stress und Wut. Trotzdem glauben viele: Da geht noch mehr.
W er nachspüren möchte, wohin sich hierzulande die Arbeitsbedingungen entwickeln, hat als Indikatoren besonders Pflege-, Erziehungs- und Dienstleistungsbranche zur Verfügung. Hier staut sich der meiste Druck, der größte Frust, der unmenschlichste Stress im scheinbar arbeitsrechtsfreien Raum.
Jede von uns hat mit diesen Berufszweigen zu tun und kann sich selbst ein Bild machen. Zum Beispiel, wenn der einst als zuverlässig angesehene Lieferdienst UPS beim Autor die wertvolle Ware (Ja, ich bin ein Schwein, aber die gab es nun mal nicht im Laden) lapidar vor die Briefkästen knallt, wo er, wie im Hause üblich, von den Rabennachbarn im Nu geklaut wird.
Doch so schön es ist, für alle erlittene Unbill schnell und einfach Schuldige zu finden: Die Wut auf die Boten ist hier leider nicht angebracht; die Puste sollte man sich lieber für deren „Arbeitgeber“ sparen. Der Bote ist quasi nur der Bote für die Zustände, in denen er arbeiten muss.
So sei der Film „Sorry We Missed You“ des englischen Regisseurs Ken Loach, in dem das verzweifelte Strampeln eines solchen Paketfahrers in einem Hamsterrad aus Stacheldraht gezeigt wird, den verarschten UPS-, DPD- oder DHL-Kunden hier wärmstens als Anschauungsmaterial über die Arbeitsverhältnisse im Spätkapitalismus empfohlen.
Letztlich kontraproduktiv
Dem Übel zugrunde liegt die sogenannte Arbeitsverdichtung, ein perfider Arbeitgebereuphemismus für die Intensivierung der Arbeit, was wiederum nichts anderes heißt als: mehr Arbeit, die in weniger Zeit von weniger Leuten erledigt werden muss. Diese Gemengelage aus Personalknappheit, schlechter Bezahlung und Zeitdruck führt bei den Arbeitenden zu psychischen und auch körperlichen Problemen.
Die sich letztlich natürlich auch kontraproduktiv auf die Leistung der jeweiligen Mitarbeiterin und des Gesamtbetriebes auswirken: Das Paket liegt im Hausflur, die übermüdete Ärztin sägt das falsche Bein ab, die Sportlehrerin ist krankgeschrieben, die Kinder gehen aus dem Leim. Das klingt in der Kausalität so einfach, und doch agieren viele Verantwortliche noch immer nach dem Motto: Diese Zitrone hat noch Saft. In der Politik ist seit ein paar Jahren eine Art „Anti-Stress-Verordnung“ angedacht, aber „angedacht“ ist auch nur die ätherische kleine Schwester von „aufgeschoben“.
Kein Wunder, dass angesichts der allgemeinen Unzufriedenheit die Chefs ziemlich schlecht wegkommen. Die Studie State of the Global Workplace 2023 des Beratungsunternehmens Gallup, in deren Rahmen 120.000 Arbeitnehmer aus 145 Ländern zu ihren Arbeitsbedingungen befragt wurden, ergibt ein mieses Zeugnis für die Führungskultur.
Daraus folgt wiederum eine zunehmend geringer werdende emotionale Bindung an den Arbeitgeber. In Deutschland ist diese auf dem schwächsten Stand seit 2012; allerdings befinden wir uns damit sogar noch im europäischen Spitzenfeld, denn global gesehen sind die Werte in Europa überhaupt am niedrigsten. Das mag auch in der Mentalität begründet liegen, denn in Deutschland hasst man Veränderungen.
„Stress und Wut“
Einige wenige Emotionen sind den Arbeitnehmern immerhin noch geblieben, und zwar laut Gallup-Forschungsleiter Marco Nink vor allem „Stress und Wut“, zwei Empfindungen, die nicht nur dem Arbeitsklima, sondern auch wieder der Gesamtarbeitsleistung abträglich sind. Eine erhöhte Fluktuation der unzufriedenen Belegschaft ist ebenfalls die Folge.
Wo jedoch die Führung auf die emotionalen Bedürfnisse der Arbeitenden eingeht, wird weniger Stress und eine stärkere Bindung an den Arbeitgeber empfunden. Eine Obstschale für die Belegschaft ist schon mal gut, Lob und Anerkennung noch besser.
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