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Foto: Johanna Sagmeister

Verfolgte Je­si­d*in­nenVon der Welt vergessen

Zehn Jahre nach dem Massaker von Sindschar sind Jesiden weiterhin in Gefahr. Während sie in Deutschland für einen Abschiebestopp kämpfen, bleibt die Lage in ihrer Heimat instabil.

Von Johanna Sagmeister und Maria Caroline Wölfle aus Irakisch-kurdistan/potsdam

S hahab Smoqi ist aufgeregt. Der 21-Jährige nimmt an diesem heißen Junitag in Potsdam zum ersten Mal an einer Demonstration teil, er will sogar eine Rede halten. Hinter dem Podest hängen zwei Banner mit den Forderungen „Eziden schützen!“ und „Abschiebestopp jetzt“. Gegenüber tagen die Innenminister, die an diesem Vormittag auch über Migration sprechen wollen. Vom Podest aus kann Shahab Smoqi den Eingang sehen.

„Ich bin heute hier, um meine Geschichte mit euch zu teilen“, sagt er mit fester Stimme ins Mikrofon. Er trägt Anzughose und Hemd, manchmal fällt ihm eine seiner schwarzen Locken ins Gesicht. Über das, was er erlebt hat, spricht er eigentlich nicht gerne. Es belaste ihn zu sehr. Aber heute geht es um seine Zukunft und er findet, dass seine Geschichte stellvertretend für das Schicksal und Trauma von so vielen Jesiden steht – in Deutschland und im Irak.

Shahab Smoqi möchte heute davon berichten, wie er 2014 als 11-Jähriger im Irak der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) knapp entkam und so den Genozid an seiner Glaubensgemeinschaft, den Jesiden, überlebte. Er will davon erzählen, wie schnell er sich in die deutsche Gesellschaft integriert hat. Dass er schon nach sechs Monaten fließend Deutsch sprach, dass er in Hamburg als IT-Fachkraft in Festanstellung arbeitet, sich ehrenamtlich in einer Umweltorganisation engagiert. Auch seine Familie, die Eltern und Geschwister, leben hier. „Deutschland ist innerhalb von nur drei Jahren zu meinem neuen Zuhause geworden“, sagt er. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Als er ihn im Jahr 2020 stellte, galt der IS schon als besiegt und Jesiden nicht mehr als verfolgt. Dass er im Irak bis zuletzt in einem Flüchtlingslager lebte, zählt nicht. Shahab Smoqi soll abgeschoben werden.

Deutschland hat lange nur sogenannte Gefährder und verurteilte Straftäter in den Irak abgeschoben. Seitdem die beiden Länder ein Rückführungsabkommen geschlossen haben, steigen die Zahlen stark an: 2023 wurden laut Bundesinnenministerium (BMI) 300 irakische Staatsangehörige in den Irak abgeschoben und damit fast viermal so viele wie im Jahr zuvor. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es bereits 345 Menschen. Wie viele davon Jesiden sind, erfasst das BMI nicht. Die Hilfsorganisation ProAsyl schätzt, dass fünf- bis zehntausend Jesiden ausreisepflichtig sind, also potenziell abgeschoben werden können.

2.600 bis heute vermisst

Auf der Demo fordern Smoqi und seine Mitstreiter von den Innenministern einen bundesweiten Abschiebestopp für Jesiden. „Der Irak ist ein Land der Täter und der Mörder der Jesiden. Deshalb ist es besonders für uns gefährlich, dorthin zurückzukehren“, sagt er.

Smoqi kommt aus einem kleinen Dorf in der Region Sindschar im Nordirak, einem traditionellen Siedlungsgebiet der Jesiden. Die ethnisch-religiöse Minderheit wird seit Jahrhunderten verfolgt. Im August 2014 hatte es der IS auf sie abgesehen. Die Islamisten gingen systematisch vor, mit dem Ziel, Jesiden zu vernichten. Sie drangen in ihre Dörfer ein und töteten etwa 5.000 Menschen. Tausende Frauen und Kinder wurden verschleppt, versklavt, vergewaltigt. Hunderttausende wurden vertrieben, fanden Zuflucht in Flüchtlingslagern in der Autonomen Region Kurdistan. Mehr als 2.600 Menschen werden bis heute vermisst.

Eine Reise dorthin zeigt, wie schwierig die Lebensbedingungen für geflohene Jesiden zehn Jahre nach dem Überfall durch den IS teilweise noch sind. Es ist März, der Himmel über dem Flüchtlingslager „Qadia“ ist grau und verhangen. Es liegt abseits einer Landstraße mitten im Niemandsland der Autonomen Region Kurdistan. Die Gegend ist karg, sandfarben, die Straßen im Camp sind durch seit Tagen anhaltenden Starkregen vermatscht. Die 20-jährige Berivan Elyas zeigt auf die Zelte und Container, die sich an den parallel liegenden Schotterstraßen säumen. „In den Hütten vieler Familien gibt es Löcher, durch die es bei Regen von der Decke tropft“, erklärt sie.

Ein Tanklaster fährt vorbei. Er bringt Wasser in das Camp, erklärt Berivan Elyas. Fließendes Wasser gibt es nicht, alle vier Tage können sie ihren Wassertank auffüllen. Auch das Gas für die Heizöfen ist rationiert. Was vor allem im Winter eine Herausforderung werden kann, denn dann herrschen hier oft Minusgrade.

Elyas lebt in einem der weißen Container am Eingang des Camps. Sie teilt sich rund 20 Quadratmeter mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern. Ihren Vater habe der IS getötet, sagt sie. Sie hat sich die schwarzen Haare zum Zopf gebunden, ist groß, hat eine sportliche Figur, strahlt eine innere Ruhe aus.

Die Häuser von Bomben zerstört

„Weil die Menschen hier in Containern und nicht in Zelten leben, wird es auch das „VIP-Camp“ genannt“, sagt Ava Abdullah von Hawar.Help. Die deutsche NGO bietet im Camp unter anderem Fußballtraining für Mädchen und Nähkurse für Frauen an. Sie wurde 2015 von der in Deutschland lebenden Autorin Düzen Tekkal und ihren Geschwistern gegründet. „Man sagt, es sei eines der besten Camps, aber wie man sehen kann, ist es schwer, hier zu leben“, sagt Abdullah.

Der überdachte Innenhof der Schule im Flüchtlingslager Qadia Foto: Johanna Sagmeister

Elyas und ihre Cousine Shanahz Ravo sitzen im Schneidersitz auf dem Teppich, Shanahz spielt ein Handyvideo ab. Es zeigt einen Straßenzug, an dem jedes Haus zerstört ist. Die Kamera zoomt an ein Haus, von dem nur noch die Außenwände stehen. Das sei ihr Haus. Aufgenommen im Dezember 2017, kurz nachdem der damalige irakische Premierminister Haider al-Abadi verkündete, der IS sei im Irak besiegt.

Berivan Elyas (rechts) mit Angehörigen in ihrem Container Foto: Johanna Sagmeister

Errungen wurde dieser Sieg mithilfe einer von den USA geführten internationalen Koalition, die die irakische Armee, kurdische Peschmerga und schiitische Milizen unter anderem durch Luftangriffe auf den IS unterstützte. Von dieser Bombardierung wurde vermutlich auch das Haus von Shanahz Ravo getroffen. „Wie nackte Skelette“, sagt sie. „Bis heute ist mein Haus zerstört.“ Auch deshalb könnten sie nicht zurück.

Aktuell leben immer noch mehr als 100.000 Jesiden in Flüchtlingslagern in der Autonomen Region Kurdistan. Ihre Heimat Sindschar liegt keine 150 Kilometer entfernt. Doch zurückgekehrt sind die wenigsten.

Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes heißt es, in ihrer Heimatregion Sindschar gebe es immer noch kein fließendes Trinkwasser, keine geregelte Stromversorgung, zerstörte Gebäude und Infrastruktur. Zudem sei die Sicherheitslage volatil, weil in der Region immer noch bewaffnete Gruppen aktiv sind. Die Region ist strategisch wichtig, unter anderen die kurdische Autonomiebehörde, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Iran-nahe Truppen und die irakische Regierung ringen um die Kontrolle über Sindschar. Auch der IS ist noch da, auch wenn er in der Fläche als besiegt gilt. All das behindert den Wiederaufbau, obwohl in die Region in den letzten Jahren Milliarden an internationaler Hilfe geflossen sind. Wo das viele Geld hin ist – niemand weiß es so genau.

Weiter Diskriminierung ausgesetzt

„Es sollte kontrolliert werden, was mit den Geldern passiert. Wie sie ausgegeben werden. Dass das nicht passiert, ist eines der größten Probleme hier“, sagt Abid. Er sitzt in einem Restaurant in der nordkurdischen Stadt Dohuk, vor ihm auf dem Tisch dampft eine Tasse Tee, während es draußen wieder anfängt zu regnen.

Abid heißt eigentlich anders. Er ist Aktivist, auch er hat den Völkermord von 2014 überlebt. Mit Medien zu sprechen, kann gefährlich für ihn sein. Aber gemeinsam mit zwei Freunden will er unbedingt von der Situation in Sindschar berichten. Das Restaurant liegt am Stadtrand. Es gehört zu einer türkischen Kette und ist eines der wenigen, das an diesem Sonntagnachmittag offen hat. Es ist Ramadan, fast alle Geschäfte haben tagsüber geschlossen. Jesiden fasten während des Ramadans nicht, aber jesidische Restaurants oder Cafés gibt es in Dohuk so gut wie nicht.

„Wenn ich einen muslimischen Gast habe und der mich zu Hause besuchen kommt, dann wird er auch nichts essen. Es ist ihnen verboten, sie sehen uns als Ungläubige“, erzählt Abid. Er runzelt die Stirn noch mehr, als er von seinen Erfahrungen berichtet. Etwa davon, wie manche seiner muslimischen Kommilitonen während des Studiums nichts essen wollten, was er mitgebracht hatte.

Das Auswärtige Amt schätzt die Sicherheitslage für die jesidische Gemeinschaft in der Region Kurdistan-Irak als weitgehend stabil ein. Die kurdische Regionalregierung habe demnach explizit unterstrichen, die jesidische Gemeinschaft schützen zu wollen. Was genau das bedeutet, wird im Lagebericht des Auswärtigen Amts jedoch nicht ausgeführt.

Das UN-Flüchtlingswerk UNHCR, kommt in einem Bericht allerdings zu dem Schluss, dass Jesiden im Irak noch immer Diskriminierung ausgesetzt sind und zwar sowohl in der Autonomen Region Kurdistan, die zum Irak gehört, als auch in Sindschar. Der UNHCR berichtet von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt sowie gesellschaftlicher Schikane. Dass trotz der schwierigen Bedingungen in der kurdischen Region viele der Binnenflüchtlinge nach Sindschar zurückkehren, können sich Abid und seine Freunde nicht vorstellen. Sie leben in Sindschar, weil sie sich dort aktiv für den Wiederaufbau einsetzen und kennen die Probleme vor Ort. „Politisch gesehen, aber auch, was die Infrastruktur anbelangt, ist Sindschar noch nicht dafür bereit, dass die Menschen zurückkommen“, sagt Abid. „Es braucht mehr Schulen und Krankenhäuser. Etwa 40 Prozent der Jesiden sind zurück und die Infrastruktur reicht noch nicht mal für die aus.“

Die genaue Anzahl der Zurückgekehrten ist schwer zu erfassen. Nach Informationen der NGO Jiyan, die im Nordirak mit Jesiden arbeitet, haben sich seit Mai fast 8.000 Menschen aus den Flüchtlingslagern nach Sindschar aufgemacht.

Die Menschen hier trauen ihren Nachbarn nicht mehr

Abdi, jesidischer Aktivist

Was viele Jesiden von einer Rückkehr abhält, ist aber auch die Angst, die sie nicht loswerden. „Das Schwerste für uns ist, dass viele, als sie vom IS gefangen genommen wurden, ihre Nachbarn sahen. Leute aus der Gegend, mit denen sie seit mehr als 70 Jahren zusammenlebten“, erzählt Abid. „Und plötzlich nehmen diese Leute ihre Mädchen mit, vergewaltigen und foltern sie, töten die Männer. Die Menschen hier trauen ihren Nachbarn nicht mehr.“

Viele sunnitische Muslime schlossen sich 2014 in Sindschar dem IS an, der eine radikale Auslegung des sunnitischen Islams vertritt. Sie fühlten sich durch die schiitisch dominierte Regierung benachteiligt und unterdrückt. Der IS versprach ihnen Schutz, wirtschaftliche Vorteile und eine neue Identität. Auch Nachbarn, teils Freunde von Jesiden ließen sich davon vereinnahmen.

„Überlebende des Völkermords befürchten, dass genau diese Nachbarn wieder neben ihnen leben könnten“, erzählt Abids Freund Hezni. Auch er heißt eigentlich anders. „Vielleicht waren es ihre Nachbarn, die sich dem IS angeschlossen und ihre Familie getötet haben. Und jetzt leben sie wieder nebenan, als wäre nichts gewesen. Wie kann man so leben, mit all den Erinnerungen?“

Doch anstatt die Täter strafrechtlich zu verfolgen, ist im Irak gerade ein allgemeines Amnestiegesetz im Gespräch, durch das zahlreiche Terroristen freigesprochen werden könnten. Auch solche, die mutmaßlich am Völkermord an den Jesiden beteiligt waren. „Was Jesiden vor allem wollen, ist internationaler Schutz“, sagt Hezni. Die meisten von ihnen trauen weder der irakischen Zentralregierung noch der Regierung der kurdischen Autonomiebehörde.

Gestiegene Suizidrate

Im Qadia-Flüchtlingslager zieht mittlerweile das nächste Gewitter auf, Donner knallt vom Himmel herunter, der Regen prasselt hart und laut auf das Wellblech über Berivan Elyas und Shahnaz Ravo. Sie stehen im Innenhof ihrer Schule, ein flacher Containerbau mit offenem Innenhof, von dem die Klassenzimmer abgehen. An den Wänden kleben Plakate, die über Landminen aufklären und davor warnen, sie aufzuheben. Etwa 500 Kinder lernen hier im Schichtbetrieb, erzählen sie: Morgens wird auf Kurdisch unterrichtet, abends auf Arabisch. „Während der Klassenarbeiten sitzen bis zu 50 Kinder in einem Raum“, sagt Berivan. „Es ist deswegen schwierig, gute Noten zu schreiben.“

Berivan Elyas setzt viel auf den Schulabschluss, weil sie darin ihre einzige Chance auf ein besseres und vor allem selbstbestimmtes Leben sieht. Ihre Cousine hat keinen Schulabschluss bekommen. Sie fiel wiederholt durch Prüfungen. „Das belastet mich sehr“, erzählt Shahnaz Ravo. Sie würde gerne zu einem Arzt oder einer Psychologin gehen, sich mal durchchecken lassen. „Aber es gibt hier keine Angebote. Wir kennen einige, die bereits Selbstmord begangen haben“, sagt sie.

Dass die Suizidrate unter Überlebenden des Völkermords offenbar angestiegen ist, davon berichtet auch das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht und bezieht sich dabei auf zwei NGOs, die mit Überlebenden arbeiten. Doch Angebote für psychologische Betreuung werden reduziert, auch, weil insgesamt weniger internationale Hilfsgelder in die Region fließen, sondern stattdessen in andere Konfliktregionen wie die Ukraine oder nach Gaza. Staatliche Unterstützungsangebote gibt es nicht.

Umso wichtiger ist die Arbeit von Nada Salim in Alqosh, einer Stadt rund eine Autostunde südöstlich vom Qadia-Camp. Alqosh liegt am Fuße eines Berges, an dessen Hängen ein christliches Kloster aus dem siebten Jahrhundert thront. Hier hat die Menschenrechtsorganisation Jiyan eines ihrer Büros, in einem ruhig gelegenen Haus mit vielen verwinkelt gelegenen Zimmern.

Nada Salim sitzt gemeinsam mit Kolleginnen in einem Besprechungsraum an einem großen langen Tisch. Sie leitet hier die psychotherapeutische Abteilung. Jiyan bietet unter anderem kostenlose Therapie für Überlebende des Völkermords an. „Viele Jesiden sind noch immer tief traumatisiert durch die Misshandlungen, die sie erlebt haben“, sagt Nada Salim. „Eine Frau hat erzählt, dass sie sich in der Gefangenschaft nicht wie ein Mensch gefühlt hat, sondern eher wie eine Maschine, die benutzt wurde. „Sie sagte: „Ich wurde für den Haushalt oder als Sexobjekt benutzt.“ Nada Salim ist selbst Jesidin, stammt allerdings nicht aus Sindschar, wie die meisten ihrer Patienten. Ihre Religionszugehörigkeit hilft dennoch vielen, Vertrauen zu ihr aufzubauen und psychische Erkrankungen so besser behandeln zu können.

Die Therapeutin Nada Salim in Alqosh Foto: Johanna Sagmeister

Multiple Traumata, zu wenig Hilfe

Angststörungen, Posttraumatische-Belastungsstörungen und Depressionen sind besonders verbreitet. Doch es gebe nicht genug professionelle Hilfe wie die von Jiyan. Obwohl durch das Leben in den Flüchtlingslagern häufig weitere Traumata hinzukommen. „Die Menschen in den Camps leiden nicht nur psychisch an den Ereignissen von 2014, sondern auch wirtschaftlich und materiell, wodurch multiple Traumata entstehen“, sagt Nada Salim. „Je länger sie nicht behandelt werden, desto schwieriger ist es, sie zu bewältigen.“

Solche multiplen Traumata erleben oft auch jene, die aus der Gefangenschaft zurückkommen. Nada Salim erzählt von einem Jungen, den der IS als Kindersoldat missbrauchte: Als er vom IS zurückgekommen ist, hat er gehofft, seine Familien zu treffen. Aber die meisten wurden vom IS ermordet oder verschleppt. Und er musste erfahren, dass er nicht in sein altes Zuhause kann, sondern im Camp leben muss.“

Was Nada Salim besonders Sorgen bereitet, ist, dass sich die erlebten Traumata in der nächsten Generation fortsetzen. Auch bei Kindern, die nach dem Völkermord geboren wurden. „Wir stellen fest, dass die Kinder oft sehr gewalttätig sind, auch gegenüber anderen Kindern. Oft erzählen die Familien von den schlimmen Erlebnissen beim IS, während die Kinder dabei sind. Das prägt sich bei diesen ein.“

Die Not, der Bedarf ist groß. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat den Wiederaufbau im Irak seit 2014 mit zwei Milliarden Euro unterstützt. Aus dem BMZ heißt es, weil sich die Lage im Irak „deutlich verbessert“ habe, würden auch die humanitäre Hilfe und die Maßnahmen zur Krisenbewältigung schrittweise zurückgefahren. In Sindschar werden weiterhin Projekte unterstützt, beispielsweise vergangenes Jahr mit 15 Millionen Euro der Neubau von Wohnhäusern und die Instandsetzung von Abwassersystemen. Grundsätzlich wäre der Irak auch alleine in der Lage, Sindschar wieder aufzubauen. Das Land ist reich an Bodenschätzen, vor allem an Erdöl.

Berivan Elyas wünscht sich mehr Unterstützung, egal von wem. Sie hat Angst, dass die irakische Regierung die Flüchtlingslager schließen wird. Das hatte sie für Ende Juli angekündigt. Offenbar möchte die irakische Zentralregierung das Jesiden-Kapitel zehn Jahre nach dem Völkermord schließen. Auch deshalb haben sich einige dann doch auf den Weg zurück nach Sindschar gemacht. Auf dem Weg zurück zu ihrem Wohncontainer laufen Elyas und ihre Cousine bereits an leeren Behausungen vorbei. Wer wieder nach Sindschar zieht, bekam von der Regierung bis Ende Juli vier Millionen Irakische Dinar. Das sind umgerechnet knapp 3.000 Euro. Ein zerstörtes Haus wieder aufzubauen, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen – im Irak sei das mit diesem Betrag nicht möglich, sagen sie.

In Deutschland nur geduldet

Berivan Elyas und ihre Familie wollen so lange bleiben, wie das Camp besteht. Auch wenn sie sich, so wie die meisten nach ihrer Heimat sehnen, ist eine Rückkehr nach Sindschar doch für viele keine Option. Und das scheint die Regierung verstanden zu haben: Die Camps wurden bis jetzt zumindest nicht geschlossen.

In Deutschland hangelt sich Shahab Smoqi derweil weiter von Duldung zu Duldung, die alle drei Monate ausläuft. „Im Irak habe ich kein Zuhause mehr, ich müsste dort wieder ganz von vorne anfangen“, sagt er. „Wo ich dann hingehen würde? Ich weiß es nicht.“ Smoqi hofft, dass die Demonstrationen und Initiativen irgendwann wirken. Dass die Politikerinnen und Politiker, die sich für Jesiden einsetzen, nicht mehr nur reden, sondern auch handeln. Und dass sich das Versprechen erfüllt, dass es bei der Anerkennung gegeben hat: Jesiden zu schützen.

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