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Verhaftete „RAF-Rentnerin“ KletteHärte statt Vernunft

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der Staat tut so, als seien die drei ehemaligen RAFler heute noch die Staatsfeinde Nummer 1. Er hätte ihnen längst die Hand reichen können.

Großer Aufwand: Polizisten vor der mutmaßlichen Wohnung von Daniela Klette Foto: Paul Zinken / dpa

G roße Worte: „Meilenstein in der deutschen Kriminalitätsgeschichte“, „Spitzenarbeit der Polizei“ – PolitikerInnen und Verfolgungsbehörden überschlagen sich in Lob und Selbstbeweihräucherung für die Festnahme einer Frau im Rentenalter, die als unauffällige Mitbewohnerin eines Kreuzberges Hauses beschrieben wird. Daniela Klette, 65, gehörte wohl zu den letzten RAF-Mitgliedern, die Ende der 80er Jahre noch rekrutiert wurden, bevor sich die RAF 1998 dann ganz offiziell selbst auflöste. Eine alte Geschichte also, die spätestens vor 25 Jahren zu Ende ging und politisch schon lange davor kaum noch eine Rolle spielte.

Trotzdem wurde nach Klette und zwei weiteren vermutlichen „RAF-Rentnern“ über Jahrzehnte mit Hochdruck gefahndet, ganz so, als ginge es immer noch um die Staatsfeinde Nummer 1. Dabei wollten die drei vermutlich nur ein ganz bürgerliches Leben führen; ihre Straftaten, die sie dann noch verübt haben sollen, dienten dem Lebensunterhalt im Untergrund, weil sie ja aus dem Untergrund nicht auftauchen konnten. Hat Deutschland im Jahr 2024 eigentlich keine anderen Probleme, als RAF-RentnerInnen zu jagen, hat die Polizei mit rund 400 aktiven Neonazis, die sich derzeit einer Festnahme entziehen, eigentlich nicht genug zu tun?

Schon Mitte der 80er Jahre war, initiiert von der Grünen-Politikerin Antje Vollmer, darüber diskutiert worden, unter die fatale RAF-Geschichte einen Schlussstrich zu ziehen und denjenigen RAF-Mitgliedern, die sich vom Terrorismus losgesagt hatten, eine Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen. Doch sobald es um die RAF geht, herrscht immer noch Hysterie und Härte statt Vernunft. Daniela Klette, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub sind schon lange für niemanden mehr eine Bedrohung, man hätte ihnen schon vor 25 Jahren einen Rückweg in die Legalität anbieten können. Doch die Bundesanwaltschaft, die Polizei und selbst die Regierung Gerhard Schröders waren dazu nicht bereit.

Na denn, herzlichen Glückwunsch zum großen Terroristinnen-Fang.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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11 Kommentare

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  • Dass diese Verhaftung keine Weltverändernde Großtat war: geschenkt.



    Aber :



    ihre Straftaten, die sie dann noch verübt haben sollen, dienten dem Lebensunterhalt im Untergrund, weil sie ja aus dem Untergrund nicht auftauchen konnten.

    Ähh? Und das soll jetzt eine Entschuldigung sein? 25 Jahre im Untergrund mit Kleinkriminalität zu finanzieren soll davor schützen, keine zehn Jahre im Gefängnis zu sitzen? Wenn es überhaupt so lange gedauert hätte.



    Sie hätte jederzeit auftauchen, sich verantworten und danach legal weiterleben können. Wäre vermutlich schneller gegangen als auf eine Amnestie zu warten. Welchen Grund hatte sie überhaupt, darauf zu hoffen, dass der Staat seine Meinung zur RAF irgendwann ändern könnte?



    Ob es aus Sicht des Staates vernünftig wäre oder nicht, ist eine ganz andere Frage.

  • Die drei Personen hätten sich natürlich auch einfach ihren Taten und dem Rechtsstaat stellen können. Dann wären sie längst wieder auf freiem Fuß, könnten in Büchern ihre Sicht der Dinge beschreiben - und ganz bürgerlich leben, ohne andere Bürger durch bewaffneten Raub zu bedrohen. Warum eigentlich hat der Autor das nicht von den Irrläufern erwartet? Verstehe ich nicht.

  • Gut zu wissen, das diese drei Mörder endlich da sind, wo sie hin gehören, hinter Gittern,

  • "Härte statt Vernunft?"



    33 Morde und über 200 Verletzte bei Anschlägen gehen auf das Konto der RAF. Sie war eine linksextremistische terroristische Gruppe. Wer sich ihnen anschloss, wusste ganz genau worauf er/sie sich einließ.



