Versammlungsfreiheit deckt Abseilaktion: Gericht nötigt Autofahrer
Protest auf der A27 ist legal, sagt das Verwaltungsgericht Stade. Trotzdem warten Aktivisten in Achim wegen einer ähnlichen Aktion auf ihr Urteil.

Ruben ist gerade zu Fuß auf dem Weg, als er am Mittwochvormittag mit der taz telefoniert: Es geht, sieh an, zu einer Autobahnbrücke in Achim an der A27. Obwohl kaum Wind weht, rauscht es laut durchs Telefon. „Die Autos“, erklärt Ruben, „aber gleich ist Schluss, dann gibt’s hier nur noch Vogelzwitschern.“ Wieder wollen Aktivist*innen sich von einer Brücke runterlassen, wieder sollen Transparente herabgelassen werden, wieder wird die Autobahn für den Verkehr gesperrt sein.
Dieses Mal allerdings ist der Protest als Versammlung angemeldet – und gerichtlich durchgewunken. Anlass ist der Prozess am Donnerstag, aber es geht auch um das große Ganze, um Klimawandel und die Verkehrswende.
Die Stadt Achim hatte sich vorab ein wenig quergestellt: Versammlung schön und gut, aber bitte nur auf der Brücke und ohne Abseilen! Zu Unrecht, befand das Verwaltungsgericht Stade, und erlaubte in einem Eilbeschluss am Dienstagabend die Abseilaktion: Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit umfasse auch den Beachtungserfolg, also die möglichst große Öffentlichkeitswirkung eines Protests.
Gericht lässt die Autobahn sperren
Ganz ließ die Kammer den Antrag nicht durchgehen: Das Abseilen bei fließendem Verkehr sei zu gefährlich, befand das Gericht – die Autobahn müsse gesperrt werden. Die Transparente konnte so zwar kaum einer lesen; „aber die Autobahnsperrung selbst ist auch ein Beachtungserfolg“, sagt Gerichtssprecher Richard Wermes. „Viele Medien fragen an.“
Dass die Aktion in letzter Minute durch einen Eilbeschluss des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Lüneburg von einer Stunde auf eine halbe verkürzt werden musste, finden die Aktivist*innen nicht schlimm. „Die Hauptsache ist: Die Störung ist passiert“, sagt Aktivistin Mika kurz nach Ende der Aktion, bei der sie sich abgeseilt hat. „Schließlich“, ergänzt Ruben, „ging es nicht in erster Linie um eine Blockade, sondern um die Symbolik.“
Und die beweist aus seiner Sicht: „Es ist keine Straftat, sich von einer Autobahnbrücke abzuseilen.“ Bei dem Prozess in Achim wird Ruben und einer Mitangeklagten Nötigung im besonders schweren Fall vorgeworfen; mindestens sechs Monate Haft stehen darauf. Schließlich, so die Staatsanwaltschaft, standen bei der Aktion 2021 Tausende Autofahrer*innen im Stau.
Stau allerdings gibt es täglich, mit unterschiedlichen Ursachen. Auch die jetzt vom Gericht veranlasste Autobahnsperrung hat für einen Stau gesorgt; am Stauende gab es laut Polizei noch dazu einen Auffahrunfall. „Wenn die Staatsanwaltschaft ihre eigene Logik ernst nimmt, müsste sie die Fünfte Kammer des Verwaltungsgerichts Stade wegen Nötigung verklagen“, sagt Ruben.
Vorm Amtsgericht rechnet er am Donnerstag mit Freispruch. Insgesamt sind Umweltaktivist*innen stark davon abhängig, welches Gericht über ihren Fall entscheidet. So kam eine andere Aktion rund um die Verkehrsministerkonferenz 2021 vor dem Landgericht Bremen gar nicht erst zur Anklage.
Bei der Entscheidung für die Abseilaktion wiederum hatten die Aktivist*innen offenbar Glück: Das Oberverwaltungsgericht, das die Dauer des Protests auf Antrag der Stadt nachträglich verkürzt hatte, machte später deutlich: Hätte die Stadt Achim vom OVG ein Verbot der Aktion gefordert, wäre das Gericht dieser Forderung wohl auch nachgekommen.
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