Vergessener Maler Sascha Wiederhold: Aus der Stadt der Künstlerbälle
Mit dem Maler Sascha Wiederhold kann man ins Berlin der 1920er Jahre eintauchen. Die Neue Nationalgalerie feiert gerade seine Wiederentdeckung.
Die Augen und der Sehsinn bekommen viel zu tun in den Bildern von Sascha Wiederhold. Alles scheint in Bewegung. Die Flächen, in kräftigen Farben mit Streifen, Zickzack, Punkten und Kreisen gemustert, sind eng verschachtelt und verzahnt. Das hat Rhythmus, leicht kann man sich Trommelwirbel und Fanfaren dazu vorstellen.
Ein Hauch von Zirkus liegt schon in der Luft, noch bevor man Einzelheiten erkennt, hier einen Pferdekopf, dort einen Schweif, da ein gewinkeltes Bein und dann tatsächlich Pfeile und Bogen. Je länger man schaut, um so mehr Pferdeköpfe und Bogenschützen entdeckt man in Sascha Wiederholds Bild „Bogenschützen“.
Seine Farbigkeit hat etwas von Pop-Art, die harten Kanten von Op-Art, die dicht verschachtelte Struktur von digital erzeugten Bildern, das Motiv von Fantasy. Aber auch etwas von einem wild gewordenen Konstruktivismus liegt über der Szenerie und damit kommt man auf die richtige Spur.
1928 ist das Bild entstanden. Sein Maler gehörte zu den Künstlern der Sturm-Galerie von Herwarth Walden in Berlin, die viele heute noch bekannte Protagonisten der Avantgarde damals gefördert hat. Sascha Wiederhold indessen, 1904 in Düsseldorf geboren, 1962 in Berlin gestorben, war fast vergessen.
Sascha Wiederhold, Neue Nationalgalerie, Berlin, bis 8. Januar 2023. Der Katalog, 180 Seiten, 120 Abb., erschienen im Verbrecher Verlag, dokumentiert alle überlieferten Werke Wiederholds.
Eine Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin arbeitet jetzt an seiner Wiederentdeckung. Der Kurator Dieter Scholz hatte Wiederholds „Bogenschützen“ in der Galerie Brockstedt gesehen, wo das Bild über Jahrzehnte hinweg über dem Schreibtisch des Kunsthändlers hing. Es gelang, die „Bogenschützen“ für die Neue Nationalgalerie zu erwerben und sie bei der Wiedereröffnung im sanierten Mies-van-der-Rohe-Bau 2021 im Foyer auszustellen.
Das war gewissermaßen der Auftakt zur Wiederentdeckung des Malers: der Erbe des Schweizer Sammlers Carl Laszlo meldete sich mit weiteren Werken, eine Ausstellung wurde zusammengebracht, auch in der Berlinischen Galerie gab es ein Konvolut von Dokumenten zu Wiederhold.
Probelauf für den Umbau der Welt
Zu sehen sind jetzt viele seiner Entwürfe für Bühnenbilder, die von der Nähe zum Konstruktivismus zeugen, aber auch symbolistische Formen, surreale Kombinationen, expressive Kulissen nutzen. Man weiß, dass Wiederhold an einem Theater in Tilsit 1929/30 als Ausstattungsleiter beschäftigt war. Darüber hinaus aber erscheinen die vielen Entwürfe auch wie ein Probelauf für den konstruktivistischen Umbau der Welt, in dem die ästhetische Dynamik gedacht ist als Zugpferd eines sozialen Umbaus.
Diese Hoffnung, die viele Künstler:innen der Avantgarde der 1920er Jahre in Berlin umtrieb, unter ihnen auch viele Russen, bewegte auch Herwarth Walden, Wiederholds Galerist. Er floh vor dem Nationalsozialismus 1932 nach Moskau ins Exil, noch mit Hoffnungen auf den Kommunismus. Walden wurde aber ein Opfer des Stalinismus, er starb 1941 in einem sowjetischen Lager.
Mit ihm hatte Wiederhold seinen Förderer und Galeristen verloren. Walden hatte dem gerade 21-jährigen Künstler 1925 die erste Einzelausstellung ausgerichtet. Aus dem Studium an der Kunstakademie Berlin war Wiederhold zuvor rausgeworfen worden, weil er, ohne eigene Wohnung, in einer Dienstwohnung der Akademie geschlafen hatte.
Aus Dokumenten geht hervor, dass er mit Dekorationsaufträgen an vielen der beliebten Künstlerbälle beteiligt war, die Motive seiner großformatigen Bilder hängen damit möglicherweise zusammen. In einem handgeschriebenen Lebenslauf teilte er mit, dass er 1932 völlig mittellos war. Die kulturpolitische Feindseligkeit der Nationalsozialisten gegen die künstlerischen Avantgarden wird seinen künstlerischen Spielraum weiter verengt haben. Er machte eine Ausbildung zum Buchhändler und blieb in Berlin.
Tanzende melden sich aus der Kriegsgefangenschaft
Aus der Zeit nach 1933 sind keine Arbeiten mehr von ihm bekannt, mit einer Ausnahme, die jetzt auch in Berlin zu sehen ist: Wiederhold war zum Wehrdienst verpflichtet worden und in englische Kriegsgefangenschaft geraten. Dort zeichnete er 1946 eine großartige Serie von Figurinen, in denen sich Körperelemente wie Beine, Gesichter, Hände mit gemusterten Flächen verschränken, ein Tanz mit immer weiter ausgreifenden Bewegungen.
Wiederhold gehört zu den Künstler:innen, deren Karrieren durch Nationalsozialismus und Krieg zerbrachen und die erst Jahrzehnte später wiederentdeckt worden sind. Er arbeitete nach 1945 als Buchhändler. Im Foyer der Neuen Nationalgalerie ist er zusammen mit „Abend über Potsdam“ der Malerin Lotte Laserstein ausgestellt, die ins schwedische Exil gegangen war und erst in den letzten 15 Jahren mit großen Ausstellungen wieder gefeiert wurde.
Zudem war Wiederholds Werk im Material fragil. Selbst großformatige Bilder, wie die 1927 entstandene „Jazzsymphonie“, 305 x 456 cm, war auf Papier gemalt und ist später erst – ob vom Künstler selbst oder im Kunsthandel, weiß man nicht – auf Leinwand kaschiert worden. Der Sammler Carl Laszlo, der Anfang der 1960er Jahre noch Kontakt zu Wiederhold pflegte, hatte das Bild bei sich als Deckengemälde hängen. In der Neuen Nationalgalerie bildet dies Kaleidoskop aus zylindrischen Köpfen, Musikinstrumenten, Rosetten, Blumen und Karos, als ob ein ganzes Musterbuch in diese Collage eingeflossen wäre, jetzt den Höhepunkt der Ausstellung.
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