Verpflichtende KZ-Besuche in der Schule: Erinnern aber inklusiv
Karin Priens Vorstoß für mehr NS-Bildung an Schulen ist ein richtiger Impuls. Einen wichtigen Aspekt lässt dabei sie allerdings völlig außer Acht.
C DU-Bildungsministerin Karin Prien will den Besuch von KZ-Gedenkstätten in der Schule verpflichtend machen. Mal ganz abgesehen davon, dass am Ende ohnehin die Länder und nicht der Bund darüber entscheiden, ist das ein guter Vorschlag. Selbstverständlich muss die massenhafte Vernichtung von Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja, Kommunist*innen, Homosexuellen in den NS-Lagern integraler Bestandteil der Geschichtslehrpläne aller Bundesländer sein. Besuche von KZ-Gedenkstätten können diese, unsere genozidale Geschichte lebensnäher vermitteln als Lehrbücher und Frontalunterricht im Klassenraum.
Ebenso Priens Anstoß, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte mehr im Mittelpunkt stehen sollte, ist sinnvoll. Denn trotz all der Jahre institutionalisierter Erinnerungskultur glaubt ein Drittel der Deutschen, ihre Vorfahren hätten Widerstand gegen die Nazis geleistet. In Wirklichkeit trifft das laut Schätzungen nur auf etwa 0,3 Prozent der damals lebenden Deutschen zu. Dem ein oder anderen Deutschen fiele es nach der Auseinandersetzung mit dem eigenen Nazihintergrund vielleicht schwerer, Antisemitismus zu Allererst bei Muslim*innen und Migrant*innen zu suchen. Priens Parteikollege und Kanzler Friedrich Merz könnte gleich mit gutem Beispiel vorangehen und sich mal öffentlich mit der jahrelang von ihm verharmloste Nazi-Geschichte seines Großvaters befassen.
Was in Priens Vorschlägen allerdings überhaupt keine Erwähnung findet: Ein immer größerer Anteil der Schüler*innen hat keine Familiengeschichte, die direkt mit der NS-Geschichte verwoben ist. Migrantischen Kindern einfach deutsch-zentrische Erinnerungserzählungen überzustülpen, ist der falsche Ansatz. Stattdessen braucht es Bildungskonzepte, die es Schüler*innen ohne Nazihintergrund ermöglichen, einen eigenen Zugang zum Thema zu finden. Dazu müsste man die NS-Geschichte – vom Aufstieg der Nazis bis zur Massenvernichtung von Minderheiten – in einen Kontext mit globalen Erfahrungen von Vernichtung und Genozid setzen. Das geht auch, ohne den Holocaust zu verharmlosen oder seine Alleinstellungsmerkmale zu vernachlässigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Günstiger und umweltfreundlicher
Forscher zerpflücken E-Auto-Mythen
Friedrich Merz und Israel
Außenkanzler, verschließt Augen und Ohren
Arbeitszeitbetrug-Meme
Arbeitgeber hassen diesen Trick
Jüdische Studierendenunion
„Die Linke hört nicht auf die Betroffenen“
Indischer Schriftsteller Pankaj Mishra
„Gaza hat die westliche Glaubwürdigkeit untergraben“
Eurovision Song Contest
Sieger JJ will ESC 2026 in Wien „ohne Israel“