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Verkehrssektor verfehlt KlimazieleWissing droht mit Fahrverboten

Im Ringen um eine Reform des Klimaschutzgesetzes warnt der Verkehrsminister vor Wochenend-Fahrverboten. Grüne und Umweltschützer üben scharfe Kritik.

Schön leer hier – aber in diesem Fall nicht wegen Fahrverboten, sondern auf Grund von Treckerblockaden Foto: Frank Hormann/dpa

Berlin dpa | Mit einer Warnung vor möglichen Wochenend-Fahrverboten hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Ampel-Streit über das Klimaschutzgesetz angeheizt. Die Grünen reagierten empört: „Ein Minister sollte nicht unbegründet Sorgen bei den Menschen schüren“, sagte die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden der Deutschen Presse-Agentur. „Diese Behauptung ist schlichtweg falsch.“

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace bezeichnete Wissings Vorgehen als politisches Armutszeugnis. Der FDP-Politiker hatte vor drastischen Einschnitten für Autofahrer gewarnt, falls die Ampel-Koalition sich nicht zügig auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes einigt.

„Der Verkehrsminister versucht so schamlos wie durchschaubar, mögliche Konsequenzen des eigenen Versagens in politischen Druck umzumünzen“, sagte Greenpeace-Mobilitätsexpertin Clara Thompson der dpa. „Zwei Jahre hat Wissing damit vergeudet, jede Klimaschutzmaßnahme im Straßenverkehr zu blockieren – jetzt malt er Horrorszenarien an die Wand, um auch in Zukunft nichts tun zu müssen.“

Um nach dem geltenden Gesetz sogenannte Klima-Sektorziele im Verkehr erreichen zu können, wäre nach Wissings Argumentation eine deutliche Verringerung der Pkw- und Lkw-Fahrleistung notwendig. Diese wäre „nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich“, schrieb er in einem Brief an die Ampel-Fraktionschefs im Bundestag.

„Kaum vermittelbare Maßnahmen“

„Es wäre den Menschen kaum zu vermitteln, dass sie ihr Auto nur noch an fünf Wochentagen nutzen dürfen, obwohl wir die Klimaschutzziele in der Gesamtbetrachtung erreichen“, warnt Wissing. Das auf Donnerstag datierte Schreiben liegt der dpa vor, zuerst hatte die Bild darüber berichtet.

Grünen-Fraktionsvize Verlinden hielt dagegen, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, „ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen“. Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, „wie etwa ein Tempolimit“. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen lehnen Wissing und die FDP strikt ab.

Wissing macht mit dem Schreiben Druck während laufender Verhandlungen der Ampel-Fraktionen über eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Das Kabinett hatte diese im vergangenen Juni beschlossen, die erste Lesung im Bundestag war im September.

Strittig ist dem Vernehmen nach, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung verfehlt werden – wie im Verkehrssektor. Am Klimaschutzgesetz hängt auch ein geplantes Solarpaket.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung des Webinar-Formats Europe Calling, das Solarpaket sei ausverhandelt. Es sei politisch gekoppelt mit dem Klimaschutzgesetz, „wo es noch politischen Bedarf“ gebe. Er hoffe sehr, dass das Solarpaket nun wirklich schnell verabschiedet werde.

Worum es geht

Im Klimaschutzgesetz sind die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.

Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern – um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden – sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll – allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes, die Teil des Koalitionsvertrags ist.

Verkehrssektor verfehlt Klimaziele

Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme.

Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich. Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am kommenden Montag vorgelegt.

Das geltende Klimaschutzgesetz sieht vor: Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor aus, so legt das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten nach der Bewertung durch den Expertenrat ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor.

Darauf ging Wissing in seinem Schreiben ein: Sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen – dann kommt die Warnung vor flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote am Wochenende. Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schrieb Wissing.

Seine Warnung weckt Erinnerungen an die sogenannten autofreien Sonntage während der Ölkrise: Nachdem arabische Staaten ihre Ölproduktion 1973 vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Kriegs verknappt hatten, wurden an vier Sonntagen Fahrverbote in der Bundesrepublik verhängt.

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14 Kommentare

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  • Ich finde die beiden Koalitionspartner sollten sich nicht erpressen lassen. Die Untätigkeit des Ministers in Sachen Klimaschutz muss halt Konsequenzen haben, sonst tanzt er in Zukunft allen weiter auf der Nase rum. Klar wird er versuchen die Schuld auf die anderen zu schieben, aber da muss dann halt auch mal gut Gegenargumentiert werden.

    Und wer weiß, sollte es dann wirklich zu Fahrverboten kommen, realisieren manche Autofans vielleicht auch wie schön es sein kann, den ganzen Lärm und Dreck für ein paar Tage nicht ertragen zu müssen.

