Verkauf alter Autokennzeichen: Schwarze Kasse kein Kündigungsgrund
Der Landkreis Holzminden hatte seine gesamtes KfZ-Zulassungsstellen-Team wegen Korruption gefeuert. Das war voreilig, befand das Arbeitsgericht nun.
Jetzt haben zwölf Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht in Hildesheim gegen ihre Kündigungen geklagt – zum Teil mit Erfolg. Die schwarze Kasse, so schälte sich am Mittwoch vor Gericht heraus, war die Kaffeekasse. Dort hinein floss vor allem Geld, das ein Schrotthändler für die entwerteten alten Kennzeichen zahlte – und wohl das ein oder andere Trinkgeld.
Finanziert wurden damit Weihnachtsfeiern, Geburtstagsgeschenke oder Blumensträuße zum Dienstjubiläum. In einer Excelliste verzeichneten die Mitarbeiter säuberlich alle Zu- und Abgänge. Rund 5.000 Euro sollen in den Jahren 2015 bis 2021 zusammen gekommen sein.
Diese Praxis gab es allerdings schon seit den 70er-Jahren – bis im November 2021 eine neue Leiterin ihren Dienst antrat. Die kam aus einem anderen Landkreis und schlug sofort Alarm, schließlich darf in einer deutschen Behörde nicht einfach so mit öffentlichem Eigentum und Bargeld herum hantiert werden.
Gesammelt wurde vor aller Augen – und Buch geführt auch
Das, findet Arbeitsrichterin Angelika Quentin, sei wohl unstrittig: „Hier geht heute niemand mit einem Persilschein raus.“ Die knifflige Frage ist allerdings, wie dieser Verstoß zu bewerten ist und ob er wirklich eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Denn die hatte der Landkreis ja umgehend ausgesprochen – und zwar auf die denkbar rüdeste Art, finden jedenfalls die Betroffenen.
Selbst mit Kollegen, die 30, 40 Jahre für die Behörde gearbeitet hatten, wurde kurzer Prozess gemacht, erzählen sie noch immer empört im Gerichtsflur. Überfallartig sei man zu einer Anhörung bestellt worden, dann habe man ihnen den Zeiterfassungschip und die Schlüssel abgenommen und sie nach Hause geschickt.
Wenige Tage später lagen die fristlosen Kündigungen im Briefkasten, sicherheitshalber schob der Landkreis bei einigen auch noch eine fristgemäße Kündigung hinterher. Vor allem erstere, deutet die Richterin schon früh in der Verhandlung an, sei möglicherweise zu viel des Guten.
Das macht sie an zwei Umständen fest: Zum einen hat es keine Dienstanweisung gegeben, wie mit werthaltigem Abfall – und das sind die Kennzeichen in diesem Fall – zu verfahren ist. Gleichzeitig fand die Entsorgung vor aller Augen statt. Die alten Kennzeichen wurden in einem Behälter im Flur gesammelt, wenn die Kfz-Halter sie nach dem Abmelden nicht mitnehmen wollten. Der Behälter wurde regelmäßig in einen großen Container auf dem Hof geleert. Niemand fragte weiter nach.
Auch die Belehrung der Mitarbeiter über Regelungen zur Korruptionsbekämpfung seien unzureichend, befindet Quentin. Eine allgemeine Dienstanweisung im Intranet sei nicht ausreichend, die Verpflichtungserklärungen, die einige Mitarbeiter bei ihrem Dienstantritt unterschrieben haben, seien geradezu „historische Dokumente“ – völlig unzureichend nach heutigen Standards.
Eine umstrittene Dienstanweisung von 1973
Die klagenden Mitarbeiter fühlen sich vor allem in ihrem Ansehen geschädigt und auch zu Unrecht an den Pranger gestellt. Immerhin hätten sämtliche Vorgesetzte der vergangenen Jahrzehnte von dieser Vorgehensweise gewusst. Die Anwälte glauben sogar eine Dienstanweisung aus dem Jahre 1973 ausgebuddelt zu haben, der nie widersprochen wurde, die also immer noch Gültigkeit haben müsste.
Die Vertreter des Landkreises bestreiten das und verweisen darauf, dass sich die Stimmung in den Medien schnell zugunsten der Mitarbeiter drehte. Wenn ein Ruf geschädigt worden sei, dann der des Landkreises.
Letztlich lässt sich die Mehrheit der Kläger auf Vergleiche ein: Die meisten haben längst neue Jobs, pikanterweise in anderen Stellen des öffentlichen Dienstes, und sie wollen diese Episode hinter sich lassen. Nur zwei sind mit dem Vergleichsangebot des Landkreises derart unzufrieden, dass sie es auf ein Urteil ankommen lassen.
Das fällt dann deutlich aus: Der Kreis muss sie wieder einstellen. Auch wenn es um eine erhebliche Pflichtverletzung gehe, seien die fristlosen Kündigungen unverhältnismäßig gewesen, befindet das Gericht. Es habe auch ein erhebliches Organisationsverschulden gegeben.
Für den Kreis könnte es noch teure Folgen geben: Im Rahmen der Vergleiche hat er zugesichert, die Gehälter nachzuzahlen. Dazu kommen Abfindungen in unterschiedlichen Höhen: 800 Euro im niedrigsten Fall, über 12.000 Euro im höchsten Fall.
Außerdem könnten noch Schadensersatzklagen von Autohäusern drohen, denen vielleicht Verträge durch die Lappen gegangen sind, weil die Autos nicht umgehend angemeldet werden konnten. Auch die aushilfsbereiten Nachbarlandkreise werden ihre Leistungen in Rechnung stellen.
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