Verleger der „Berliner Zeitung“: Deckname Bernstein
Holger Friedrich soll Stasi-IM gewesen sein. Sein Umgang mit der Vergangenheit bedroht die Glaubwürdigkeit der Zeitung.
Holger Friedrich, einer der neuen Eigentümer der Berliner Zeitung, arbeitete als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) unter dem Decknamen „Peter Bernstein“ für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Das geht aus Recherchen der Welt am Sonntag hervor, die sich auf Friedrichs IM-Akte aus der Stasiunterlagenbehörde stützen. Aus rund 125 Seiten der Akte habe die Behörde der Zeitung auf Antrag 80 Seiten zur Verfügung gestellt.
Die Recherchen belasten den Verleger schwer. Demnach soll er während seines dreijährigen Wehrdienstes bei der Nationalen Volksarmee (NVA) über Kameraden an die Stasi berichtet haben. Einige davon seien durch Friedrich schwer belastet worden. In zwölf größtenteils handschriftlichen Spitzelberichten werden nach Angaben der Welt am Sonntag mehr als 20 Personen in identifizierbarer Weise genannt.
Gegen einige der Betroffenen seien auf Grundlage der Berichte „Maßnahmen“ durch die Stasi verfügt worden. „Er belastet in den Gesprächen Personen aus seinem Umgangskreis“, zitiert die Welt am Sonntag eine schriftliche Beurteilung Friedrichs durch seinen Führungsoffizier. Von Dezember 1987 bis Februar 1989 soll Friedrich mit Stasi-Offizieren zu konspirativen Treffen zusammengekommen sein.
Im September hatte Holger Friedrich den Berliner Verlag, zu dem neben der Berliner Zeitung auch der Berliner Kurier gehört, gemeinsam mit seiner Frau Silke Friedrich gekauft. Den Kauf sähen die beiden als „zivilgesellschaftliches Engagement“, hieß es damals. Zuvor war das Ehepaar nicht publizistisch oder journalistisch in Erscheinung getreten. Nach ihrem Erwerb des Verlags starteten die Friedrichs ein Modernisierungsprogramm bei der Berliner Zeitung, erneuerten etwa die digitale Infrastruktur des Unternehmens.
„Editorial“ erscheint in neuem Licht
Sowohl Holger Friedrich als auch seine Ehefrau stammen aus der DDR. In einem Interview, das das Paar der Berliner Zeitung nach dem Bekanntwerden ihrer Übernahme des Verlags gaben, sagte Holger Friedrich, er habe als Kind nur die Berliner Zeitung gelesen, weil diese ihm „zu DDR-Zeiten etwas weniger gebeugt vorkam“.
Bisher wurden Silke und Holger Friedrich als redaktionell einflussnehmende Verleger wahrgenommen. So veröffentlichten sie Anfang November ein umfangreiches „Editorial“, in dem sie recht ungelenk ihren Blick auf die Gesellschaft darlegten. Einige Aussagen in Verbindung mit dem als „Manifest“ wahrgenommenen Text erscheinen durch die Veröffentlichung der Welt am Sonntag in einem neuen Licht.
So danken die Friedrichs etwa dem SED-Funktionär Egon Krenz, der in den Mauerschützenprozessen im Jahr 1997 wegen Totschlags verurteilt wurde. „Egon Krenz hat mit dieser persönlichen Entscheidung [1989 keinen Befehl zur Anwendung von Gewalt gegeben zu haben] Millionen Menschen selbstbestimmte, positive Lebenswege ermöglicht, die uns unter anderem diesen Text in dieser Zeitung veröffentlichen lassen“, heißt es in dem Editorial. „Dafür sind wir ihm dankbar und möchten fragen, ob es in gleichem Maße groß war, ihn neben anderen zu viereinhalb Jahren Haft zu verurteilen.“
Zu dieser Passage sagte Holger Friedrich in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur Aufschlussreiches über seine Zeit bei der NVA. „Ich war zu dieser Zeit bei der Armee, bin wenige Wochen vorher von der Armee entlassen worden. Die Soldaten hatten die Munition, es war Urlaubssperre. Und es war allen von uns klar: Wenn das eskaliert, müssen wir hier ran.“
Friedrich äußert sich erst auf Anfrage
Und weiter: „Wir haben diese Diskussion geführt, nachts, in ganz kleinen Kreisen: Wie verhält man sich dann? In meiner engen Sozialisation einer Stube bei der Armee hatten wir die komprimierte Gesellschaft. Es gab die, die sagten: ‚Wir müssen die Errungenschaften des Sozialismus verteidigen. Und ja selbstverständlich werde ich dann schießen.‘ Und es gab die: ‚Ich renne sofort weg, verstecke mich im Wald und ich möchte daran nicht teilhaben.‘“
Holger Friedrich hat also nur wenige Tage vor Konfrontation mit seiner Stasi-Akte durch die Welt am Sonntag ausführlich über seine Zeit bei der NVA gesprochen. Dabei unerwähnt ließ er, dass er der Stasi über Kameraden berichtete. Er sagte nicht, ob er zu jenen gehörte, die den Sozialismus verteidigen wollten, oder zu jenen, die sich im Wald verstecken würden. Stattdessen gab er zu Protokoll, er sei dankbar, dass nicht weiter eskaliert wurde, womit er Krenz meinte. „Weil ich war in dieser Zeit, wie viele andere, ebenfalls in einem moralischen Dilemma.“
Erst auf Anfrage der Welt am Sonntag äußerte Friedrich sich öffentlich zu seiner Zeit als IM der Stasi. In einem Beitrag mit dem Titel „Holger Friedrich: In eigener Sache“, der Freitagmittag auf der Webseite der Berliner Zeitung veröffentlicht wurde, werden die Fragen, die von der Welt am Sonntag an Friedrich gestellt wurden, inklusive seiner Antworten publiziert. Ausführungen über die gestellten Fragen hinaus oder eine längere Stellungnahme blieben dabei aus.
