Verschärftes Asylrecht: Sein Asylchen verdienen
Europäische Grenzpolitik funktioniert wie die US-Filmreihe „Tribute von Panem“. Wer schwach ist, geht gegen die immer größeren Widrigkeiten halt drauf.
D avor, sich mit europäischer Grenzpolitik zu beschäftigen, kann man sich ganz gut drücken. An die EU-Außengrenzen denken wir in zwei Fällen:
1. Es kommen mehr Geflüchtete nach Deutschland und Rechte schlagen Alarm.
2. Rechte in Nachbarländern schlagen Alarm und wollen innereuropäische Grenzen zumachen.
Und weil das so ist, ist Europas Migrationspolitik geprägt vom Wunsch nach härteren Außengrenzen. Das zeigt auch die Einigung zwischen den EU-Innenminister*innen von vor einer Woche. Die haben sich mehrheitlich darauf verständigt, Asylverfahren zu verschärfen. Das betrifft unter anderem Menschen aus Ländern, bei denen im Schnitt weniger als 20 Prozent der Asylanträge anerkannt werden, oder aus „sicheren Herkunftsländern“. Wenn das Gesetz so käme, müssten diese Personen künftig in streng kontrollierten „Aufnahmeeinrichtungen“ an der Schwelle zur EU ausharren, bis ihr Antrag geprüft wurde.
Kritiker*innen sprechen davon, dass der Asyldeal zu „mehr Morias“ führen wird, also zu Elendslagern wie dem, das 2020 auf Lesbos abgebrannt ist. Das Gesetz muss noch mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Der Vorsitzende der Fraktion „Europäische Volkspartei“, Manfred Weber, sieht darin die Chance auf eine Rechtslage, „die wirklich funktioniert“, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Weber erwartet einen Rückgang der Flüchtlingszahlen: „Weil dann einfach für jeden, der versucht, illegal nach Europa zu kommen, an der Außengrenze Schluss ist.“
Häufig LGBT betroffen
Das mit dem Rückgang der Zahlen könnte klappen. Mit dem „funktionierenden Recht“ sieht es schon anders aus. Denn viele Leute aus den 20-Prozent-Ländern und den „sicheren Staaten“ haben ja legalen Anspruch auf Schutz. Das betrifft häufig zum Beispiel LGBT-Personen. Und die haben schon jetzt Probleme. Bekannt ist, dass LGBT-Asylsuchende häufig eine „Beweislast“ aufgehalst bekommen. Oder dass bisexuelle Geflüchtete von Richter*innen als „nicht homosexuell genug“ angesehen werden. Ob besonders schutzbedürftige Gruppen wie Queers zu ihrem Recht kommen, hängt davon ab, ob sie auf der Flucht auf gut informierte Richter*innen treffen. Auf qualifizierte Berater*innen, die sich Zeit nehmen können.
Und es hängt davon ab, ob ihre Wohnsituation sicher genug ist, dass sie sich überhaupt jemandem anvertrauen. Zusammengepfercht zu sein in einem Lager, wo Gewalt Alltag ist, ist dafür abträglich. Das hat ein EU-gefördertes Forschungsprojekt ergeben, bei dem ich – Transparenzhinweis – in den letzten Monaten mitarbeiten durfte. Wer Morias schafft, nimmt in Kauf, dass etliche legale Fälle gar nicht erst aktenkundig werden. Es ist Menschenrecht nach dem „Tribute von Panem“-Prinzip: Wer sich gegen die immer größeren Widrigkeiten der Grenzpolitik durchkämpft, hat sich sein Asylchen verdient. Wer zu schwach ist, geht halt drauf. „Funktionierende Rechtslage“ kann man so was natürlich auch nennen.
🏳️⚧️ SHANTAY. YOU PAY. 🏳️🌈
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Informationen auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich aber leisten kann, darf einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Linker Populismus
Nett war gestern
Kabinett für neues Wehrdienstgesetz
Freiwillige vor!
Azubi über Handwerksbranche
„Die Atmosphäre ist für queere Menschen unerträglich“
Anschlag auf Nord-Stream-Gasleitungen
Viele Fragen in der Pipeline
Diskriminierung im Sport
Verpflichtende Gentests bringen gar nichts!
Ausbeutung auf Rinderfarm
VW in Brasilien wegen Sklavenarbeit verurteilt