Verkehrsfrust in Berlin: Bunt lackierter Sondermüll

Auch wenn man auf dem Land nur vom Trekker überfahren wird: Manchmal hat man echt keinen Bock mehr auf diese olle Stinkestadt.

Autos, LKW und Lieferfahrzeuge fahren auf dem Berliner Kaiserdamm stadteinwärts

Viele Autos, etwas Grün: So ist Berlin Foto: picture alliance/dpa

Hab grad wieder Berlinkoller. Keine Ahnung, ob’s am Wetter liegt oder am Alter, aber manchmal hab ich echt keinen Bock mehr auf diese olle Stinkestadt.

Nicht, dass ich denke, dass die Menschen woanders freundlicher wären. Da, wo ich hinwollen würde, wenn ich es mir denn leisten könnte, Meckpomm oder Brandenburg, kommunizieren die Menschen grundsätzlich pöbelnd miteinander. Jeder Gesprächsauftakt eine Beleidigung? Damit komm ick klar.

Womit ick nich klar käme, wären die hochjeklappten Bürgersteige ab September und das Wissen, dass jeder vierte deiner Nachbarn AfD aus Überzeugung wählt.

Aber mir ist das hier manchmal einfach zu laut, zu eng, zu stickig. Neun Monate im Jahr schlucke ick Allergietabletten gegen den Feinstaub, und ich brauch zusätzlich Nasen und Augentropfen.

Wenn ick watt zu sagen hätte, würde ich Privatautos einfach verbieten. Die allermeisten von uns Künstlern, ITlern, Medienfuzzis und Sesselpupsern, von denen es in dieser Stadt schon viel zu viele gibt, brauchen doch kein eigenes Auto!

Bunter Sondermüll

Alle, die ich kenne, die eins besitzen, bewegen es eigentlich nie, weil es einfach keine Parkplätze gibt. Und falls sie doch ihre Parklücke verlassen, dann nur, um sich in den Stau zu stellen. Der größte Teil des öffentlichen Raumes in dieser Stadt steht also für ungenutztes Blech zur Verfügung. Ey, was man mit dem Platz alles anfangen könnte: Radwege, Fußwege, Spielstraßen, Sitzbänke. Aber nee, wir wollen lieber bunt lackierten Sondermüll.

„Wenn du aus Berlin raus willst, bräuchtest du auch ein Auto“, sagt mein Mann, Zugezogener aus der westdeutschen Provinz.

Als wir ein Paar wurden, weigerte er sich standhaft, Fahrrad zu fahren, weil er es so geil fand, ohne ein eigenes Gefährt, einfach nur zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu jeder Tages- und Nachtzeit an jeden Ort Berlins zu gelangen.

Er sagt, er sei damals mit Absicht nach Berlin gekommen vor zwanzig Jahren, weil er gerne nur noch coolen Menschen auf der Straße begegnen wollte. Coolen Menschen. Und jetzt wohnen wir in Pankow. Hihi.

„Ich krieg keine Luft mehr“, sage ich, „ich hab Migräne. Ich habe jeden Tag Todesangst. Um dich. Um mich. Um unser Kind. Weißt du, wie manche Leute mich angucken, wenn ich hinter dem Dreijährigen her im Schritttempo den Bürgersteig lang radele. Die wissen nicht mal, dass das erlaubt ist.“

„Auf dem Land würde dich dafür keiner schief angucken“, sagt der Gatte. „Da würdest du gleich vom Trekker überfahren. Und mal eben nach dem Abendbrot aufs Rad springen und zu ’ner Lesung düsen, ist dann auch nicht mehr. Oder spontan ins Kino. Dann sitz du nur noch hinter deiner Gardine und guckst zu, wie sich Fuchs und Hase gegenseitig mit dem Trekker überfahren!“ Unsere Hochzeitsreise damals war Anfang Oktober und ging nach Rheinsberg. Am ersten Tag konnten wir noch eine Schlossführung machen, danach gab es nicht mal mehr Pommes an der Imbissbude. Am zweiten Tag fing es an zu regnen, am dritten fuhren wir wieder nach Hause, mit dem Fahrrad in die Schmalspurbahn, die heute gar nicht mehr fährt, dabei sind wir grad erst sechs Jahre verheiratet. Zurück in Berlin freuten wir uns über die pulsierende Metropole, in der wir wohnen.

Bald pulsiert in Pankow nichts mehr. Wenn die Kulturbrauerei endlich in Eigentumswohnungen für Superreiche umgewandelt worden ist. Mit Tiefgaragen für die Zweitwagen.

Kann mich bitte mal jemand mit dem Trekker überfahren?

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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