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Verhältnis Ukraine und RusslandEin überwältigend großer Bruder

Russland und die Ukraine haben einen gemeinsamen Ursprung. Doch dass beide Staaten zwingend zusammengehören, glaubt nur Putin.

Protest für die Einheit der Ukraine und in Erinnerung an die „Maidan-Revolution“ in Odessa, 20.02.2022 Foto: Emilio Morenatti/ap

Kiewer Rus

Das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine ist seit Jahrhunderten kompliziert. Die Geschichte beider Länder ist historisch eng verwoben und hat denselben Ursprung: die Kiewer Rus. Sie gilt als Ursprung der heutigen Staaten Belarus, Russland und Ukraine. Gegründet wurde sie von skandinavischen Händlern, den Warägern, die die in einem großen Gebiet um Kiew, der heutigen Hauptstadt der Ukraine, vom 9. bis zum 12. Jahrhundert ein Großreich aufbaut.

Moskau ist damals noch eine kleine, unbedeutende Siedlung. Nach dessen Zerfall entwickelt sich aus dem Osten das russische Zarenreich, der Westen gelangte unter die Herrschaft Polens und Habsburgs. Im 18. Jahrhundert sind dann aber weite Teile der Ukraine Teil des Russischen Kaiserreichs. Als 1922 der Bürgerkrieg zu Ende geht und die UdSSR gegründet wird, gibt es kurzzeitig Unabhängigkeitsbestrebungen. Mit der Gründung der UdSSR wird die Ukraine Sozialistische Sowjetrepublik.

Holodomor

1931 zwingt die Sowjetregierung ukrainische Bauern zu solch hohen Getreideabgaben, dass 1932 eine große Hungersnot ausbricht. Nach neuesten Schätzungen der Historiker sterben 3,5 Millionen Menschen, über 10 Prozent der damaligen ukrainischen Bevölkerung. Der Massenmord geht unter der Bezeichnung Holodomor (Ukrainisch: holod = Hunger, moryty = Leid, Tötung, Vernichtung) in die Geschichte ein.

Unabhängigkeit

Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion wird die Ukraine 1991 unabhängig. Bei einem Referendum am 1. Dezember stimmen 90,3 Prozent der Ukrainer dafür. Schon am nächsten Tag erfolgt die Anerkennung durch Russland. Das Verhältnis der beiden Länder bleibt aber schwierig, die Ukraine ist wirtschaftlich und finanziell stark von Russland abhängig. Hauptstreitpunkte sind die Grenzen und der Status der Halbinsel Krim mit Sewastopol, dem Hafen der russischen Schwarzmeerflotte. Und immer wieder das Gas, das in großen Pipelines durch die Ukraine fließt. Bis Ende der 1990er-Jahre werden die territorialen Probleme in verschiedenen Verträgen gelöst, immer wieder verpflichtet sich Russland zur Unverletzlichkeit der bestehenden Grenze zwischen beiden Ländern.

Orange Revolution

Im Herbst 2004 finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Wegen Wahlfälschungen kommt es zu mehrwöchigen friedlichen Protesten, bis die Stichwahl im Dezember wiederholt wird. Dabei setzt sich der westlich orientierte Kandidat Wiktor Juschtschenko durch, auf den noch im Wahlkampf ein Dioxin-Anschlag verübt wird. Der russische Präsident Wladimir Putin, seit fünf Jahren im Amt, sieht die Orangene Revolution als Komplott des Westens, um sich in Moskaus traditioneller Einflusszone breitzumachen und Russland zurückzudrängen.

Euromaidan

Ende November 2013 legt Präsident Wiktor Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU kurz vor der geplanten Unterzeichnung offenbar auf Druck Russlands auf Eis. Das Abkommen befasst sich nicht nur mit Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und der Schaffung einer Freihandelszone, es wird auch eine enge Kooperation in der Außenpolitik, in Justiz- und Grundrechtsfragen vereinbart. Im Dezember demonstrieren Hunderttausende Ukrainer in Kiew gegen Janukowitsch und für das Partnerschaftsabkommen. Der Unabhängigkeitsplatz Maidan wird zum Symbol. Im Februar 2014 flieht Janukowitsch nach Russland. Am 21. März unterschreibt die Übergangsregierung das Assoziierungsabkommen mit der EU.

Annexion der Krim

Ab dem 27. Februar besetzen russische Soldaten ohne Hoheitsabzeichen schrittweise Parlament und strategische Gebäude auf der Krim. Unterstützt werden sie von bewaffneten prorussischen Kräften, die teils aus Russland eintreffen und die Wege zum ukrainischen Kernland blockieren. Die infolgedessen neu eingesetzte Führung einer prorussischen Minderheitspartei ersucht Russland um Hilfe und setzt ein Referendum an.

