piwik no script img

Verleger über Kolonialismus-Sachbuch„Es war bei der Veröffentlichung bahnbrechend“

Der Manifest-Verlag hat Walter Rodneys Klassiker „How Europe Underdeveloped Africa“ neu übersetzt. René Arnsburg geht mit dem Buch auf Lesetour.

Kolonialismus in Südafrika im Jahr 2010: Mittlerweile heißt der dortige 5000-Einwohner*innen-Ort Berlin Ntabozuko Foto: dpa | Christian Putsch
Interview von Frida Schubert

taz: Herr Arnsburg, worum geht es in Walter Rodneys Buch „Wie Europa Afrika unterentwickelte“?

René Arnsburg: Es ist eine Darstellung der Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Einmal vor der Ankunft der Europäer und einmal nach der Ankunft der Europäer. Er hat die Entstehung des Kolonialismus und wie dieser die Entwicklung der afrikanischen Länder beeinflusst hat in ein Verhältnis von Entwicklung und Unterentwicklung gesetzt. Unterentwicklung versteht er nicht als Abwesenheit von Entwicklung, sondern als Verhältnis zwischen der kapitalistischen Entwicklung innerhalb europäischer Staaten, die basierend auf den Kolonialismus fortgeschritten ist, und des afrikanischen Kontinentes, dessen unabhängige, eigene Entwicklung dadurch gehindert wurde.

taz: Gab es einen bestimmten Anlass, dass jetzt eine neue Übersetzung veröffentlicht wird?

Arnsburg: Das war schon länger geplant. Es gab eine deutsche Übersetzung, die aber teilweise falsch und unvollständig war. Das haben wir jetzt aufgearbeitet. Zum Beispiel lautet der Titel im Original: „How Europe Underdeveloped Africa“. Die erste Übersetzung ist als „Afrika: Geschichte einer Unterentwicklung“ veröffentlicht worden. Das ist eine inhaltliche Verschiebung. Da wollten wir eine korrektere Übersetzung liefern.

Bild: René Arnsburg
Im Interview: René Arnsburg

Jahrgang 1987, Buchhändler, Bundesvorstand der Sozialistischen Organisation Solidariät (Sol) und Leiter ihres Manifest-Verlags.

taz: Das Buch ist 1972 erschienen. Wie aktuell ist es heute noch?

Arnsburg: Die Dinge, die Rodney untersucht hat, haben weiterhin Bestand. Rodney stützt sich auf dieselben Primärquellen, wie es auch neuere Untersuchungen machen. Sein Text wurde durch neue Forschung ergänzt, aber von allem, was er schreibt, wurde nichts widerlegt.

taz: In Dar es Salaam, wo Rodney lange lebte, war auch der arabische Kolonialismus stark vertreten, gibt es dazu eine Einordnung?

Arnsburg: Das war auch zu seiner Zeit bekannt und ihm auch bewusst, allerdings war sein Fokus die europäische Kolonialisierung. Daher wird das in seinem Buch sehr wenig besprochen. Ihn interessierte der Einfluss des europäischen Kolonialismus.

Das Buch und die Lesungen

Walter Rodney: „Wie Europa Afrika unterentwickelte“, Berlin, Manifest-Verlag, 418 S., 20 Euro/ e-Book 14,99 Euro.

Lesungen:

Bremen, 11. 11., 18 Uhr, Uni, Kleiner Hörsaal, Raum HS 1010

Hamburg, 12. 11., 19 Uhr, Kölibri

Kiel, 13. 11., 18 Uhr, Uni, Englisches Seminar, Raum 225

Lübeck, 14. 11., 18 Uhr, Uni, Raum AM S 2

taz: Geschieht in der Neuauflage eine historische Einordnung?

Arnsburg: Ja, Adewale umreißt, was in den 50, fast 60 Jahren seit Erscheinen des Buches passiert ist. Sarbo schreibt über die Bedeutung des Buches und auch über die Bedeutung Rodneys. In meinem Beitrag versuche ich, den Bogen noch größer zu schlagen, und schreibe, was Rodney sich unter kolonialer Befreiung vorgestellt hat. Es ging ihm nicht nur um die formale, nationale Unabhängigkeit, sondern auch um die Befreiung vom Kapitalismus, der die Grundlage für den Kolonialismus war.

taz: Was macht das Buch zu einem Klassiker?

Arnsburg: Es ist eine der ersten Gesamtdarstellungen afrikanischer Entwicklung und afrikanischer Geschichte aus nicht europäischer Perspektive. Es umfasst einen Zeitraum vom antiken Ägypten bis ins 20. Jahrhundert. Es war bei der Veröffentlichung bahnbrechend, weil es dafür gedacht war, dass sich Afri­ka­ne­r:in­nen ihre eigene Geschichte und die des Kolonialismus aus afrikanische Perspektive aneignen.

taz: Rodneys Buch ist eine politische Kampfschrift gegen den Kapitalismus, die alternativen sozialistischen Staatsformen, sind allerdings gescheitert …

Arnsburg: Die Frage ist ja, was ist gescheitert: Bürokratisch organisierte Planwirtschaften, die für sich den Begriff „Sozialismus“ in Anspruch genommen haben. Das ist gescheitert, nicht der Sozialismus selbst. Rodney stand für einen Sozialismus, in dem die Armen und Ausgebeuteten die wirkliche Macht haben, deswegen ist er da auch noch aktuell.

taz: Was kam zuerst, der Kolonialismus oder der Kapitalismus?