Plausible Erzählung
Die Darstellung der abgefragten Sachverhalte erscheint dabei durchaus plausibel. So schreibt Holger Friedrich, dass er während seines Wehrdienstes unter dem Verdacht der Republikflucht verhaftet worden war. Unter dem Druck einer drohenden längeren Haftstrafe im berüchtigten Militärgefängnis in Schwedt habe er eine Verpflichtungserklärung unterschrieben. Er wäre damit beileibe nicht der erste informelle Mitarbeiter, der in eine Mitarbeit bei der Stasi erpresst worden ist.
Auch die Beschreibung seiner „Dekonspiration“ passt in ein nicht ungewöhnliches Muster. So gibt es mehrere dokumentierte Fälle, bei denen Dissidenten zum Beispiel in Haft zur Vermeidung von Repressionen einer Mitarbeit zustimmten, diesen Umstand nach Entlassung aber im Kreis von Bekannten und Freunden öffentlich machten. Sie waren so nicht mehr als IM einsetzbar.
Den absichtlich laxen Umgang mit den Anforderungen an Konspiration durch die Stasi machten sich aber auch viele potentielle IMs in weniger spektakulären Fällen zu eigen. An den richtigen Stellen platziert, verhinderten Indiskretionen über Kontaktaufnahmen weitere Versuche des Geheimdienstes, eine Zusammenarbeit herbeizuführen. Eines der bekanntesten Beispiele der freiwilligen Dekonspiration ist das des Bürgerrechtlers Wolfgang Templin, der noch als Student 1975 seine Tarnung aufgab und danach zu einem wichtigen Kopf der DDR-Opposition wurde.
Holger Friedrich erklärt weiter, dass er sich einer der Personen, die er aushorchen sollte, offenbart und eine Verabredung getroffen habe, wie er der Stasi berichten sollte. Auch ein solcher Vorgang ist nicht ohne Beispiel, wäre jedoch von der betroffenen Person noch zu bestätigen. Die Frage, ob Holger Friedrich anderen geschadet hat, wird alleine aus dem Studium seiner Akte nur eingeschränkt zu beantworten sein.
„Maier'sche Säuberung“ in der Zwickmühle
In anderen Fällen, auch bei der Berliner Zeitung selber, ist deutlich geworden, dass hierfür eine ausführlichere Prüfung unter Einbeziehung weiterer Unterlagen und gegebenenfalls der Einholung von Aussagen Dritter nötig ist.
Dem Herausgeber der Berliner Zeitung, Michael Maier, ist die Situation nicht gänzlich unbekannt. Er war als Chefredakteur 1996-98 verantwortlich für die Stasi-Überprüfungen in der Redaktion und vertrat einen äußerst ungnädigen Umgang mit belasteten Redakteuren, der im Haus gelegentlich als „Maier'sche Säuberung“ erinnert wird. In seine neue Funktion ist Maier erst vor zwei Wochen zur Berliner Zeitung zurückgekehrt.
In einer Stellungnahme zum aktuellen Fall versucht Maier, den früheren Umgang mit Ex-Stasi-Mitarbeitern in der Zeitung zu erklären. Er verweist dabei insbesondere auf den Ehrenrat, der eingerichtet worden war, um eine differenziertere und auf persönliche Lebensumstände achtende Beurteilung der Einzelfälle zu ermöglichen.
In der Praxis bedeutete diese Einzelfallprüfung für Mitarbeiter, die weiter für die Berliner Zeitung arbeiten durften, den Ausschluss von leitenden Funktionen. Andere Mitarbeiter verloren ihren Job wegen einer früheren Arbeit für die Stasi. Mit Blick auf diese Geschichte wird der Umstand, dass der Eigentümer und Verleger selbst dem Vorwurf der Spitzeltätigkeit ausgesetzt ist, zu einer argumentativen Zwickmühle – auch gegenüber der eigenen Redaktion.
Versäumte Kommunikation
Für die neuen Verleger könnte es nun schwierig werden. Unabhängig von der persönlichen Schuld Holger Friedrichs stellt sich die Frage nach seinem Umgang mit der Vergangenheit. Er hatte viel Zeit und die Möglichkeit, sich mit dem Schritt an die Öffentlichkeit, die der Kauf des Berliner Verlags darstellt, proaktiv zu seiner Vergangenheit als IM zu äußern.
Dass er das versäumt hat, könnte nicht nur innerhalb der Redaktion für Unmut sorgen, sondern für die Berliner Zeitung zu einem Glaubwürdigkeitsproblem werden. Die Veröffentlichung der Fragen der Welt am Sonntag stellt eine Schadensbegrenzung für die im Vorfeld versäumte Kommunikation dar, wird aber kaum das letzte Wort in der Sache gewesen sein.
Die frühere Stasi-Tätigkeit ihres Eigentümers ist derweil nicht der einzige medienethische Konflikt, mit dem sich die Berliner Zeitung jetzt wird auseinandersetzen müssen. Nach einem Bericht des Spiegels, ebenfalls vom Freitag, hält Holger Friedrich Aktien an einem Gentechnik-Unternehmen, das am 8. November auf der Titelseite seiner Zeitung als „Ostdeutsche Erfolgsstory“ gefeiert wurde. Zum möglichen Interessenkonflikt befragt, wollte sich Friedrich laut Spiegel nicht äußern.
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