Dass bei der Abstimmung am 16. März 2014 angeblich eine große Mehrheit für den Anschluss an Russland stimmt, dient Putin als Legitimation für eine sogenannte Wiedervereinigung, der Westen spricht hingegen von einer gewaltsamen und völkerrechtswidrigen Annexion. Nur fünf Tage nach dem Referendum wird die Krim offiziell in die Russische Föderation aufgenommen. Die Halbinsel ist heute vom Rest der Ukraine abgetrennt, alle Landverbindungen sind gesperrt.

Die „Volksrepubliken“

Wochenendkasten 26.Feburar 2022

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Im April 2014 rufen die von Moskau unterstützten Separatisten in der ostukrainischen Region Donbass die „Volksrepublik Donezk“ aus, Luhansk folgt. Die ukrainische Armee geht gegen die Bewaffneten vor. Im Mai sind auf beiden Seiten bereits schwere Waffen im Einsatz, Ende des Monats verhindert die ukrainische Armee die Einnahme des Flughafens von Donezk durch die Separatisten. Im Juli wird über der Ostukraine ein Flugzeug der Malaysia Airlines auf dem Flug MH17 mutmaßlich mit einer russischen Rakete abgeschossen. Alle 298 Menschen an Bord sterben. Der Westen verschärft seine Sank­tionen gegen Russland. Moskau unterstützt nun verstärkt die Separatisten, ab August sind auch reguläre russische Soldaten im Einsatz.

Minsker Abkommen

Mit den Minsker Abkommen von 2014 uns 2015 versuchen Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Russland und der Ukraine, den Konflikt zu beenden. Neben einem Waffenstillstand wird der Abzug schwerer Waffen und eine Pufferzone vereinbart. Über die Einhaltung wacht die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie berichtet seitdem fast täglich über Verstöße auf beiden Seiten.

Putins Aufsatz

Im April 2021 zieht Moskau Truppen im Grenzgebiet zur Ostukraine zusammen und droht mit einem militärischen Eingreifen. Mit einem Aufsatz zur „historischen Einheit von Russen und Ukrainern“ sorgt Kremlchef Wladimir Putin im Juli für Aufsehen. Putin schreibt in seinem Text, Russen und Ukrainer seien ein Volk. Eine Tatsache, die die Führung der Ukraine verleugne, stattdessen habe es einen „erzwungenen Identitätswandel“ gegeben.

„Die Bildung eines ethnisch reinen ukrainischen Staates, der aggressiv gegen Russland gerichtet ist, ist in den Konsequenzen vergleichbar mit der Verwendung von Massenvernichtungswaffen“, behauptet er. Wladimir Putin schließt daraus: „Wahre Souveränität der Ukraine ist nur in Partnerschaft mit Russland möglich“. Im November 2021 beginnt Moskau, ungewöhnlich große Truppenkontingente und moderne Waffen im russischen Grenzgebiet zur Ukraine zu konzentrieren.

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8 Kommentare

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  • Danke, so einen Artikel hat es gebraucht!

    Die ersten 2 Absätze sind die Basis dieses Konflikts. Kiew war die Mutter aller Rus'. Wenn also Putins Version der russischen Geschichte stimmt, dann MUSS Ukraine zu Russland gehören. Es geht einfach nicht anders.

    Es ist eine weitere Parallele zu Hitler. Nur dass bei Hitler felsenfest feststeht, dass "Schlesien muss wieder deutsch werden" und "wir brauchen eine Transitverbindung vom Reich nah Ostpreußen" von vorneherein nur ein Teil eines größeren Vernichtungsplans war, Putin hingegen *vermutlich* ein "Opfer" (allerdings ein mehr als nur bereitwilliges) seiner eigenen Propaganda geworden ist, deren Primärzweck nicht die Vorbereitung eines Weltkriegs, sondern die Erschaffung eines innenpolitisch stabilisierend wirkenden russischen Nationalmythos war - eine ins Positive gewendete Dolchstoßlegende, die sich verselbständigt hat.

    Daher auch der Hass auf Lenin und die Revolution, den Putin verbreiten lässt: Lenin ist in Putins fiktivem "Alternativ-Russland" der vom Ausland gesteuerte Agent, der das heilige Russland zerschlug und aus dem Ur-Rus' eine kleine Bruderrepublik machte. (Dabei hat Lenin in Wirklichkeit nur die Fakten anerkannt, nämlich dass Ukraine ein eng mit dem Russland von Nowgorod, Wladimir und Muskowien verbundenes aber eben auch eigendynamisches Kulturzentrum darstellt - untrennbar, aber eben nicht identisch, sondern unter Umständen sogar konkurrierend. Die Zerschlagung des zaristischen Machtapparats in und um Kiew wurde nicht von Moskau oder Peterburg aus gesteuert, sondern war eine lokale eigeninitiative Aktion, und sobald sich die Moskauer Kommunisten einmischten und versuchten die Kiewer Genossen unter ihre Hegemonie zu stellen, hatte das fatale Folgen.)

