Verpatzte Verkehrswende in Niedersachsen: Azubi-Ticket kommt später
Eigentlich sollte es ab Januar auch in Niedersachsen endlich ein günstiges Azubi-Ticket geben, doch das wird mal wieder nichts.
Die neue Landesmaßgabe heißt: Nicht mehr als 30 Euro pro Monat soll das Nahverkehrsticket kosten – und zwar für Schüler*innen, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende gleichermaßen.
Doch wer jetzt freudig zum Fahrkartenautomaten oder ins Kundencenter seines Nahverkehrsanbieters stiefelt, wird enttäuscht: Vielleicht im August, sagen die meisten. Das liegt daran, dass in Niedersachsen solche Meilensteine eher aus einem Sack Kieselsteine mit Ikea-Bauanleitung bestehen.
Das Verkehrsministerium hat nämlich lediglich die gesetzlichen Voraussetzungen und Mindestvorgaben für dieses Azubi-Ticket geliefert. Außerdem hat es 20 Millionen Euro in diesem und 30 Millionen im nächsten Jahr aus seinem Haushalt zusammen gekratzt, um das Vorhaben zu bezuschussen. Und jetzt dürfen sich die Kommunen und Landkreise, die für den ÖPNV zuständig sind, überlegen, wie sie das Ganze umsetzen und den Rest finanzieren.
Kleinteiliges ÖPNV-System mit 50 verschiedenen Tarifen
Das hängt damit zusammen, dass Niedersachsen über ein unglaublich kleinteiliges Nahverkehrssystem verfügt, in dem es an die 50 verschiedene Tarifsysteme gibt. Daran wollte das Wirtschaftsministerium nicht rühren. Man versuche nun also eigentlich die Azubis mit in das System zu quetschen, über das auch schon die Schülerbeförderung organisiert wird, erklärt Ute Neumann, die für die DGB-Jugend das Bündnis „Azubi-Ticket jetzt“ koordiniert.
Neumann versucht tapfer, das Ganze als „zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung“ zu deuten. In Wirklichkeit ist es aber vor allem eine Riesenenttäuschung. Dabei hätte das politische Bündnis für das Azubi-Ticket breiter nicht sein können: Die Jugendorganisationen aller relevanten Parteien, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Umweltverbände – alle unterstützen das Anliegen.
Gewünscht hätten sie sich ein landesweites Azubi-Ticket – wie es das übrigens in den meisten anderen Bundesländern auch längst gibt. „Es gibt nur noch sechs Bundesländer, die keins haben – zwei davon sind Niedersachsen und Bremen“, sagt Neumann.
Die Kleinstaatenlösung niedersächsischer Bauart ergibt für sie vor allem deshalb keinen Sinn, weil die Mobilitätsbedürfnisse von Auszubildenden eben andere sind als die von Schülern. Schon der Arbeitgeber ist unter Umständen weiter weg als die nächste Schule. Die Taktung und Rudelbildung, die durch den Schulalltag vorgegeben wird, entfällt hier.
Wer über die Landkreisgrenze pendelt, hat Pech gehabt
Und bei Ausbildungsberufen, die nicht ganz so häufig sind, ist meist auch die Berufsschule weiter weg. „Wir haben Auszubildende, die zwei, drei Landkreise oder sieben Tarifzonen queren müssen, um zum Blockunterricht in der Berufsschule zu kommen“, sagt die Gewerkschafterin. Was nutzt denen ein günstiges Ticket, dass nur innerhalb des Landkreises oder des einen Tarifverbundes gilt?
Dafür, argumentiert das Ministerium, könnten die Kommunen oder Landkreise ja eigene Kooperationen schaffen – die könnten die Lage vor Ort ja am besten einschätzen und wüssten, wo es Bedarf gibt.
In Neumanns Augen läuft das auf einen Flickenteppich hinaus, auf dem am Ende kein Mensch mehr den Überblick behält. Und wenigstens auf ein gemeinsames Startdatum – vielleicht zum Beginn des Berufsschuljahres im August – hätte man sich doch einigen können, findet sie.
Auch Ronja Laemmerhirt von den Jusos wirft Althusmann in einer Pressemitteilung vor, mit dem verwässerten und verzögerten Ticket ein Versprechen zu brechen, das eigentlich Teil des Koalitionsvertrages von SPD und CDU war.
Und Felix Hötker von der Grünen Jugend findet: „Junge Menschen mussten während der Pandemie einen hohen Preis zahlen.“ Das 365-Euro-Ticket biete immerhin eine Möglichkeit, zu zeigen, dass sie nicht vergessen werden. „Diese Chance versäumt Althusmann“, bedauert Hötker.
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