Arnsburg: Die Entdeckungsreisen und Kolonien wurden von den frühen Kapitalisten, den Handelsmännern finanziert. Der Kolonialismus war so von Anfang an eingebettet in der Entwicklung des europäischen Kapitalismus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Das Buch ist 1972 im englischsprachigen Original erschienen. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1975. Es steht bei mir noch im Bücherregal. Was war darin außer dem Buchtitel, der Europa als agierende Macht unterschlägt, ist falsch übersetzt? Das Interview gibt dazu keine Antwort.



    Wenn es um die afrikanische Sicht auf die eigene Geschichte geht, sollte man ein weiteres Buch nicht vergessen. Es ist 1979, schon ein Jahr nach der französischsprachigen Originalausgabe, erschienen: Die Geschichte Schwarzafrikas von Joseph KiZerbo. Er war auch überzeugter Sozialist.



    Die Lektüre dieses Buches lohnt sich auch heute noch.



    Was inzwischen nicht mehr zutrifft, ist die vor fünfzig Jahren noch anzutreffende in weiten Teilen Schwarzafrikas Unterbevölkerung.



    Originellerweise war damals in Europa vorherrschende Meinung, Afrika sei überbevölkert, obwohl damals große Regionen wie das Kongobecken weniger Einwohner als um das Jahr 1500 hatten.



    Dazu hat Vielen KiZerbos Buch die Augen geöffnet.

  • Ich bin kein großer Fan von Geschichtsverfälschung. Der Kapitalismus wurde 1776 von Adam Smith postuliert. Die Entdeckungsreisen begannen in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts (ausgelöst durch den Fall Konstantinopels und dem Gefühl, das 'christliche Abendland' wäre eingeengt).

    Die Ausbeutung mag auf rassische und kapitalistische Ursprünge zurückzuführen sein.

    Der Kolonialismus begünstigte wiederum den Merkantilismus.



    Kaufmänner sind übrigens keine frühen Kapitalisten, weder im weitesten noch engsten Sinne.

    • 6G
      627963 (Profil gelöscht)
      @Laurin Natschke:

      Entdeckungsreise? Lol. Ja " Lebensraum im Osten" war auch so eine "Entdeckungsreise"..



      Wir hatten in ganz Europa eine Rassentheorie von Herrenrassen und Untermenschen, die dem Kolonialismus moralische Rechtfertigung gab.

    • @Laurin Natschke:

      1. Das größte Motiv der sogenannten Entdeckungsreisen im 15. Jahrhundert war die Suche nach einem Seehandelsweg nach Indien (mit dem Erfolg, dass Cristóbal Colón glaubte, in "Westindien" gelandet zu sein...).



      2. Das 'Gefühl, eingeengt zu sein', hatten vielleicht im 19./20. Jh. gewisse literarische Vordenker der Nationalsozialisten wie Grimm mit seinem Bestseller "Volk ohne Raum".



      3. Die ersten ganz großen Kapitalisten mit durchaus kolonialistischem Hintergrund waren die Fugger, die sich seit 1367 in Augsburg niedergelassen hatten...



      4. Dass Adam Smith erst 1776 den Begriff des Kapitalismus eingebracht hat (was heißt hier "postuliert"?), tut nichts zur Sache.

  • Es gab und gibt die unterschiedlich religiös-ideologisch kulturellen Varianten von Erwartungsökonomie von ägyptischem, babylonischem, christlichem, islamischem, jüdischem, griechischem, persischem Reich. erst wenn die sich zertreuten, in Agonie zerfielen, wurde der Kapitalismus zur Vorrausetzung und Motor bei der Privatisierung von Erwartungsökonomie zulasten Dritter wie beim europäisch staatlich gelenkten Kolonialismus der Unternehmen weltweit straffrei stellt, während Kolonialtruppen sie bei ihren Verbrechen decken, wie nach Berliner Kongokonferenz 1884/1885 unter Schirmherrschaft Reichskanzlers Otto Fürst Bismarck geschehen, afrikanischen Kontinent mithilfe von US Investoren unter sich aufzuteilen. Ihren kolonialen Anfang nimmt jede Variante von Erwartungsökonomie mit Beherrschungsanspruch zunächst bei der eigenen Bevölkerung, siehe Bauernkriege in Mitteleuropa 1470-1525, aus freien Bauern Leibeigene zu machen, um dann entfesselt mit Wetten auf Columbus 1492 u. a. Konquistadoren auf Kreditbasis mordend, brandschatzen in Ferne der Karibik, Afrikas, Ozeaniens zu schweifen, die Bevölkerung zu unterjochen als Plantagensklavenarbeiter

  • 6G
    627963 (Profil gelöscht)

    Ein wichtiges Thema. Die Wissenschaften in Europa haben enorm vom Kolonialismus profitiert, da die Biologie und Agrarwissenschaft auf einmal auf eine immense Datenfülle Zugriff hatten, aus denen neue Erkenntnisse z.B. in der Botanik abgeleitet werden konnten. Man denke an all die Pflanzen, Insekten und Tiere die von Kolonialisten gehortet und in Kisten nach Europa verschifft wurden, um erforscht zu werden. Von Menschen, Schädeln, religiösen Kunstwerken ganz zu schweigen. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden heute so selbstverständlich als europäische Leistungen der Wissenschaft wahrgenommen, dass kaum mehr daran gedacht wird, dass dieser Erkenntnisgewinn auf Raub und Ausbeutung in den Kolonien fusst.