  • Ziemlich schön gefärbter Ukraine-Artikel. Es fehlt zum Beispiel der Bau der sowjetischen Infrastruktur am Dnepr, die der Ukraine erst ermöglichte, wirtschaftlich zu arbeiten. Das Geschenk der Krim wird auch nicht erwähnt, genauso wenig Novy Rossija (heute Ostukraine), das Ruhrgebiet der Sowjetunion. Die Geschichte ist weit mehr verflochten als der Autor zugeben will.

    • @Kappert Joachim:

      Stimme Ihnen zu … auch wenn Putin ein aggressiver Autokrat ist, sind die Argumente nicht ganz von der Hand zu weisen, mit denen er in seinem Aufsatz vom letzten Jahr die historische Verbundenheit der ostslawischen Völker der Russen, Ukrainer und Belarusen betont. Seitens der Transatlantiker fand ich es intellektuell eher schwach, diese Geschichte erst 1990 bzw. 2014 beginnen zu lassen.



      Die Bruderschaft von Ukrainern und Russen hervorzuheben ist allerdings die eine Sache, dem souveränen ukrainischen Staat die Existenzberechtigung abzusprechen - wie Putin das am Vorabende der Invasion getan hat - geht jedoch entschieden zu weit … bei allem Verständnis für die russische Position kann ich da nicht mehr mitgehen. Und selbst die Menschen in Russland können es offensichtlich auch nicht, wie die Anti-Kriegs-Proteste in russischen Städten zeigen.



      Von der ukrainischen Regierung als einer „Bande von Drogensüchtigen und Neonazis“ zu sprechen, zeugt außerdem vom fortschreitenden Realitätsverlust des russischen Präsidenten.



      Wer von den engen ökonomischen Verflechtungen der Ostukraine mit Russland spricht, ist geradezu wahnsinnig, diese Infrastruktur jetzt zu zerstören … die Chancen für eine wirtschaftliche Entwicklung dieser Region zum beiderseitigen Nutzen hat Putin für die nächsten Jahrzehnte jedenfalls nachhaltig zerstört. Und dieser Mann will die Interessen Russlands verteidigen?

  • Das Gebiet der Ukraine gehört im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zum Grossfürstentum Litauen und wird nach der Lubliner Union Teil Polens.



    Moskau ist zum Ende der Mongolenherrschaft ein Zwergfürstentum, dass nach und nach seine Nachbarn unterwirft.



    Die Ostukraine kommt erst unter den Romanow in den Moskauer Herrschaftsbereich.



    1922 wird nicht "die Ukraine" SSR, sondern die Ostukraine.



    Der Westen ist bis 1918 Teil Österreich-Ungarns und bleibt bis zum Hitler-Stalin-Pakt Teil Polens.

    Es ist extrem irritierend, dass in den deutschen Medien regelmässig unterschlagen wird, dass die heutige Ukraine aus zwei bis 1918 getrennten Teilen mit eigener Geschichte und Entwicklung besteht, die erst durch gemeinsamen Raubzug zweier Grossverbrecher zusammenkamen.

    • @flip flop:

      In der Westukraine war zudem der Teil südlich des Karpaten-Hauptkamms, vorher zu Österreich-Ungarn gehörig, ab 1918 Teil der Tschechoslowakei. Rumänien und (Fürsten von) Siebenbürgen waren zeitweilig ebenfalls Herrscher über Teile der heutigen Ukraine

    • @flip flop:

      Außerdem: ich vermute, dass die Ereignisse von 2014 sowie die aktuellen mehr zum Zusammenwachsen und Zusammenhalt dieser getrennten Teile der Ukraine beigetragen haben, als Putin lieb sein kann … mit der Invasion erreicht er also genau das Gegenteil von dem, was er bezwecken wollte.

    • @flip flop:

      Gibt das Putin das Recht, über die souveräne Ukraine herzufallen?



      Bis Donnerstag noch habe ich mit den gleichen Argumenten wie Sie für Verständnis für die „russische“ Sichtweise geworben … die jedoch stets nur die Position des Autokraten Putin und seiner Entourage war, wie ich jetzt erkennen muss. Putin hat uns allen dreist ins Gesicht gelogen, wie er es auch mit Macron und Scholz hinsichtlich ihrer Vermittlungsbemühungen gemacht hat. Er setzt mit seinem Handeln die Zukunft seines eigenen Landes aufs Spiel … deshalb muss unsere Solidarität jetzt nicht nur den Ukrainern, sondern auch der russischen Zivilgesellschaft gelten.

      • @Abdurchdiemitte:

        Solidarität (auch) mit der Putin-kritischen russischen Zivilgesellschaft heißt allerdings, weitgehende Sanktionen gegen Russland.