Verkürzter Genesenenstatus: Klagen mit Erfolgsaussichten
Laut einem Urteil war die Verkürzung des Genesenenstatus rechtswidrig. Nun droht eine Klagewelle, die die Bundesregierung noch abwenden will.
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin entschied am Donnerstag, dass die derzeitige Regelung des Genesenenstatus „rechtswidrig“ ist. Laut Infektionsschutzgesetz müsse die Bundesregierung die Dauer des Genesenenstatus selbst bestimmen. Die Regierung durfte diese Aufgabe nicht an das Robert Koch-Institut (RKI) delegieren, das Mitte Januar den Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verkürzte.
Das VG Berlin erklärte sich sogar bundesweit für entsprechende Klagen zuständig, weil es um eine Verordnung der Bundesregierung geht. Am Freitag lagen schon 50 weitere Klagen vor. Es könnten Zehntausende werden, wenn die Bundesregierung nicht bald reagiert.
Dabei konnte Lauterbach gewarnt sein. Schon am 28. Januar hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags auf verfassungsrechtliche Zweifel hingewiesen. Am 6. Februar hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück die Delegation ans RKI für „verfassungswidrig“ erklärt. Ähnlich entschieden daraufhin die Verwaltungsgerichte in Hamburg, Halle und Ansbach. Am 11. Februar äußerte sogar das Bundesverfassungsgericht in seinem Eilbeschluss zur Pflege-Impfpflicht „Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“ der Verweisung auf das RKI.
Hin und her zwischen RKI und Bundesregierung
Auch der politische Druck ist hoch. Schon Anfang Februar forderte die Gesundheitsministerkonferenz eine Rückkehr zur alten Regelung, wonach die Bundesregierung den Genesenenstatus definiert. Auch die CDU forderte, der Minister müsse so etwas selbst entscheiden. Schließlich sagte Lauterbach selbst kürzlich in Bild: „Über tiefgreifende Entscheidungen wie etwa den Genesenenstatus möchte ich selbst und direkt entscheiden.“ Die Bund-Länder-Konferenz bekräftigte Lauterbachs Vorhaben, die Delegation rückgängig zu machen.
Dabei hatte die Bundesregierung die Delegation aufs RKI erst am 10. Januar beschlossen, auf Vorschlag Lauterbachs. Aber die Verantwortung ist kollektiv: Am 13. Januar stimmte der Bundestag der Änderung in der „Covid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung“ zu, mit den Stimmen von Ampel, CDU/CSU und Linken.
Am 14. Januar kam der Bundesrat sogar zu einer Sondersitzung zusammen und stimmte ebenfalls zu. Dort versprach Lauterbach: Der Genesenenstatus werde vom RKI „ausschließlich auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ verändert, „also ohne eine Beeinflussung durch den Minister zum Beispiel“.
Sogar die Halbierung des Genesenenstatus, die nun immer als Eigenmächtigkeit von RKI-Chef Wieler kritisiert wird, war bekannt. Am 13. Januar sagte Sabine Dittmar (SPD) im Bundestag: „Der Genesenenstatus wird künftig nach 3 Monaten bzw. 90 Tagen entfallen.“ Dittmar ist parlamentarische Staatssekretärin in Lauterbachs Ministerium.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung