Verfolgung von Kontaktpersonen: Anruf statt App

Mit massivem Personaleinsatz will die Bundesregierung Infektionsketten unterbrechen. Infizierte und ihre Kontakte sollen systematisch befragt werden.

Eine Hand, die ein Telefon hält, in Nahaufnahme

Bei Anruf Infektion: Spezielle Teams sollen bald Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig machen Foto: dpa

FREIBURG taz | Die Bundesregierung setzt auf eine möglichst lückenlose Nachverfolgung aller Kontaktpersonen von Corona-Infizierten, um die Pandemie zu bekämpfen. Das ist Teil eines 10-Punkte-Plans, den das Kabinett am Montag beschlossen hat. Solange es keine Corona-App gibt, sollen die Gesundheitsämter mit rund 20.000 Mitarbeitern und sogar mit Hilfe der Bundeswehr Kontaktpersonen identifizieren und kontaktieren.

Durch die angeordnete Reduzierung der öffentlichen Kontakte ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen in letzter Zeit deutlich gesunken. Am Montag waren es noch 1.775 Neu-Infizierte. Angela Merkel verkündete deshalb, seit die Zahl unter 3.000 gefallen ist, müsse man wieder versuchen, „alle Kontaktketten“ präzise nachzuverfolgen. Es geht also nicht mehr nur darum, das Gesundheitssystem gerade so vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Ziel ist jetzt, bis zur Praxisreife eines Impfstoffs so wenig Neu-Infektionen wie möglich zuzulassen, um möglichst wenig Tote zu riskieren.

Strategie hierfür ist eine konsequente Kontaktpersonen-Nachverfolgung (KPN). Schon vorige Woche haben Bund und Länder vereinbart, dass pro 20.000 Einwohner mindestens ein Kontaktnachverfolgungsteam aus je fünf Personen eingesetzt werden soll.

Bei rund 80 Millionen Einwohnern in Deutschland wären das rund 4.000 Teams mit insgesamt etwa 20.000 Personen. Organisatorisch sollen sie bei den bundesweit 375 Gesundheitsämtern angesiedelt sein. Das zusätzliche Personal kommt durch Verschiebungen in den Landratsämtern, durch Neueinstellungen und durch freiwillige Einsätze von Medizinstudierenden zusammen.

Quarantäne statt Tests für Kontaktpersonen

Die KPN-Teams sollen Infizierte nun nach ihren Kontaktpersonen befragen und die dann ebenfalls anrufen. Die Kontaktpersonen werden nun aber nicht etwa getestet, ob sie auch infiziert sind. Merkel sagte am Montagnachmittag vielmehr: „Die müssen alle in Qurantäne.“ Als Kontaktperson gilt eine Person, die mit dem Infizierten mehr als eine Viertelstunde Face-to-Face-Kontakt hatte, zum Beispiel bei einem Gespräch. Zudem genügt auch der kurzzeitige Kontakt mit Körperflüssigkeiten des Infizierten, etwa beim Küssen, Anhusten oder Anniesen. Jeder Infizierte hatte im Schnitt solchen näheren Kontakt zu 20 Personen, so die Annahme des baden-württembergischen Sozialministeriums.

Nach den Leitlinien des Robert-Koch-Instituts für das Kontaktpersonen-Management ist zunächst eine freiwillige Quarantäne vorgesehen. Die Kontaktpersonen würden sich dann selbst beobachten, Fieber messen und ein Corona-Tagebuch schreiben. Zweimal pro Tag soll sich das Gesundheitsamt melden. Erst wenn die Kontaktpersonen selbst Symptome zeigen, gelten sie als krankheitsverdächtig und könnten auch zwangsweise isoliert werden.

In Baden-Württemberg wären für die Aufgabe 550 KPN-Teams mit 2.750 Personen erforderlich. Nach einer Aufstellung von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) soll das Ziel am kommenden Donnerstag erreicht sein.

Doch nicht alle Länder sind so gut aufgestellt. Bis Mittwoch sollen Gesundheitsämter dem Bund melden, wenn sie nicht genug KPN-Teams zusammenbekommen. Der Bund will den Ländern dann helfen. Er hat inzwischen selbst für 105 KPN-Teams Studierende geschult, die mobil eingesetzt werden können. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nennt sie Containment-Scouts.

Wo bleibt die App?

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat zudem den Einsatz der Bundeswehr angeboten, wenn Länder Engpässe haben. Der erster Einsatz der Bundeswehr bei der Kontaktpersonen-Nachverfolgung ist in Brandenburg geplant, sagte Kanzlerin Merkel am Montag. Es handelt sich hierbei um eine Amtshilfe ohne hoheitliche Befugnisse der Soldaten. Rund 100 Soldaten werden in zehn Gesundheitsämtern eingesetzt.

Der massive Personaleinsatz ist erforderlich, weil noch immer unklar ist, wann eine Corona-App zur Kontakt-Verfolgung einsatzbereit ist. Derzeit wird eine App auf Bluetooth-Basis entwickelt, die anonym die Nähe zu anderen Smartphones registriert und diese dann im Fall einer Infizierung benachrichtigt. Derzeit prüft das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin die Funktionsfähigkeit dieser Tracing App, so Minister Spahn. Eingesetzt werden könne sie aber erst, wenn das Robert-Koch-Institut, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie der Bundesdatenschutzbeauftragte zugestimmt haben.

Die App wäre nicht nur eine Arbeitsersparnis, sondern könnte auch Personen benachrichtigen, die der Infizierte nicht persönlich kennt, etwa Gesprächspartner aus dem Bus. Da aber immer noch nicht jeder ein Smartphone besitzt und der Einsatz der Corona-App freiwillig sein soll, kann die App die menschlichen KPN-Teams wohl nicht völlig ersetzen.

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