  • Ach je, es gibt soviele Möglichkeiten...



    Hier noch eine, noch nie diskutiert, von mir grade eben erst erfunden: das individuelle Tempolimit. Also, jeder PKW hat eine bestimmte Geschwindigkeit, bei der der Verbrauch von 7.5L/100km (grade Strecke, kein Beschleunigen) erreicht wird. Bei einem Kleinwagen bei vielleicht 135km/h, bei einem grossen SUV bei vielleicht 80km/h.



    UND GENAU DAS IST DAS INDIVIDUELLE TEMPOLIMIT !!



    Zur Kontrolle muss natürlich jedes Fahrzeug geblitzt werden, und eine KI wertet in Sekundenbruchteilen die Bilder aus. Wer 3mal erwischt wird, bei dessen Fahrzeug wird amtlicherseits eine technische Änderung vorgenommen, die automatisch das Fahrzeug bei dem Fahrzeugspezifischen Limit (s.o.) abregelt.



    Und, Herr Wissing? Ist doch gut, oder ??

  • "Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern..."



    Nun steuert Wissing nach, und es ist auch wieder nicht recht... :-(



    Waren vielleicht die Ziele für den Verkehrssektor von Anfang an illousionär? Und die geforderte und geförderte Methode - Verschiebung der Emissionen in den Stromsektor - von Anfang an untauglich?

  • Lieber 5 Tage 320 als 7 Tage 130 auf der Autobahn! Was sollen wir denn sonst mit den ganzen tollen Autobahnen machen, wenn man nicht mehr rasen darf?

  • 6G
    600613 (Profil gelöscht)

    Man hätte angesichts der Überschrift im ersten Moment beinahe denken können, Herr Wissing hätte den Ernst der Lage hinsichtlich der Klimakrise endlich begriffen.

    • @600613 (Profil gelöscht):

      Wem Wissing und Lindner bezügl. Lächerlichkeit der FDP noch nicht reichen, sollte gestern Ingo Bodke, einen auf den ersten Blick erkennbaren Spezialisten, bei der Bundestagsdebatte über gesunde Ernährung gesehen haben. Ich wollte gerade "Besser gehts nicht" schreiben, aber bei denen weiß man nie...

  • Also laut den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern waren diese Autofreien Sonntage eigentlich ziemlich cool. Fahrrad fahren auf Autobahnen. Klingt ehrlich gesagt immer sehr idyllisch und positiv. So als ob alle Menschen spontan eine Infrastruktur nutzen, die meistens besser ist als alle anderen Straßen und das in einer Art und Weise die irgendwie gemeinschaftlich ist.

    Also ich muss sagen, die FDP hat mit Wissing eigentlich den ständigen Beweis, dass ihr Mantra reine Verblendung und religiöse Fanatik ist. Das Leistung nichts mit irgendwas zu tun hat. Und dass Arbeitsverweigerung sehr wohl von der Partei gebilligt und sogar belohnt wird. Wissing verweigert seine Arbeit und sagt sogar offen, dass er seit Jahren keinen Finger gerührt hat um sich Rat zu holen welche Klimamaßnahmen man denn erlassen könnte um Ziele zu erreichen. Offensichtlich hat er dahingehend seine Arbeit schlicht verweigert. Und wird sogar dafür belohnt! Ja Herr Lindner, was machen wir denn mit solchen "Totalverweigern"?

    • @curiouscat:

      Damals hatten die Meisten noch eigene Ideen zur Freizeitgestaltung, sogar zusammen mit anderen und das ohne Daumentrainer.

  • Ausgerechnet der "Freie Fahrt für freie Raser"-Minister der FDP kommt mit möglichen Fahrverboten um die Ecke.

    Kein Wunder, dass politisches Kabarett es heutzutage so schwer hat, denn die Realität ist oft kaum noch zu toppen... so etwas hätte man von den Grünen erwartet, aber von der FDP? Niemals.

    • @Herbert Eisenbeiß:

      Aber man darf das noch nicht mal ansatzweise ernst nehmen.

  • Als jemand, der die letzten Sonntagsfahrverbote erlebt hat, wäre ich neugierig, wie das im Zeitalter der Quer"denker" und Wutbürger funktioniert. Aber Wissing weiß ja schon vorher, daß das nicht vermittelbar ist.

  • Ich bin dafür, Fahrverbote für Verbrenner von Freitag 18 Uhr bis Sonntag 24 Uhr. Dann gibt es endlich wieder Wochenendruhe hier im Naturpark.

  • Kein Problem, ich habe ein E-Auto!

    • @insLot:

      Ich habe gar kein Auto.