Verkehrssicherheits-Roulette: Der Traum vom Zebrastreifen
Wie ich versuchte, einen Zebrastreifen vor einer Schule einrichten zu lassen. Und erkennen musste, dass sie von der Gnade des Verkehrsgottes abhängen.
V or ein paar Tagen sah ich, dass bei mir um die Ecke ein neuer Zebrastreifen angelegt worden ist. Plötzlich da: orange Streifen auf der Straße, Hinweisschilder auf dem Bürgersteig. Es war, als sähe ich eine Fata Morgana genau an der Stelle, an der man bisher schnell rüber hastete, weil man in der Kurve schlecht sehen kann, ob ein Auto kommt.
„Es gibt Menschen in der Verkehrsbehörde oder bei der Polizei, die an mich denken“, dachte ich, „an mich und die anderen, die hier wie die Hasen auf der Flucht sind vor den Stärkeren“. Es war eine Mischung aus Freude und Dankbarkeit, mit der ich vor den orangefarbenen Streifen stand und ich war selbst überrascht, wie groß sie war. Dann fuhr ich ein paar Meter weiter und sah, dass die Fußgängerampel beim Tunnel wegen Bauarbeiten außer Betrieb war. Der Zebrastreifen war der Ersatz für eine Ampel, also noch weniger als bisher.
Ich frage mich oft, warum Verkehrsfragen so emotional besetzt sind. Warum ist die gebaute Verkehrsanlage, zu der der Fußgängerüberweg offiziell gehört, eine Angelegenheit, die einen vor Dankbarkeit andächtig stehen bleiben lässt?
Verkehr ist nichts, dem man sich entziehen könnte, man nimmt daran teil und man ist unvermeidlich verletzlich darin und das vor allem als Radfahrer:in oder Fußgänger:in. An der Ampel, die gerade außer Betrieb ist, hat mich einmal ein Kleinwagenfahrer nahezu überfahren. Ich hatte Grün und er Rot und er hat es nicht mal gemerkt.
Das Recht des Stärkeren
Das ist die praktische Ebene und daneben gibt es eine politische, bei der es darum geht, wie mit dieser Schutzlosigkeit umgegangen wird. Die große Reizbarkeit dort, wo sich Radwege und Autostraßen kreuzen, stammt aus der Reibung zwischen dem spontanen Recht des Stärkeren und der mal starken, mal weniger starken Gegenkraft von Straßenverkehrsordnung und Verkehrsplanung.
Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man einen Zebrastreifen wie die huldvolle Gabe einer unberechenbaren Gottheit entgegen nimmt. Es ist die Aufgabe einer Verkehrsplanung, die den Namen verdient, die Rechte aller zu vertreten und gäbe es in Hamburg eine aufgeschlossenere Polizei und ein paar weniger Leute, die ihre Partikularinteressen vor Gericht durchsetzen, dann lebten wir bereits im Verkehrsparadies.
Stattdessen sehe ich den neuen Zebrastreifen auch deshalb mit so viel Ehrfurcht, weil ich selbst einmal vergeblich versucht habe, einen einrichten zu lassen. Das war vor einer Grundschule an einer Stelle, wo die Schulkinder in einem ameisenartigen Zug die Straße überqueren. Die Idee scheiterte im Keim.
„Es ist Tempo-30-Zone, da gibt es keine Zebrastreifen“, sagte man mir und ich ließ es bleiben. Ich habe sehr kurz überlegt, guerillaartig einfach die Streifen aufzumalen, aber das sei nur gefährlich, sagte man mir, weil dann die Schilder fehlten und die Autofahrer:innen weiterbrettern würden.
Es gibt also keinen Zebrastreifen für die Schulkinder und sehr viel später habe ich erfahren, dass es eine bundesweite Richtlinie gibt, wonach in Tempo-30-Zonen Zebrastreifen „entbehrlich“ sind. Dann geht es aber weiter: „Gesicherte Überquerungsstellen (z. B. Fußgängerüberwege) können die Fortbewegung schwächerer Verkehrsteilnehmender unterstützen und sollten nicht generell ausgeschlossen werden, zumal sie von Fahrzeugführern gut erkannt und akzeptiert werden.“
Fragt man beim Hamburger ADFC nach, heißt es, dass hier immer wieder Zebrastreifen in Tempo-30-Zonen abgelehnt werden. Und dass Tempo 30 in Tempo-30-Zonen oft Theorie bleibt.
Als ich kürzlich auf dem neuen Zebrastreifen queren wollte, fuhr ein Autofahrer einfach weiter. Er telefonierte und es war müßig, obszöne Gesten für seinen Rückspiegel zu erfinden. Vielleicht bringen Zebrastreifen sowieso nichts, dachte ich mit einer Logik, die nirgendwohin führt und fuhr nach Hause.
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