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Verkehrswende in BerlinEin Stoppschild für die Autonation

In Berlin wird die Friedrichstraße zur Fußgängerzone mit Radweg. Ein Modellversuch auf 500 Metern, aber mit Bedeutung weit über die Stadt hinaus.

Im Oktober 2019 wurde die autofreie Straße schon einmal ausprobiert Foto: Paul Langrock

Es ist nichts weniger als eine Revolution, die in Berlin am Samstag offiziell gefeiert wird. Zugegeben, eine kleine nur, aber eben doch ein Umsturz dessen Wert gar nicht hoch genug gehängt werden kann. Denn er hat Bedeutung weit über die Haupstadt hinaus.

Worum es geht? Um knapp 500 Meter der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, in der auch das taz-Gebäude steht. Mit wenigen Handgriffen wurde sie in den vergangenen Tagen in eine verkehrsberuhigte Zone verwandelt - für einen Modellversuch bis Jahresende. Eine vier Meter breite Radspur in der Mitte, dazu Bäume in schnell gezimmerten Trögen und Bänke für wandermüde Flaneure.

Alles was ansonsten in den letzten Monaten hier und da an Radwegen aufpoppte, ist dagegen nur pillepalle. Hier wird nicht neben dem Autoverkehr mehr oder weniger großzügig Platz geschaffen für Radfahrer:innen. Hier werden Autos komplett ausgesperrt. Und das auf einer der bekanntesten Straßen der Stadt. Die Friedrichstaße wird somit zur ersten Fahrradstraße der Haupstadt, die diesen Namen auch verdient.

Dabei führt dieses Label in die Irre. Denn für die Fahrradfahrer dieser Stadt haben die paar hundert Meter keine praktische Relevanz. Da die restlichen zweieinhalb Kilometer der Magistrale autodominiertes Unding bleiben, werden sie die Friedrichstraße weiterhin meiden.

Zeigen, dass es geht

Also nichts als Symbolpolitik? Ja, genau! Diese Umwandlung ist ein hochsymbolischer Akt. Sie zeigt, dass es geht. Wer hier langschlendert, steht plötzlich mitten im verkehrspolitischen Utopia, das man bisher nur von Reisen nach Amsterdam oder Kopenhagen kannte.

Die Unterbrechung der fast drei Kilometer langen Nord-Süd-Verbindung, die sich schnurgerade durch Berlins Mitte zieht, wirkt wie ein unübersehbares Stopp-Schild für die Autogesellschaft. Autos müssen draußen bleiben. Umwege fahren. Oder besser noch: gar nicht fahren.

Die jetzt viel diskutierten Radler:innen sind auch nur Beiwerk. Hauptprofiteure sind die Fußgänger:innen, denen nun bis zu 80 Prozent des Straßenlandes gehören.

Ganz nebenbei könnte das auch noch die Friedrichstraße retten. Denn die Einkaufsmeile, die nach der Wende von Investoren gern zum Ku'damm des Ostens hochgejazzt worden wäre, lebt – wenn überhaupt – nur noch von ihrem Image aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Trotz einiger hochpreisiger Nobelschuppen am Rande hat sie kaum mehr Charme als eine Fußgängerzone in Recklinghausen. Nur mit dem Nachteil, dass hier bisher auch noch Autos durchbrausten.

Die trotz Corona wieder mehr werdenden Touristen, die sich dank ihrer Reiseführer wieder dorthin verirren, werden ab sofort tatsächlich etwas zu sehen bekommen. Ein Straße, die faktisch eine Fußgängerzone ist. Die, gerade weil sie nur ein Provisorium ist, ihren Charakter als vom Auto befreite Straße nicht verliert. Die sich – ob das nun stimmt oder nicht – einreiht in die gern gepflegten Erzählungen vom rebellischen Berlin. Und die genau deshalb dieses Bild in die Welt trägt: Die Postkartenidylle einer Stadt, die eine Autokorrektur schafft. Und wenn auch nur auf 500 Metern.

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10 Kommentare

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  • Gereon Asmuth , Autor des Artikels, Ressortleiter taz-Regie

    Ich muss mich korrigieren. Meine im Text getroffene Prognose, dass der Umbau der Friedrichstraße für Fahrrad-FahrerInnen irrelevant ist, war falsch. Selbst das nur 500 Meter kurze Stück zieht Radler in Massen an. Teils radelt man dort im Pulk. Und was sagt uns das? Mehr davon! Mehr Infrastruktur!

  • Der Vergleich mit der Fußgängerzone in Recklinghausen ist doch sehr treffend. Irgendwann kommen nur noch Anwohner und dann reicht der Umsatz in den Geschäften nicht mehr.

    Kopenhagen? Dort kommen Sie mit dem Auto ohne Stau in 30 Minuten ins Zentrum, können (teuer) parken und ausgiebig flanieren und shoppen. Da wird nicht stumpf verkehrsberuhigt sondern klug gelenkt.

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    Es ist Jahre her, dass ich diesen Teil der Friedrichstraße besucht habe und nicht nur dran vorbeigefahren bin. Jetzt aber werde ich das sehr bald in aller Ruhe erkunden, einschließlich der Geschäfte und Gastronomie. Bin sehr gespannt, wie sich das anlässt.

  • Und da wird behauptet, eine bessere Verkehrs-, Umwelt- und Klimapolitik sei nur möglich, wenn das kapitalistische System überwunden wird.

    Umgekehrt wird offenbar ein Schuh draus.

    Das kapitalistische Sytem ist es, das den rot-rot-grünen Senat zu solchen Maßnahmen erst bewegt.

    • @rero:

      Es ist in erster Linie das kapitalistische System, das das einzige ziehende Argument gegenüber den Ewiggestrigen bietet, um hier was zu verändern.

      • @Mopshase12:

        Die Grünen und die Linken sind für Sie ewig gestrig?

        Bei der SPD würde ich mitgehen.

  • Dabei wird dasselbe herauskommen wie immer bei Fußgängerzonen: Es werden viel weniger Autos durchfahren, dafür werden mehr Menschen da sein und diese länger bleiben. Eigentlich gut für alle, aber das wird auf stoische Art und Weise immer wieder ignoriert, das ist immer wieder in allen Städten so. Erst wehren sich alle und wenn man sie ein paar Monate später fragt, ob sie das wieder rückgängig machen würden, tippen sie sich nur entgeistert an die Stirn. Und dann in der nächsten Stadt wieder von vorn. Irrsinn.

    • @Mustardman:

      Und ein paar Jahre später wird gejammert, dass die Geschäfte schließen und leer stehen, weil die Leute dann halt dort einkaufen, wo man mit dem Auto vorfahren kann. Im Outlet z.b. Den Teil der Geschichte bitte nicht vergessen.

      • @Mira Dora:

        Die Schnittmenge von Besuchern der Outlets und Besuchern der Friedrichstraße ist heute schon nahe null, daher wird sich da durch die autofreie Zone auch nichts ändern.



        Wer mit dem Auto bis vor das Geschäft fahren will, fährt auch schon heute nicht in die Friedrichstraße, denn dort gibt es kaum Parkplätze und wer ins Outlet fährt ist ein Schnäppchenjäger und wird in der Friedrichstraße auch nicht fündig werden.

      • @Mira Dora:

        Die mantrahafte Wiederholung dieser falschen These macht sie nicht wahrer.



        Sie wird nur von Menschen wiederholt, die Probleme mit Veränderungen haben.