    "Dabei wollten die drei vermutlich nur ein ganz bürgerliches Leben führen"



    Kein Problem, sie hätten sich jederzeit stellen können. Sie hätten sich dann - so wie es auch jetzt geschehen wird - vor einem Gericht verantworten müssen, Ende. So geht Rechtsstaat.



    "ihre Straftaten, die sie dann noch verübt haben sollen, dienten dem Lebensunterhalt im Untergrund"



    Richtig. Das war Mundraub. Maximal. Mit Waffen und Panzerfaust. Völlig normal 👍



    "Daniela Klette, Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub sind schon lange für niemanden mehr eine Bedrohung, man hätte ihnen schon vor 25 Jahren einen Rückweg in die Legalität anbieten können. Doch die Bundesanwaltschaft, die Polizei und selbst die Regierung Gerhard Schröders waren dazu nicht bereit."



    Und das ist richtig so. Ehemalige KZ Wärter wurden auch 60 und 70 Jahre später noch für ihre Verbrechen angeklagt. Die stellten auch längst keine Bedrohung mehr für irgendjemanden dar - das ist doch kein Argument für Straffreiheit 🤷‍♂️

  • Ich verstehe diesen Kommentar nicht. Es geht hier um Menschen denen schwere Straftaten vorgeworfen werden, z.B. schwerer Raub und Törungsdelikte. Warum soll der Staat hier nachgeben und welches Signal wäre es für andere Straftäter?

  • Ja, alle anderen sind Schuld nur die handelnde Person kann nichts für ihr eigenes Tun, da sie von der Gesellschaft gezwungen wird. Mit Auflösung hätte Frau Klette sich stellen können, aber sie entschied sich selbst aktiv für ein Leben im "Untergrund" mit scheinbar dazugehörigen Überfällen tlw. mit Kriegswaffen. Die Argmumentation es handelt sich um eine betagte Frau, die ja nur in Ruhe leben wolle, kann icht nicht mitgehen.

  • Nach Neonazis fahnden und nach anderen Straftäter*innen, z.B. nach ExRAFlern, schließt sich ja nun nicht zwangsläufig aus. Dass die VS der Länder und diverse LKA z.B. den NSU nicht finden "konnten" ist ja nun ne andere Geschichte.

    Aber nur, weil die einen Straftäter nicht gefunden werden, muss man andere laufen lassen? Was macht Sprengstoffanschlägw und Mordversuche und spätere Raubüberfälle (nein, keine Diebstähle!) besser, wenn sie von Linken begangen wurden?

  • In der Tat, wenn in gleichem Maße gegen rechtsextreme Gewalt und Extremismus vorgegangen würde, wäre wir schon sehr viel weiter.

  • Hallo? Der Dame wird u.a. versuchter Mord vorgeworfen. Da kann man natürlich einfach so einen Schlußstrich ziehen...

  • "ihre Straftaten, die sie dann noch verübt haben sollen, dienten dem Lebensunterhalt im Untergrund, weil sie ja aus dem Untergrund nicht auftauchen konnten."

    Schon klar. Soweit mir bekannt ist, gab es glücklicherweise keine Toten bei den Attentaten des Trios. Zum Teil nur, weil die Autobombe fehlerhaft war. Hätte man sie sich Anfang Mitte der 90er gestellt, wären sie heute längst freie Menschen. Den Großteil ihrer Taten haben sie wesentlich später begangen.



    Und prinzipiell muss man schon ein sehr merkwürdiges Rechtsempfinden haben, um der Meinung zu sein, Verbrecher könnte ja nicht anders, als weiterhin schwere Straftaten begehen, weil sie sonst für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen würden.



    Ich bin mir sicher, jeder der schon mal in die Mündung eines Sturmgewehres schauen musste, wird wenig Verständnis dafür haben. Und es dürfte ihm auch ziemlich egal sein, in welchem politischen Mileu sich die Angeklagten bewegen.



    Die Verharmlosung dieser Leute als linke "Rentner", die vom bösen Staat gejagt werden, ist -sorry- absolut hanebüchen.

  • Ich denke, das Verhalten ist einfach dümmliche Gewohnheit oder aber ein Zeichen, um zu sagen "hey, wir behaupten zwar, rechter Extremismus ist oberste Priorität, aber tatsächlich scheuen wir nur bei - auch in Rente befindlichen - Linksterroristen keine aber auch gar keine Mühen. Und Kosten."