Verkehrswende-Aktivist vor Gericht: Amsel schießt zurück
VW klagt gegen eine satirische Website, die ihnen den Umstieg auf Straßenbahnbau unterstellt. Der beklagte Aktivist von Amsel44 sieht das als Erfolg.
Rufschädigend sei das, findet der VW-Vorstand – und will den Aktivisten zivilrechtlich belangen. Nur gut fünf Stunden bekam Rosswog vom Unternehmen Anfang Juni Zeit, um eine Unterlassungserklärung für zukünftige Anti-VW-Aktionen mit VW-Logo zu unterzeichnen – obwohl die Homepage zu diesem Zeitpunkt schon offline war. Rosswog unterschrieb nicht – am Dienstag fand nun die mündliche Verhandlung im Eilfahren statt.
„Das war der schönste Tag meiner Karriere“, sagt Rosswogs Anwältin Nina Onèr. Die Rechtsanwältin hat sich erst vor kurzer Zeit selbstständig gemacht. VW, also die Gegenseite, wird dagegen durch den bekannten Star- und Medienanwalt Matthias Prinz vertreten, mit mehr als vierzig Jahren Berufserfahrung.
Doch Anwältin Onèr konnte, so ihr Eindruck, das Gericht in weiten Teilen von ihrer Argumentation überzeugen. Die geht so: Die Satireabsicht lasse sich aus der beanstandeten Webseite leicht erkennen – nicht nur aufgrund der Zitate aus der Zukunft, sondern auch, weil die Seite mit einer Einladung zu Protestaktionen gegen VW aufmacht. „Auch ein Laie sieht auf den ersten Blick, dass hier nicht VW selbst spricht“, sagt Onèr.
Einschüchterung von Aktivist*innen
Dass der Aktivist Rosswog auf der Homepage das VW-Logo verwendet, hält sie ebenfalls nicht für angreifbar. „Marken sind nur vor markenmäßigem Gebrauch geschützt, aber hier sollte ja nichts verkauft werden.“ Insgesamt, berichtet Onèr, habe das Gericht bereits in der Verhandlung durchblicken lassen, dass die Website wohl durch die Meinungs- oder Kunstfreiheit gedeckt sei – genau festlegen wollte sich der Vorsitzende Richter noch nicht. Eine Entscheidung wird Ende Juli erwartet.
Und die Gegenseite? „Die wühlten nur noch wie wild in ihren Akten und wussten nichts mehr zu entgegnen“, schildert der Beklagte Rosswog seine Eindrücke aus dem Gerichtssaal. „Man konnte Mitleid bekommen.“ Ob das so war? Die Pressestelle des Landgerichts will sich zu möglichen Tendenzen im laufenden Verfahren nicht öffentlich äußern; Rechtsanwalt Prinz selbst verweist auf taz-Anfrage auf VW – und die bleiben in ihrer Antwort knapp.
Nicht immer geht es Klägern um Sieg oder Niederlage. „Schon der Streitwert der Unterlassungsklage von 350.000 Euro dient vor allem der Einschüchterung“, sagt Anwältin Onèr. Dass die Summe in dieser Höhe nicht durchgehen werde, habe der Richter sehr deutlich gemacht – und eher einen Streitwert von 25.000 Euro in Aussicht gestellt. „VW wollte einfach mit Kanonen auf Spatzen schießen“, vermutet Onèr.
Das Vorgehen ist nicht unüblich. Manche Prozesse sind Selbstzweck: Indem Privatpersonen von übermächtigen Gegnern mit Gerichtsverfahren überzogen werden, sollen sie eingeschüchtert werden und sich nicht weiter engagieren. Slapp heißt diese Strategie. Die Abkürzung steht für Strategic Lawsuit against Public Participation, strategische Prozesse gegen öffentliche Beteiligung also.
Bühne für Aktivismus
Doch die Strategie der Einschüchterung muss nicht aufgehen: Nicht nur Anwältin Onèr hat die Verhandlung genossen, auch der Beklagte Rosswog wertet das Gerichtsverfahren schon vor Abschluss als Erfolg: „Jede Klage zeigt uns, dass unsere Aktionen nicht einfach ignoriert werden können.“ Jeder Prozess sei die Einladung auf eine Art Theaterbühne – eine Möglichkeit, die nötige Verkehrswende als Thema zu platzieren und Resonanz in den Medien hervorzurufen. „Wir spielen da gerne mit.“
Das Gericht hat mittlerweile beiden Streitparteien einen Vergleich vorgeschlagen. VW schreibt dazu: „Das einstweilige Verfügungsverfahren wurde durch einen Vergleich beendet, in dem Volkswagen alle geltend gemachten Ansprüche zugesprochen bekommen hat.“
Doch das ist falsch: Tobias Rosswog hat den Vergleich noch gar nicht angenommen. Dafür müsste das Angebot schon sehr gut aussehen, sagt er. Ansonsten warte er die Entscheidungsverkündung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Ende Juli gelassen ab – und freue sich auf eine mögliche Hauptverhandlung. „Wenn du David gegen Goliath spielst, dann musst du es konsequent zu Ende spielen und nicht als Bittsteller enden“, sagt er.
In einer Hauptverhandlung könnten auch Zeugen geladen werden – die sich dann, so seine Hoffnung, öffentlich zu den ihnen in den Mund gelegten Zitaten äußern müssten. Unter anderem übernimmt in den fiktiven Zitaten der Webseite Wolfgang Porsche Verantwortung für die Zwangsarbeit in der NS-Zeit, und die aktuelle Zwangsarbeit für VW durch Uiguren. „Ich würde gerne sehen, wie er sich da rauswindet.“
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